Franziska Ehret, Mentorin für bewussten Alkoholkonsum, begleitet insbesondere berufstätige Frauen zu einem reflektierteren Umgang mit Alkohol, Stress und Selbstfürsorge – ein Thema, das sie selbst gut kennt.
Es ist Abend. Es werden noch ein paar letzte Kleinigkeiten am Laptop erledigt, das Weinglas ist schon eingeschenkt. Für viele erfolgreiche Frauen gehört dieses abendliche Ritual zum Alltag – nicht aus Vergnügen, sondern aus Erschöpfung.
Zwischen Verantwortung, Druck und Eigenanspruch wird Alkohol zur Brücke zwischen „noch müssen“ und „endlich dürfen“. Was zunächst harmlos erscheint, kann zur Gewohnheit werden – gerade weil nach außen alles funktioniert. Doch innerlich sieht es anders aus: Die Erholung bleibt aus, der Druck steigt, der Griff zum Glas wird regelmäßiger.
Ein stilles Thema mit lauten Folgen – das viele betrifft, aber kaum jemand offen anspricht. Karriere, Kinder, Kontrolle – und ein Glas zum Runterkommen
Viele Frauen leisten heute mehr denn je: beruflich ambitioniert, familiär eingebunden, gesellschaftlich engagiert. Die Verantwortung, all diesen Rollen gerecht zu werden, ist hoch – und kommt oft von innen wie außen. Der Druck, „es gutzumachen“, „alles zu schaffen“ und „für alle da zu sein“, weicht nur selten.
In genau diesen Momenten kann Alkohol zur scheinbar unkomplizierten Lösung werden. Ein Glas Wein am Abend, um abzuschalten. Ein Drink, um den Übergang vom Arbeits- in den Familienmodus zu erleichtern. Keine Eskalation, sondern ein stilles, alltägliches Ventil. Das Problem: Alles funktioniert, also wird dieses Ventil nicht hinterfragt. Es fehlt nicht an Disziplin – sondern an Raum für Reflexion und
alternativen Erholungsstrategien.
Hinzu kommt: Gerade Frauen sind oft Expertinnen darin, ihre eigenen Bedürfnisse hintanzustellen. Sie versorgen, organisieren, managen – und vergessen sich dabei selbst. Alkohol verspricht, für einen Moment all das auszublenden. Doch was kurzfristig entlastet, verschiebt langfristig das Gleichgewicht: Schlaf wird unruhiger, Erholung bleibt oberflächlich, die eigene Stimmung kippt unmerklich. Und weil der Alltag immer weiterläuft, fehlt oft der Anlass oder die Zeit, innezuhalten.
Diese Dynamik betrifft nicht wenige – sondern viele.
Besonders Frauen, die funktionieren. Die „alles im Griff“ haben. Und gerade deshalb nicht gesehen werden. Der Umgang mit Alkohol wird so zur verdeckten Bewältigungsstrategie – individuell, aber gesellschaftlich geprägt.
Warum der Schein trügen kann: Trinkverhalten als Stressbewältigung
Wer Leistung bringt, gilt nicht als gefährdet. Gerade erfolgreiche Frauen erleben ihren Alkoholkonsum nicht als problematisch – sie funktionieren ja. Der Alltag läuft, im Job stimmt die Performance. Es gibt keinen sichtbaren Kontrollverlust, den viele mit problematischem Trinken verbinden. Doch genau in dieser Subtilität liegt die Gefahr.
Ausstieg aus unbewusstem Alkoholkonsum: neue Routinen statt altem Muster
Hinter der Maske aus Stärke und Selbstbeherrschung sieht es nämlich oft anders aus: chronische Erschöpfung, ständige Reizbarkeit, ein diffuses Gefühl von Unzufriedenheit. Der Alkohol hilft, all das zu betäuben – leise, regelmäßig, funktional. Dabei ist der Übergang von einem ritualisierten Konsum zu einem ungesunden Muster oft fließend. Es braucht keine Eskalation, um langfristig Schaden zu nehmen
– es reicht, wenn etwas Wesentliches fehlt: echte Erholung, echte Entlastung, echter Raum für sich selbst.
Es braucht keinen Absturz, um innezuhalten. Aber es braucht Mut und Ehrlichkeit. Die Frage „Wie viel ist eigentlich noch okay?“ stellen sich Viele erst, wenn Körper oder Psyche Signale senden.
Hilfreich ist es, das eigene Trinkverhalten als Teil der Stressbewältigung und Alltagsroutinen zu verstehen – besonders bei erfolgreichen Frauen.
Wo entsteht Druck?
Wo fehlen Pausen?
Und wie kann Entlastung jenseits des Glases aussehen?
Manchmal reicht es schon, Routinen bewusst zu durchbrechen – oder überhaupt erst welche zu schaffen.
Statt des obligatorischen Glases am Abend kann auch ein Spaziergang helfen, ein Telefonat mit einer Freundin oder das bewusste Nichtstun.
Wichtig ist es, die alten, ungesunden Routinen mit neuen zu ersetzen, die ebenfalls ein Gefühl der Entspannung und des Stressabbaus geben.
Ein stilles Thema sichtbar machen
Neue Erholungsgewohnheiten entstehen nicht über Nacht – aber sie beginnen oft mit einer bewussten Entscheidung. Wer sich zudem mit anderen austauscht, merkt schnell: Ich bin nicht allein. Genau solche Räume braucht es – in Gesprächen, in Communitys, in vertrauensvollen Formaten.
Denn Veränderung beginnt selten im Stillen, sondern meist dort, wo jemand den Mut hat, offen zu sprechen. Und der erste Schritt ist oft einfacher, wenn jemand zuhört, der weiß, wie es sich anfühlt.
Alkoholkonsum bei erfolgreichen Frauen ist kein Randphänomen – sondern eine stille Realität mitten in der Gesellschaft. Gerade wer funktioniert, schaut nicht genauer hin. Doch genau dieses Hinschauen ist der erste Schritt zu einem gesünderen Umgang – mit Stress, mit Erwartungen, mit sich selbst.
Es geht nicht um kompletten Verzicht, sondern um Bewusstsein. Nicht um Schuld, sondern um Verständnis. Wer beginnt, ehrlich mit sich zu sein, schafft Raum für Veränderung – und manchmal entsteht dieser Raum erst im ehrlichen Austausch mit anderen. In meiner heutigen Arbeit begleite ich Frauen auf diesem Weg – nicht mit schnellen Lösungen, sondern mit einem offenen Ohr, einem sicheren Rahmen und dem Wissen: Veränderung beginnt oft mit einem Moment der Klarheit – und wird dann Schritt für Schritt möglich.
Franziska Ehret …
… ist Mentorin für bewussten Alkoholkonsum und begleitet insbesondere berufstätige Frauen dabei, ihren Umgang mit Alkohol zu reflektieren – ohne Schuld oder Scham. Als frühere Gastronomin und systemische Coachin kennt sie die Spannung zwischen Verantwortung, Erschöpfung und dem Wunsch nach Kontrolle – und weiß, warum gerade funktionierende Frauen oft besonders gefährdet sind.
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