Netzwerk Spitzenfrauen: Homeoffice muss raus aus Schmuddelecke
Heimarbeit heißt nicht gleich Heimmütterchen am Herd
Müssen Frauen ihre Karrieren der Corona-Krise opfern? Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung, ist überzeugt: Spätestens durch das Recht auf Heimarbeit werden aus berufstätigen Frauen wieder „Heimmütterchen“ am Herd. Prof. Dr. Elke Theobald und Prof. Dr. Barbara Burkhardt-Reich, Geschäftsführerinnen der Steinbeis-Zentren Unternehmensentwicklung an der Hochschule Pforzheim, machen aktuell ganz andere Erfahrungen. Seit Corona tauschen sie sich einmal pro Woche beim digitalen Lunch mit weiblichen Topführungskräften aus. Sie führen nicht nur selbst sehr erfolgreich aus dem Homeoffice, sondern beobachten gerade auch bei männlichen Mitarbeitern und Kollegen eine zunehmende Akzeptanz dieser Arbeitsform.
Von der „entsetzlichen Retraditionalisierung“, die Jutta Allmendinger den Frauen kürzlich in ihrem Auftritt bei Anne Will prophezeite, ist im Kreis der Spitzenfrauen in Baden-Württemberg nichts zu spüren. Im Gegenteil: Viele der weiblichen Topführungskräfte, mit denen sich Prof. Dr. Elke Theobald und Prof. Dr. Barbara Burkhardt-Reich, Projektleiterinnen des ESF-Projekts Spitzenfrauen-bw.de, beim wöchentlichen digitalen Lunch austauschen, gewinnen der Corona-Krise Positives ab. Denn wo bewährte „analoge“ Konzepte und Routinen wegfallen, entsteht Raum für Neues und Innovationen. Der Paradigmenwechsel verändert auch die Arbeitsorganisation – weg von der Präsenzkultur hin zum mobilen Arbeiten. Sind hier Frauen sogar im Vorteil, weil sie routinierter mit Mehrfachbelastungen (Berufstätigkeit + Care-Arbeit) umgehen können?
Vielleicht: Zumindest fiel den Spitzenfrauen der Umstieg vom Präsenzbetrieb im Unternehmen zur rein virtuellen Führung aus dem Homeoffice nicht sonderlich schwer. Dabei halfen vor allem eine intensive und vertrauensvolle Kommunikation mit dem Team sowie ein Führungsverständnis, das auf klar definierten Werten basiert.
Verstärkt die Krise traditionelle Rollenbilder?
Natürlich ist Homeschooling auch bei den Spitzenfrauen in Baden-Württemberg ein Thema, allerdings nicht als alleiniges Aufgabengebiet der Frauen. Vielmehr erleben Prof. Dr. Elke Theobald und Prof. Dr. Barbara Burkhardt-Reich, dass durch die Arbeit im Homeoffice auch Männer stärker ins Familiäre eingebunden und beispielsweise in der Kinderbetreuung involviert sind. Durch Corona droht also nicht unbedingt ein „Rückkommen von einem patriarchalen Denken“, wie es Grünenchef Robert Habeck bei Anne Will formulierte. Es besteht auch die Hoffnung auf eine Neuverteilung der traditionellen Rollen und auf ein neues Verständnis für die Doppelbelastung von berufstätigen Frauen und Männern auf Seiten der Unternehmen und der Führungskräfte. Natürlich sind es aktuell mehr Frauen als Männer, die ihre Arbeitszeit reduzieren mussten, weil Betreuungsangebote durch die Corona-Krise nicht mehr zur Verfügung stehen. Schaut man auf die konkreten Zahlen einer aktuellen Studie der Böckler Stiftung, zeigt sich aber auch: Mit 24 Prozent Frauen und 16 Prozent Männern ist der Unterschied weit weniger groß, als man es in Anbetracht anderer Zahlen (10,4 Prozent Frauen in deutschen Vorständen, 26 Prozent Frauen in Führungspositionen und immerhin 31,8 Prozent Frauen in Aufsichtsräten) erwarten würde. Außerdem interessant sind in diesem Zusammenhang folgende Zahlen aus 2018: Während damals 48 Prozent der Frauen in Teilzeit arbeiteten, waren es nur 11 Prozent der Männer.
Mobiles Arbeiten und Homeoffice haben Schub erfahren
Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie bleibt eine Herausforderung für berufstätige Eltern und ist insbesondere für Frauen ein Karrierehemmnis. Neue Arbeits- und Führungsmodelle wie Homeoffice oder Führen in Teilzeit können helfen, diese Barriere für Frauenkarrieren aufzubrechen.
Durch die Corona-Krise können diese Modelle mehr Akzeptanz und eine weitere Verbreitung in Unternehmen erfahren. Auch das zeigt die Böckler-Umfrage: Während vor der Krise gerade einmal rund 4 Prozent der Befragten überwiegend zu Hause gearbeitet haben, sind nun 27 Prozent im Homeoffice.
Die Krise ist auch eine Chance für Frauenkarrieren
Das Homeoffice kommt krisenbedingt endlich aus der Schmuddelecke, weil es eben nicht gleichbedeutend ist mit Heimmütterchen am Herd, sondern vielmehr mit modernem, flexiblem, effizientem Arbeiten. In diesem massiven Umbruch steckt eine große, vielleicht einmalige Chance für Frauenkarrieren. Unternehmen müssen sich trauen, ihre Arbeits- und Unternehmenskultur neu zu denken – dafür muss auch Führung neu definiert werden und beispielsweise in Teilzeit oder im Tandem ermöglicht werden. Prof. Dr. Elke Theobald und Prof. Dr. Barbara Burkhardt-Reich ermutigen daher weibliche Fach- und Führungskräfte, in der aktuellen Krisensituation die eigene Karriere nicht auf Eis zu legen, sondern genau jetzt ihre Karriereperspektiven neu auszuloten, sich weiterzubilden und ihren nächsten Karriereschritt aktiv vorzubereiten. Das geht auch rein virtuell durch Instrumente wie Entwicklungsgespräche, Webinare oder ein Mentoring. Wenn Frauen diese Chance nutzen, wird sich Frau Allmendingers Schreckensszenario des Backlashs um drei Jahrzehnte hoffentlich nicht bewahrheiten.
Karriereportal & Netzwerk Spitzenfrauen-bw.de
Übergeordnetes Ziel des Projekts Spitzenfrauen BW ist es, den Frauenanteil in Führungspositionen in baden-württembergischen Unternehmen zu erhöhen. Seit 2011 richtet sich das Karriereportal Spitzenfrauen-bw.de an Frauen, die ihre Karriere voran bringen möchten. Mit seinem weitreichenden Informationsangebot und angeschlossenem Karrierenetzwerk hat sich das Online-Portal zu einem zentralen Forum für Karrierefrauen in Baden-Württemberg und darüber hinaus entwickelt. Statt Netzwerk- und Weiterbildungsveranstaltungen vor Ort organisiert das Projekt Spitzenfrauen BW seit der Corona-Krise die kostenfreie Webinar-Serie „Spitzenfrauen goes digital: Webinare rund um Frau & Karriere“, in der sich Frauen online für ihre Karriereentwicklung weiterbilden können. Außerdem gibt es ein Mentoring-Programm für weibliche Nachwuchsführungskräfte. Projektträger ist das Steinbeis-Innovationszentrum Unternehmensentwicklung an der Hochschule Pforzheim unter der Leitung von Prof. Dr. Barbara Burkhardt-Reich und Prof. Dr. Elke Theobald. Das Projekt wird durch das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF) und des Landes Baden-Württemberg unterstützt.