Digitalisierung

Führungskräfte und Weiterbildner*innen werden Learnfluencer*innen

Von Silas Koch

Aktuell etabliert sich in der Weiterbildungsdebatte ein neuer Begriff: Learnfluencer*innen. Er ist eine Reaktion darauf, dass sich im Zuge der digitalen Transformation der Unternehmen auch deren Lernkultur und Kultur der Zusammenarbeit wandelt.

Der Change- und somit Lernbedarf in den meisten Unternehmen steigt und steigt – bereichsübergreifend. Deshalb kann er zumeist nicht mehr zeitnah mit zentral, beispielsweise durch die Personalabteilung organisierten Maßnahmen befriedigt werden; auch weil der Lernbedarf der Bereiche und Mitarbeiter laut Aussagen der Wiener Wirtschaftspsychologin Sabine Prohaska „immer spezieller bzw. individueller wird“.

Deshalb verlagert sich im Betriebsalltag die Verantwortung dafür, dass die erforderlichen Lern- und Entwicklungsprozesse erfolgen, „zunehmend auf die Führungskräfte bzw. sie obliegt der Eigenverantwortung ihrer Mitarbeitenden“. Sie müssen zunehmend selbst dafür sorgen, dass sie attraktive Arbeitnehmer sind und bleiben. Und ihre Arbeitgeber, die Unternehmen? Sie stehen vor der Herausforderung in ihrer Organisation, die hierfür erforderlichen Lernlandschaften und -kulturen zu schaffen.

Lernen wird ein integraler Teil des Arbeitsalltag

Das tun viele Unternehmen bereits meist Mithilfe der Digitaltechnik, denn sie haben erkannt: Mit Präsenzseminaren und -workshops allein gelingt uns der angestrebte Change nicht. Denn sie erfüllen in der modernen Arbeitswelt, in der das Lernen ein kontinuierlicher Prozess sein sollte, die erforderlichen Voraussetzungen nicht mehr; unter anderem, weil sie nicht flexibel genug handhabbar sind.

So erfordern zum Beispiel Präsenzseminare stets eine längere Vorbereitung. Sie sind zudem oft mit tagelangen Abwesenheiten im Betrieb sowie zeitraubenden An- und Abreisen verknüpft. Außerdem lassen sie sich, wie Barbara Liebermeister, die Leiterin des Instituts für Führungskultur im digitalen Zeitalter (IFIDZ), Wiesbaden, betont, häufig „nur schwer in die prall gefüllten Terminkalender der Teilnehmer integrieren“. Ähnliches gilt für Präsenzcoachings. Auch sie sind meist von langer Hand beplant. Deshalb lässt sich mit ihnen oft nur schwer auf den akuten Bedarf der sogenannten Coachees, also Coachingteilnehmer, reagieren.

Deshalb setzen die Unternehmen bei ihrer Personalentwicklung verstärkt auf digitale Lernformate, die ihren Mitarbeitern ein zeit- und ortsunabhängiges Lernen ermöglichen. Die moderne Informations- und Kommunikationstechnik bietet zahlreiche Möglichkeiten hierzu. Mit ihr lassen sich Lernprozesse, so Hans-Peter Machwürth, nicht nur interaktiver und individueller, sondern oft auch effektiver gestalten; insbesondere dann, wenn sie mit den traditionellen Lehr- und Lernmethoden verknüpft werden, wozu der Inhaber des Beratungsunternehmens Machwürth Team International (MTI), Visselhövede, auch die elektronischen Lernplattformen zählt, mit deren Implementierung MTI 25 Jahre Erfahrung hat.

Doch den Mitarbeitern die erforderliche Lerninfrastruktur und die nötigen Lerntools zur Verfügung zu stellen, genügt in der Praxis oft nicht, um diese zu einem systematischen Lernen zu animieren; einem Lernen, das sich zudem an den Erfordernissen des Betriebs orientiert. „Das hat die Vergangenheit gezeigt“, betont Machwürth. Vielmehr muss das Gros von ihnen „gezielt zum Lernen animiert werden“. Zudem sollten die Mitarbeiter „in ihren Lern- und Entwicklungsprozessen unterstützend begleitet werden“.

Die moderne Führungskraft: „Learnfluencer“ und „Facilitator“

Deshalb etabliert sich Barbara Liebermeister zufolge, in der Weiterbildungslandschaft zurzeit gerade der Begriff „Learnfluencer“ – in Anlehnung an den Begriff „Influencer“, den man aus dem Social-Media-Bereich kennt. Als „Learnfluencer“ werden im betrieblichen Kontext die Personen bezeichnet, die darauf hinarbeiten,

  • die intrinsische Motivation der Mitarbeiter für das Lernen zu stärken,
  • das individuelle und kollektive Lernen in dem jeweiligen Bereich oder Unternehmen zu verzahnen und
  • in ihnen eine Lernkultur zu etablieren, die verstärkt auf Eigenverantwortung setzt.

Hierbei kann es sich außer um Führungskräfte, auch um firmeninterne Weiterbildner oder externe Berater, Trainer, Coaches handeln – also alle Personen, die in der betrieblichen Weiterbildung nicht selten auch als „Facilitator“, also Ermöglicher, bezeichnet werden. Dessen ungeachtet erachtet Barbara Liebermeister, die unter anderem das Buch „Die Führungskraft als Influencer:…“ schrieb, den Begriff Learnfluencer als mehr als ein neues Buzzword in der Managementdiskussion, „da er auch die Funktion umfasst, für ein eigenständiges und -verantwortliches Lernen und die hierfür erforderlichen Einstellungs- und Verhaltensänderungen zu werben“.

Führungskräfte haben auch eine Vorbildfunktion

Beim Etablieren einer neuen Lernkultur in den Unternehmen spielen die Führungskräfte stets eine Schlüsselrolle, „denn sie sind die zentralen Ansprechpartner der Mitarbeiter in ihrem Bereich“. Zudem prägen sie das Miteinander und die Zusammenarbeit in ihm. Darauf weist Stefan Jehn, Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Führungs- und Organisationsentwickler, Fulda, hin. Entsprechend wichtig sei es, dass die Führungskräfte als Vorbilder in Sachen Lernen für ihre Mitarbeiter fungieren. „Dies erfordert auch von ihnen nicht selten eine Einstellungs- und Verhaltensänderung.“ So sollten sich Führungskräfte im Dialog mit ihren Mitarbeitern auch stets selbst als Lernende präsentieren; also als Personen, „die sich ebenfalls in einem kontinuierlichen Lernprozess befinden, was sich außer in ihrer Bereitschaft, Gewohntes zu hinterfragen, auch in ihrem Weiterbildungsverhalten zeigt“, denn: „Wenn die Mitarbeitenden registrieren, dass auch ihre Führungskraft sich weiterbildet, werden auch sie hierzu animiert.“

Inwieweit eine Führungskraft bereits als Learnfluencer in ihrem Bereich agiert, zeigt sich im Betriebsalltag in vielen Punkten. Das zentrale Element ist und bleibt laut Barbara Liebermeister jedoch, „dass die Führungskraft sich im Kontakt mit ihren Mitarbeitenden bzw. Netzwerkpartnern erkennbar als eine Person präsentiert, die bestrebt ist, sich neues Know-how und neue Fähigkeiten anzueignen, um ihre Wirksamkeit zu erhöhen.“ Entsprechend offen sollten Führungskräfte auch über ihre eigenen Weiterbildungs- und Entwicklungsbedarfe – zum Beispiel aufgrund des sich wandelnden Umfelds – und ihre Lernaktivitäten sprechen.

Auf zwei weitere Punkte weist Stefan Jehn hin: Learnfluencer kreieren in ihrem Umfeld ein Milieu, in dem es erlaubt ist, Fehler zu machen, um hieraus zu lernen. „Denn wenn die Mitarbeitenden bei Fehlern sofort am Pranger stehen, trauen sie sich nicht, Neues auszuprobieren. Also findet letztlich weder bei ihnen noch in der Organisation eine Veränderung bzw. Entwicklung statt.“ Das Gegenteil hiervon wollen Learnfluencer jedoch, so Jehn. Also sind sie auch offen für ein konstruktives Feedback ihrer Mitarbeiter – „auch bezüglich ihres eigenen Verhaltens. Denn dieses hilft ihnen, Lernfelder bei sich zu entdecken sowie ihr Verhalten zu optimieren und so ihre Wirksamkeit zu erhöhen.“

Sich mit den digitalen Lerntools befassen

Dabei sollten Führungskräfte sich, wie Hans-Peter Machwürth erklärt, „jedoch stets bewusst sein, dass das Lernen in ihrer Organisation kein Selbstzweck ist. Es dient vielmehr dazu, die angestrebten Ziele sicher zu erreichen und dass jeder Beteiligte auch künftig seinen Beitrag hierzu leistet. Deshalb definiert eine Führungskraft, die sich als Learnfluencer versteht, außer für sich selbst, auch für ihr Team messbare Lern- und Entwicklungsziele – und zwar im Dialog mit ihren Mitarbeitern. Sie betrachtet zudem „das Lernen als einen integralen Bestandteil des Arbeitsalltags“. Deshalb schafft sie hierfür nicht nur im eigenen Kalender die nötigen Freiräume, sie sorgt auch dafür, dass ihre Mitarbeitenden „Lernphasen“ in ihre Arbeit integrieren können, denn so der erfahrene Personalentwickler: „Lernen erfordert stets Zeit.“ Das gilt auch für das Erfahrungslernen. Auch dieses setzt voraus, „dass man die erforderliche Zeit und Muße hat, um das Erfahrene bzw. Erlebte zu reflektieren – sei es alleine, im Team oder mit einem Coach.“

Auf einen weiteren Punkt weist die Wirtschaftspsychologin Prohaska hin, die Unternehmen dabei unterstützt, in ihrer Organisation eine neue Lernkultur zu etablieren: Learnfluencer beschäftigen sich intensiv mit den Möglichkeiten, die die Digitaltechnik sowohl für das individuelle Lernen als auch zum Gestalten neuer, interaktiver Lernumgebungen bietet – „sodass das individuelle Lernen in ein kollektives mündet“.

Sich als Führungskraft mit diesem Thema zu befassen, wird aus ihrer Warte immer wichtiger, weil die Zusammenarbeit und Kommunikation in den Unternehmen zunehmend netz- bzw. computergestützt erfolgt und die Teams der Führungskräfte immer häufiger hybride oder sogar virtuelle sind. Zudem sind insbesondere die nachrückenden Mitarbeiter der Generation X und Y es inzwischen gewohnt,

  • mit Kollegen – beispielsweise in Projekten – virtuell zusammenzuarbeiten und zu kommunizieren und
  • mit Hilfe digitaler Medien wie Lern- und Coachingapps zu lernen.

Deshalb erwarten sie heute ganz selbstverständlich, dass die Digitaltechnik auch in der betrieblichen Weiterbildung genutzt wird. Alles andere wirkt für sie „old-fashioned“.

Social Media sind wichtige Austausch-Foren

Eine immer wichtigere Rolle spielen beim Schmieden neuer, zeitgemäßer Lernarchitekturen die Social Media – speziell in Klein- und Mittelunternehmen (KMU), die über keine eigenen firmeninternen, digitalen Lern- und Kommunikationsplattformen verfügen. Sie sind heute, wie Sabine Prohaska betont, auch im beruflichen Kontext „ein mächtiges Werkzeug, um Menschen zu erreichen und zu inspirieren“.

So können Führungskräfte solche Plattformen wie LinkedIn, Instagram, YouTube und X zum Beispiel nutzen,

  • um Lerninhalte mit anderen Personen zu teilen,
  • Diskussionen hierüber zwischen und mit ihnen anzuregen und
  • Lern-Communities zu schaffen.

Sie können in ihnen beispielsweise regelmäßig für das Erreichen der Lernziele relevante Artikel, Videos oder Podcasts mit anderen Personen teilen. Zudem können sie in ihnen über ihre (Lern-)Erfahrungen und Erkenntnisse berichten und ihre Mitarbeiter dazu animieren, es ihnen gleichzutun, so dass im Team „ein authentischer Dialog entsteht, der das kollektive Lernen vorantreibt“. Dasselbe kann selbstverständlich auch auf firmeninternen Lernplattformen geschehen, sofern diese zur Verfügung stehen.

Das Lernen und Kommunikation hierüber stimulieren

Wichtig ist dabei, dass die Animation zum Lernen „mit System erfolgt“, betont Hans-Peter Machwürth. So zum Beispiel, weil die Führungskräfte oder involvierten Weiterbildner auf den genutzten Plattformen immer wieder Lernimpulse setzen, indem sie den Mitarbeitern sogenannte „Learning Nuggets“ senden. Hierbei handelt es sich um kleine, leicht verdauliche „Lernhäppchen“ deren Inhalte in kurzer Zeit auf- und verarbeitbar sind. Das können zum Beispiel für die Alltagsarbeit relevante Artikel, Videos, Infografiken oder Podcasts sein. Bei deren Auswahl sollten Learnfluencer jedoch darauf achten, dass visuell bzw. grafisch aufbereitete Inhalte für die meisten Menschen schneller und leichter aufnehm- und verarbeitbar sind als reine Textwüsten. Deshalb empfehlen sich speziell für komplexe Themen eher solche Bildmedien wie Videos. Dabei kann es sich themenabhängig sowohl um selbsterstellte Videos handeln als auch solche, die auf allgemein zugänglichen Plattformen wie YouTube stehen.

Wichtig ist es auch, in der Kommunikation immer wieder das Thema Lernen selbst zu thematisieren und die Mitarbeiter zu ermutigen, ihr Wissen zu teilen und voneinander zu lernen – beispielsweise indem sie Lern-Communities oder interdisziplinäre Arbeitsgruppen bilden. Dies kann außer in den Learning-Nuggets, auch in Mitarbeitergesprächen oder Teamsitzungen geschehen – und zwar unabhängig, davon, ob diese als Präsenzveranstaltungen oder online stattfinden. Denn letztlich lautet das übergeordnete Ziel aller Learnfluencer,

  • in ihrem Umfeld ein Milieu zu schaffen, das außer dem individuellen auch das kollektive Lernen fördert, und
  • dass in ihrem Verantwortungsbereich eine Lernkultur entsteht, in der jeder Einzelne intrinsisch motiviert, sich und seine Fähigkeiten weiterentwickelt.

Sich für die Transformation der Weiterbildung wappnen

Dass sich die Führungskräfte für das Entstehen einer solchen Kultur engagieren, ist laut Sabine Prohaska nicht nur nötig, weil

  • der Change- und Lernbedarf in den Unternehmen kontinuierlich steigt und
  • die nachrückenden Mitarbeiter der Generationen X und Y teils andere Erwartungen an die betriebliche Weiterbildung und Personalentwicklung als ihre Vorgängergenerationen haben.

Hinzu kommt: Ihres Erachtens stehen die Weiterbildung und Personalentwicklung aktuell „an der Schwelle einer beispiellosen Revolution, in der die Künstliche Intelligenz (KI) außer der Zusammenarbeit auch das betriebliche Lernen fundamental verändern wird“. Wie diese Transformation sich konkret gestaltet, das kann aktuell zwar noch niemand mit Gewissheit sagen, klar ist aber bereits: Mit Hilfe der Digitaltechnik, zu der auch die KI zählt, werden in den Betrieben ganz neue Lernlandschaften geschaffen werden. Und hierfür sollten die Führungskräfte und Weiterbildner in den Unternehmen sich wappnen … auch damit sie zu den Mitgestaltern der neuen Kultur und Struktur zählen und nicht von den Veränderungen überrollt und zur Seite gefegt werden.

Silas Koch

Zum Autor: Silas Koch, Darmstadt, arbeitet u.a. als Fachjournalist. Er ist auf IT- sowie Personal- und Organisationsentwicklungsthemen spezialisiert.

Vorheriger Beitrag

Beruflicher Erfolg in 5 Schritten

Den Arbeitsplatz gestalten für mehr Motivation und Produktivität
Nächster Beitrag

Den Arbeitsplatz gestalten für mehr Motivation und Produktivität

kein Kommentar

Hinterlasse eine Antwort

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.