Wechseljahre am Arbeitsplatz?
Ein Tabu, das sich die Wirtschaft nicht mehr leisten kann
Von Anke Sinnigen von wexxeljahre
Wechseljahre – jede Frau erlebt sie, doch in der Arbeitswelt bleiben sie oft unsichtbar. Dabei betrifft die hormonelle Umbruchphase aktuell rund 7,5 Millionen berufstätige Frauen, viele mit wachsender Verantwortung oder Führungsaufgaben. Die Folgen für Karrieren sind real – nicht, weil Frauen weniger leisten könnten, sondern weil Strukturen fehlen, die auf unterschiedliche Lebensphasen vorbereitet sind.
Was sich verändert – und was bleibt
Die hormonelle Umstellung rund um die Menopause beeinflusst bei vielen Frauen Energie, Schlaf, Konzentration und Stimmung. Doch nicht jede Frau erlebt die gleichen Symptome – und viele Beschwerden sind vorübergehend und lassen sich gut behandeln. Klar ist: Körperliche Veränderungen machen Frauen nicht weniger kompetent. Was sie brauchen, sind klare Strukturen und Unterstützung, um ihre Leistungsfähigkeit zu erhalten – durch flexible Arbeitszeiten, medizinisches Wissen und eine Unternehmenskultur, die weibliche Biografien mitdenkt.
Leadership stärken trotz hormoneller Veränderungen
Wer in dieser Phase Führungsverantwortung trägt, braucht kein Mitleid – sondern Rückhalt, Flexibilität und ein Arbeitsumfeld, das individuelle Bedürfnisse versteht und professionell darauf reagiert. Späterer Arbeitsbeginn nach schlaflosen Nächten, eine gut organisierte Vertretungslösung, gezielte medizinische Begleitung und ein unterstützendes Teamumfeld können den entscheidenden Unterschied machen. Gute Führung bedeutet nicht, immer stark zu sein – sondern zu wissen, wann Unterstützung notwendig ist. Das gilt auch für sich selbst.
Ein wirtschaftliches Thema, kein Wohlfühlprogramm
Die Wechseljahre sind kein Privatthema. Sie sind ein wirtschaftlicher Faktor – und eine Frage der Gleichstellung. Jede zehnte Frau zieht sich frühzeitig aus dem Berufsleben zurück, fast ein Viertel reduziert die Arbeitszeit.[1] Viele bewerben sich nicht mehr auf Führungspositionen – nicht aus Desinteresse, sondern weil Strukturen fehlen, die sie in dieser Phase gezielt unterstützen. Unternehmen verlieren damit geballte Erfahrung, loyale Mitarbeiterinnen – und zahlen dafür: bis zu 50 % eines Jahresgehalts pro unbesetzter Stelle. Und die Kosten für die deutsche Volkswirtschaft belaufen sich auf rund 9,4 Milliarden Euro jedes Jahr.[2] Wer kann sich das leisten?
Erfahrung stärken statt verlieren
Frauen in der Lebensmitte sind häufig teamstark, strategisch und erfahren – gerade in komplexen Veränderungsprozessen sind sie eine tragende Säule. Sie führen Teams, bringen Perspektiven ein, die andere noch entwickeln, und verbinden Fachwissen mit Leadership. Doch zu oft fehlt die passende Infrastruktur, um dieses Potenzial sichtbar zu machen: klare Ansprechpartner:innen, flexible Arbeitsmodelle, gezielte Förderung. Statt Karriereschritte zu begleiten, werden Frauen in dieser Phase häufig übersehen oder als „fertig entwickelt“ betrachtet – ein wirtschaftlicher und kultureller Blindspot. Wer hier ansetzt, gewinnt doppelt: Loyalität, Kompetenz und Führungskraft – jetzt und für die Zukunft.
Wechseljahre auf Führungsebene denken
Besonders problematisch ist: In Führungsetagen fehlen oft Erfahrungswerte. Nur knapp 29 % aller Führungspositionen in Deutschland sind mit Frauen besetzt – Frauen zwischen 45 und 60 sind deutlich unterdurchschnittlich vertreten.[3] Dadurch fehlt nicht nur Empathie im Management – es fehlen schlicht Stimmen, die das Thema überhaupt adressieren. Die Folge: Leistungsabfall wird fehlinterpretiert, Beschwerden bagatellisiert, Rückzug individualisiert. Die Lösung: Aufklärung, gezielte Angebote – und ein Kulturwandel, der Frauen in allen Lebensphasen stärkt.
Netzwerke als Ressource für Kraft und Richtung
Austausch schafft Sichtbarkeit. Wer sich mit anderen Frauen vernetzt – im Unternehmen oder extern –, gewinnt Perspektiven, Wissen und Rückhalt. Ob Mentoring, Gesprächsrunden oder digitale Netzwerke: Unterstützung entsteht nicht zufällig. Und sie beginnt oft mit einer einfachen Frage: „Wie geht es dir – und was hilft dir?
Handlungsfähig in den Wechseljahren. Was Frauen konkret tun können:
Wissen aneignen: Verstehe, was in deinem Körper passiert – hormonell, psychisch, physisch. Je mehr du weißt, desto gezielter kannst du handeln.
Ärztliche Beratung suchen: Lass dich fundiert beraten – zu Hormonen, pflanzlicher Therapie, Ernährung oder Bewegung. Du musst da nicht allein durch.
Offenheit wagen (wo möglich): Sprich mit Vertrauenspersonen im Team oder Vorgesetzten über deine Bedürfnisse. Wer nichts sagt, bleibt unsichtbar.
Eigene Grenzen ernst nehmen: Du musst nicht immer auf Hochleistung laufen. Achte auf Schlaf, Erholung, Ernährung – sie sind die Basis für alles andere.
Training und Ernährung anpassen: Muskelaufbau, Proteine, Magnesium und Omega-3-Fettsäuren helfen, Kraft und Konzentration zu stabilisieren.
Nimm Pausen in Anspruch: Powernaps oder kurze Spaziergänge am Tag steigern Fokus und Resilienz.
Homeoffice und flexible Arbeitszeiten nutzen: Verzichte auf Präsenztermine, wenn du deine Arbeit besser zu Hause erledigen kannst. Priorisiere deine Erholung nach einer unruhigen Nacht und geh später ins Büro.
Fokus setzen: Was brauchst du wirklich, um leistungsfähig zu bleiben? Manchmal sind kleine Veränderungen (z. B. flexiblere Arbeitszeiten) ein großer Hebel.
Back-up organisieren: Wer kann dich vertreten, wenn du aufgrund von gesundheitlichen Einschränkungen ausfällst?
Was Unternehmen konkret tun können
Arbeitgeber, die handeln wollen, können sofort loslegen. Viele Maßnahmen sind niedrigschwellig, kostengünstig und wirksam:
Awareness schaffen: Schulungen für Führungskräfte und HR, interne Vorträge oder Intranet-Beiträge
Angebote schaffen: Sprechstunden mit Fachärzt:innen, Gesundheitstage, Workshops zu Schlaf, Ernährung, Resilienz
Arbeitsbedingungen anpassen: Flexiblere Arbeitszeiten, Homeoffice-Möglichkeiten, Ruheräume, Zugang zu Hygieneartikeln
Strukturen etablieren: Interne Ansprechpartner:innen, „Menopause Champions“, Policies für lebensphasenorientierte Führung
Der richtige Zeitpunkt ist jetzt
Die Wechseljahre am Arbeitsplatz sichtbar zu machen, ist kein Trend – es ist ein längst überfälliger Schritt in Richtung echter Gleichstellung und nachhaltiger Personalpolitik. Wer dieses Thema auf die Agenda setzt, zeigt: Wir nehmen Frauen in ihrer ganzen Lebensrealität ernst. Wir investieren in Erfahrung, Loyalität und Führungsstärke. Und wir gestalten eine Arbeitswelt, in der Leistung nicht trotz Lebensphasen gelingt, sondern gerade durch sie an Tiefe, Erfahrung und Zukunftsfähigkeit gewinnt.
„Phasen der Wechseljahre – und was sich verändert“
- Der Zyklus wird unregelmäßiger
- Die Hormonspiegel schwanken stark
- Beschwerden wie Schlafstörungen, Stimmungsschwankungen, Hitzewallungen, Zyklusveränderungen (insgesamt gibt es mehr als 30 verschiedene Symptome, von denen viele nicht mit den Wechseljahren in Verbindung gebracht werden, Bsp. Gelenkschmerzen, Tinnitus oder Schwindel)
Menopause (durchschnittlich mit ca. 51 Jahren)
- Zeitpunkt der letzten Regelblutung
- Diagnose erst rückblickend nach 12 Monaten ohne Periode
Postmenopause (Zeitraum nach der Menopause)
- Hormonspiegel von Östrogen und Progesteron sind dauerhaft niedrig, auch das Testosteron sinkt
- Beschwerden können anhalten und/oder neue Symptome dazu kommen
- Veränderungen im Stoffwechsel, Knochendichte, Schleimhäute, Libido, Haut etc.
- Fokus auf langfristige Gesundheit besonders wichtig: Herz-Kreislauf, Knochen, Diabetes, kognitive Leistungsfähigkeit
Anke Sinnigen, unsere Autorin …
… ist Gründerin der Wissensplattform wexxeljahre. Die Menopause-Expertin klärt in Unternehmen und Organisationen zum Thema „Wechseljahre am Arbeitsplatz“ auf und sensibilisiert für Frauengesundheit. Die Medizinjounalistin ist eine der zentralen Akteurinnen für die Enttabuisierung der Wechseljahre in der Öffentlichkeit und möchte Frauen empowern, ihre Gesundheit stärker selbst in die Hand zu nehmen und hat dafür verschiedene digitale Informationsangebote aufgebaut sowie das Buch „Wechseljahre. Das Upgrade“ (Herder, 2024) veröffentlicht.
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[1] Studie „MenoSupport“; HWR Berlin 2023
[2] HWR Berlin, 2024
[3] Statistisches Bundesamt 2023; KfW Research, Fous Volkswirtschaft Nr. 455, 2024
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