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Frauen in Vollzeit häufig in prekärer Situation

Vor zehn Jahren hat die Berliner Unternehmerin Ilona Orthwein das Netzwerk „Unternehmerinnen von heute“ gegründet. Kurz zuvor startet sie mit einem eigenen Unternehmen. Damals wurde ihr bewußt, wie wichtig es ist, sich zu vernetzen. SHE works! sprach mit Ilona Orthwein über die Gründung des Netzwerks, die politische Situation vor zehn Jahren und was sich seitdem verändert hat.

Frau Orthwein, Sie haben vor 10 Jahren das Netzwerk „Unternehmerinnen von heute“ gegründet. Was war der Anlass?

Damals stand ich selbst noch am Anfang meiner beruflichen Selbstständigkeit – ich hatte 2003 meine Beratungsfirma gegründet. Mir war sehr schnell klar geworden, wie wichtig Netzwerke und Kooperationen für Selbstständige sind. Damals hatte man gerade das Internet für’s virtuelle Networking entdeckt. Mir als alleinerziehenden Mutter – meine Tochter war damals noch sehr klein – war es kaum möglich, neben meiner Berufstätigkeit noch all die guten Gelegenheiten zum Live-Networking zu nutzen, die sich in Berlin so bieten. Anderen Frauen ging es ähnlich, und wer nicht gerade in einer Metropolregion lebt, hat überdies nur wenige Möglichkeiten zum Live-Austausch. Das Internet eröffnete da – gerade war Open BC, heute XING entstanden – , neue Perspektiven. Darum gingen wir, nachdem ich anderthalb Jahre selbst regelmäßig Frauen zu einem „Unternehmerinnenabend in Berlin“ eingeladen hatte, mit der Idee der Präsentation und Vernetzung von Unternehmerinnen online. Das Ergebnis finden Sie noch heute unter der Domain www.Unternehmerinnen.org Der enorme Erfolg bestätigte uns, dass dies der richtige, zeitgemäße Weg und zugleich sehr nachhaltig ist, um selbstständige Frauen zu unterstützen.

Der Ruf nach Frauen in der Wirtschaft ist im vergangenen Jahr sehr laut geworden. Gab es diese Forderungen auch in den vergangenen 10 Jahren in dieser Deutlichkeit?

Damals hatten wir extrem hohe Arbeitslosenzahlen, und die Politik versuchte diese u. a. durch gezielte Förderung von Existenzgründungen zu bekämpfen. Im Zuge dieser Förderprogramme machten sich viele selbstständig – Männer und Frauen. Darunter in Ostdeutschland auch viele arbeitslose Frauen, die es gewohnt waren, einer Berufstätigkeit nach zu gehen. Das führte zu einer wachsenden Zahl von Unternehmerinnen, auch ohne dass jemand das direkt gefordert hätte.
„Gender Mainstreaming“, d. h. die unterschiedlichen Lebenssituationen und Interessen von Frauen und Männern bei Entscheidungen auf allen gesellschaftlichen Ebenen zu berücksichtigen, um so die Gleichstellung der Geschlechter durchzusetzen, war allerdings ein Schlagwort jener Tage. Heute ist die Gleichberechtigung zwar noch immer nicht realisiert, aber thematisiert werden andere Dinge, wie Fachkräftemangel, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, sowie der demografische Wandel die Diskussion, und man hat offenbar erkannt, dass die Wirtschaft uns Frauen unbedingt braucht, wenn sie zukunftsfähig sein will. Dass funktioniert aber nur, wenn sich einige Strukturen grundlegend ändern.

Haben sich die Arbeitsbedingungen für Frauen in den letzten Jahren verändert?
Der berühmte „Gender Pay Gap“ besteht nach wie vor. Die Frauenquote kommt langsam mal auf den Weg und was die Vereinbarkeit von Familie und Beruf angeht, so geht es auch nur sehr langsam voran. Insgesamt sehe ich zwar kleine Fortschritte, aber nur sehr kleine und wenn mir meine Friseurin erzählt, dass sie u. a. deswegen Personalmangel hat, weil es mit den Kinderbetreuungsangeboten genauso hapert wie vor zwanzig Jahren, dann denke ich mir, dass wir zumindest darin keine durchgreifenden Fortschritte erzielt haben…

Sie selbst arbeiten als erfolgreiche Unternehmens- und Organisationsberaterin sowie als Autorin. Wie nehmen Sie die Arbeitssituation von Frauen wahr? Was muss sich Ihrer Meinung nach ändern?

Die wirtschaftliche Situation von in Vollzeit selbstständigen Frauen ist viel häufiger (etwa 60 %) prekär als die von selbstständigen Männern (etwa 20 %). Leider ist dies ein Thema, das von Politik und Medien kaum beachtet wird. In Berlin forscht allerdings seit Jahren Prof. Dr. Claudia Gather an der HWR dazu. Die Ergebnisse ihrer Studien decken sich mit den Erfahrungen, die ich seit einem Jahrzehnt mit selbstständigen Frauen mache. Viele verdienen auch bei Vollzeittätigkeit und trotz guter Ausbildung kaum genug, um davon autonom leben zu können bzw. gar Angehörige (Kinder) mit zu finanzieren oder für’s eigene Alter angemessen vorsorgen zu können. Diese Frauen können wirtschaftlich nur überleben, weil sie von anderen – entweder von Partnern bzw. Familie oder, in einigen Fällen, „Vater Staat“ subventioniert werden. Makroökonomisch gesehen leisten diese Frauen aber dennoch ihren Beitrag. Sie stellen etwas her oder erbringen Dienstleistungen, sie erwirtschaften also Mehrwerte und zahlen auch ins Sozialsystem. Dass sie leider finanziell nicht erfolgreicher sind, hat viele Gründe, u. a. den, dass es ihnen, nicht gelungen ist, das nötige Eigenkapital für eine Gründung – und keine Gründung kommt ohne eine entsprechende Eigenkapitaldecke aus – anzusparen. Das wiederum liegt oft am Gendergap und anderen typisch weiblichen Lebensumständen. Die weiblichen Gründungen sind dann oft zu klein konzipiert, um wirtschaftlich den entscheidenden Durchbruch zu schaffen.
Außerdem fehlt es häufig an gewachsenen Netzwerken. Und natürlich – Frauen sind auch Mütter – an Betreuungsplätzen für Kinder… und so schließt sich der Kreis,der es gut ausgebildeten hochmotivierten Frauen schwer macht.

Was sich ändern muss? Grundsätzlich sollte die Vereinbarkeit von Familie und Beruf neu diskutiert werden. Es geht dabei nicht nur um die Bereitstellung von Betreuungsplätzen, sondern auch um die Bewertung von Erziehungsleistungen. Unser Steuersystem begünstigt nach wie vor die „Versorger-Ehe“ von Paaren mehr als die Leistungen von Familien und Alleinerziehenden. Im Rentensystem setzt sich die Diskriminierung dann fort… Wenn wir wirklich mehr Gleichberechtigung und auch mehr Kinder wollen, dann sollte die Politik hier ansetzten. Man muss umverteilen und mehr Gerechtigkeit schaffen. Aber natürlich sind auch die Frauen selbst in der Pflicht. Sie müssen noch viel stärker für ihre Rechte eintreten.
Sind die von der Politik ins Leben gerufenen Maßnahmen ausreichend, um mehr Frauen zum Gründen zu bewegen?

Aktionen wie die der „Vorbild Unternehmerinnen“, die als Botschafterinnen für weibliche Selbstständigkeit vom BMWi im letzten Herbst auserkoren wurden, sind in meinen Augen eine reine PR-Maßnahme, die nur dann wirklich etwas bringt, wenn man gleichzeitig anderweitig die richtigen Stellschrauben dreht. Selbstständigkeit darf nicht ins Prekariat führen, sondern sollte eigentlich als wichtiger Teil des Mittelstands das Rückgrat unserer Wirtschaft und Gesellschaft bilden.

Sie arbeiten seit 10 Jahren in Ihrem Netzwerk. Was genau tun Sie für die Unternehmerinnen von heute?

Unser Portal Unternehmerinnen.org liefert für selbstständige Frauen eine wichtige Plattform, um sich mit ihren Angeboten zu zeigen, sich zu vernetzen und für sich zu werben. Die Budgets für Werbung und PR viele Unternehmerinnen sind sehr schmal, hier liefern wir – nicht zuletzt durch Vernetzungen mit Partnern wie Ihnen und unsere regelmäßige Öffentlichkeitsarbeit – Möglichkeiten, sich bekannter zu machen, denn Bekanntheit ist ein wichtiger Schlüssel zum Erfolg. Ein weiterer sind Kontakte. Unser Portal erlaubt eine SPAM-sichere Kontaktaufnahme zu allen Frauen, die sich hier präsentieren. Ein dritter Faktor ist Wissen, das über unser Portal und die angeschlossenen Medien geteilt wird. Unsere Mitglieder veröffentlichen vielfältige Tipps, und wir bieten auch ein Online-Weiterbildungsprogramm. Durch gezielte Vernetzungen mit der Politik eröffnen wir auch Wege der Lobbyarbeit für Unternehmerinnen. Grundgedanke von Unternehmerinnen.org ist, die Unternehmerinnen von heute, ihre Leistungen und ihre Anliegen möglichst umfassend sichtbar zu machen und zu bündeln. Denn Veränderung bewirken können wir nur durch gemeinschaftliches Tun.

Vielen Dank für das Gespräch!

Über Ilona Orthwein:

Portrait Ilona Orthwein

Ilona Orthwein ist ausgebildete Kauffrau und Sozialwissenschaftlerin (M.A). Nach ihrem Studium in Main und Berlin war sie über zwölf Jahre im internationalen Bankengeschäft tätig. 2003 gründete sie die „Orthwein Unternehmens- und Organisationsberatung“, in der mittelständische Unternehmen und soziale Organisationen zu Finanzierungsfragen, Marketing und Organisationsentwicklung beraten werden. Ilona Orthwein schreibt und referiert zu Themen wie Marketing 2.0, Crowdfunding, Enterprise 2.0, sowie zu wirtschaftsethischen Fragen und der Rolle von Frauen in der Wirtschaft. Sie betreibt seit Juni 2005 die Internetplattform Unternehmerinnen.org, welche 2012 von der Initiative Mittelstand im Rahmen des Innovationspreises-IT in der Kategorie „Web 2.0 und Social Media“ prämiert wurde. Im Juli 2014 ist ihr Ratgeberbuch „Crowdfunding – Grundlagen und Strategien für Kapitalsuchende und Geldgeber“ im Hamburger IGEL-Verlag erschienen. Auf der women&work 2015 in Bonn wird Ilona Orthwein mit dem Vortrag „Unternehmenswert Mensch im digitalen Zeitalter“ vertreten sein.

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