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Der schnelle Weg zur Lohngerechtigkeit

Henrike von Platen gründete 2017 das FPI Fair Pay Innovation Lab, das Unternehmen bei der praktischen Umsetzung nachhaltiger Entgeltstrategien unterstützt. Die Wirtschafts- und Finanzexpertin ist Hochschulrätin, Dozentin und Buchautorin und engagiert sich für ein Ziel: Lohngerechtigkeit für alle. Foto Oliver Bethke

Von Henrike von Platen, CEO/ Founder FPI Fair Pay Innovation Lab

In diesem Jahr ist der Equal Pay Day im Kalender um einen Tag nach vorne auf den 17. März gerutscht, und fällt endlich einmal nicht auf den 18. März, wie in den Vorjahren – allerdings auch nur, weil 2020 ein Schaltjahr ist. Fortschritt sieht anders aus: Die Lohnlücke von 21 Prozent scheint seit Jahren wie in Stein gemeißelt, nichts scheint sich zu ändern an der Misere, dass Frauen weniger Geld verdienen als ihre männlichen Kollegen.

Dabei ist die Forderung nach Lohngerechtigkeit schon über 100 Jahre alt, der allererste Equal Pay Day fand vor mehr als 50 Jahren in den USA statt. Auch in Deutschland wird der Aktionstag in diesem Jahr bereits dreizehn Jahre alt. Doch verändert hat sich in all den Jahren viel zu wenig: In keinem einzigen Land der Welt wurde bislang Lohngerechtigkeit erzielt. Um nur zwei Prozentpunkte hat sich die Lohnlücke seit dem ersten deutschen Equal Pay Day 2008 geschlossen. Viel zu langsam. Wenn es in diesem Tempo weitergeht, dauert es nochmal hundert, ach was: zweihundert Jahre bis zur Gleichstellung von Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt!

Ruf nach fairer Bezahlung wird lauter

Dabei erforschte die Frauenrechtlerin Alice Salomon schon 1906 sehr gründlich „Die Ursachen der ungleichen Entlohnung von Männer- und Frauenarbeit“. Und spätestens als die Anwältin Lena Madesin Phillips 1930 die Business Professional Women gründete, begann der Ruf nach fairer Bezahlung lauter zu werden: Wirtschaftliche Gleichstellung und Teilhabe waren von Anfang an zentrale Anliegen des Netzwerks berufstätiger Frauen. Schon bald wuchs das internationale Netzwerk, zu dem heute 25.000 Frauen in 107 Ländern gehören.

In den 1960ern verschafften sich die Frauen mit einer groß angelegten Kampagne in den USA bis ganz nach oben Gehör und sorgten für eine gesetzliche Grundlage für gleiche Bezahlung: 1963 unterzeichnete der damalige Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, John F. Kennedy feierlich den Equal Pay Act. Ein Meilenstein mit Signalwirkung.

Doch ein weiteres Vierteljahrhundert später war klar: Ein Gesetz allein genügt nicht. 1988 starten die Amerikanerinnen die Red Purse Campaign und gingen mit roten Taschen auf die Straße, um auf die roten Zahlen in den Geldbörsen der Frauen aufmerksam zu machen.

Initiative Rote Tasche

Daran knüpften die deutschen Business and Professional Women 2007 mit der Initiative Rote Tasche an. Ein Jahr später fand 2008 der allererste deutschen Equal Pay Day statt. Damals kümmerte sich noch Ursula von der Leyen als Familienministerin um „Familie und das ganze Gedöns“, wie Kanzler Schröder das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und abfällig genannt hatte. Von der Leyen setzte deutliche Signale: In Ihrer Amtszeit stand die Quote für Aufsichtsräte ganz oben auf der Agenda, und sie führte Elterngeld und Elternzeit ein.

Nur das Thema Bezahlung war lange keins, und die Equal Pay Day Aktionen wurden in den ersten Jahren oft belächelt. Männer wie Frauen begegneten der Kampagne mit Skepsis. Doch die Hartnäckigkeit der Business Professional Women machte sich bezahlt: Im Laufe der Jahre gelang es ihnen, ein Bewusstsein für die schon so lange existierende Lohnlücke und ihre weitreichenden Folgen zu schaffen. Seit 2011 wird die Kampagne vom Bundesfamilienministerium gefördert, inzwischen wird der Missstand jedes Jahr aus einer anderen Perspektive beleuchtet. In den ersten Jahren ging es vor allem um die Ursachen der Lohnlücke, sie sind inzwischen sehr gut erforscht: Unterschiedliche Qualifikationen, unterschiedliche Erwerbsbiografien, die unterschiedliche Präsenz von Frauen und Männern in bestimmten Berufen und auf den Hierarchieebenen, das alles führt zu Unterschieden in der Bezahlung.

Das größte Verdienst: Es wird endlich nicht mehr infrage gestellt, dass es überhaupt eine Lohnlücke gibt. Seit ein paar Jahren geht es endlich darum, wie sich die Lücke möglichst zügig schließen lässt.

Equal Pay Day und die statistische Bereinigung

Doch neue Gegenwehr ist erwacht – infrage gestellt wird nun vor allem die Höhe der berechneten Lohnlücke und der Rechengang der Equal Pay Day Aktivistinnen. Dazu werden die Unterschiede in der Bezahlung von Männern und Frauen statistisch „bereinigt“. Alle Faktoren, die die Ungleichbehandlung von Männern und Frauen erklären können, werden herausgerechnet, bis nichts oder kaum noch etwas von ihr übrigbleibt – als ließe sich die Ungerechtigkeit aus der Welt schaffen, indem man Gründe für sie findet.

Beispiel Teilzeit: Das Gehalt müsse ja logischerweise niedriger sein, wenn weniger geleistet wird. Bloß wird vom Statistischen Bundesamt eben nicht das Gehalt verglichen, das am Ende des Monats auf dem Konto landet, sondern der Stundenlohn der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten, vor Abzug von Steuern. Ja, Teilzeit ist ein Grund für Lohnunterschiede. Nein, ob jemand teilzeit- oder vollzeitbeschäftigt ist, rechtfertigt die Unterschiede in der Bezahlung pro Stunde keineswegs.

Statt die Lohnlücke zu bereinigen, wäre es also sehr viel besser, über den unerklärbaren Rest zu sprechen. Ohnehin geht die Argumentation, dass alles halb so schlimm sei, an der Lebensrealität der allermeisten Frauen gründlich vorbei: Sie sind es, die aussetzen, wenn Kinder kommen oder Angehörige Pflege brauchen. Manche bleiben ganz zu Hause. Rückkehrerinnen in den Beruf arbeiten oft in Teilzeit, und viele ohnehin in eher schlecht bezahlten Berufen.

Deutsche Männer verdienten 2018 im Schnitt 21,60 Euro pro Stunde, Frauen mit 17,09 Euro fast fünf Euro weniger, das ergibt den bereits erwähnten prozentualen Unterschied von 21 Prozent. In Arbeitstage umgerechnet sind das – bis zum Equal Pay Day – 77 Tage im Jahr, die Frauen unbezahlt arbeiten.

Erst der Vergleich der Nettoeinkünfte von Frauen und Männern zeigt das ganze Ausmaß der Schieflage: Weniger als jede vierte Deutsche verfügt über ein eigenes Einkommen von mehr als 1.500 Euro. Gut drei von vier Frauen im Alter zwischen 30 und 50 Jahren erzielen ein niedrigeres Nettoeinkommen. 39 Prozent der Frauen verdienen weniger als 1.000 Euro, und 14 Prozent verfügen über keinerlei eigenes Einkommen. Bei den Männern verhält es sich nahezu umgekehrt: 29 Prozent der Männer zwischen 30 und 50 Jahren verfügen über ein Einkommen von weniger als 1500 Euro, und fast jeder vierte erzielt ein Monatseinkommen von mehr als 2500 Euro.

Im Klartext: Sehr viele Frauen in Deutschland können ihren Lebensunterhalt nicht allein bestreiten und sind wirtschaftlich von anderen abhängig. Unterm Strich verfügen viele Frauen über kein oder nur über ein sehr kleines eigenes Einkommen, mit allen Auswirkungen auf die meist sehr viel geringere Rente und die Vermögensbildung.

21 Prozent Lohnlücke sind bloß die Spitze des Gleichstellungseisbergs.

Alle elf Minuten verrechnet sich ein Lohnlückenleugner

Photo by Arisa Chattasa on Unsplash

Dennoch wird den Initiatorinnen des Equal Pay Days Jahr für Jahr vorgehalten, dass sie nicht rechnen könnten. Schon zweimal wurde der Equal Pay Day zur „Unstatistik des Monats“ gekürt, eine Auszeichnung, die im Grunde auf einem Missverständnis beruht: Das kritisierende Institut berechnet den Equal Pay Day anhand der Tage, die Frauen aufs Jahr bezogen über den Jahreswechsel hinaus mehr arbeiten müssten, um das Gleiche zu verdienen wie die männlichen Kollegen, ausgehend vom Gehalt der Frauen. Tatsächlich bezieht sich die Berechnung aber auf die 21 Prozent des gleichen Jahres, die Frauen im Vergleich zu den Männern nichts verdienen, also gratis arbeiten, und zwar auf Basis des Gehalts der Männer.

Doch die Lohnlücke zu leugnen oder kleinzurechnen ist bedauerlicherweise ein extrem gut funktionierendes Ablenkungsmanöver. Je widersprüchlicher argumentiert wird, desto weniger wird über Lösungen und Strategien gesprochen – ganz ähnlich wie vor nicht allzu langer Zeit noch beim Thema Tabakkonsum oder bis heute, wenn es um den Klimawandel geht. Wo kein Problem, da auch kein Handlungsbedarf – alte Regel der Status quo Verfechtung.

Und zwar nicht nur von Seiten männlicher, sondern auch Frauen. Journalistinnen, die den Gender Pay Gap als Fake News bezeichnen oder meinen, dass jede Frau ihres eigenen Glückes Schmiedin sei. Von Influencerinnen, die finden, dass Frauen sich bloß selbst im Weg stehen oder es eben nicht anders wollen. Und allen Lohnlückenleugnern voran eine ehemalige deutsche Familienministerin, die 2013 ihr Amt niederlegte, um sich ganz ihren Kindern zu widmen – eine vollkommen legitime Entscheidung, die sie nach eigenem Bekunden auch nie bereut hat. Doch beklagt die Ministerin a.D. bei jeder Gelegenheit, wie schwer es ihr jedes Jahr gefallen sei, am Equal Pay Day etwas über ungerechte Bezahlung zu sagen: Ihrer Ansicht nach gebe es überhaupt kein Problem, schließlich würde doch jede Frau für sich selbst entscheiden.

Nur sehen sich Frauen, die Kinder bekommen oder Angehörige pflegen, die Teilzeit arbeiten oder den „falschen“ Beruf gewählt haben, mit Herausforderungen konfrontiert, für die sie nicht die geringste Verantwortung tragen. Strukturelle Hürden lassen sich nur schwer überwinden – noch nicht einmal von Frauen, die sich gegen Kinder, für eine Vollzeitstelle oder für einen MINT-Beruf entscheiden. Wollen wir wirklich ein System, in dem Frauen es trotz allem schaffen? Oder, um es mit Gloria Steinem zu sagen: „If the shoe doesn’t fit, must we change the foot?“

Lohngerechtigkeit: Auf Augenhöhe verhandeln?

Das diesjährige Motto des Equal Pay Days lautet: „Auf Augenhöhe verhandeln – wir sind bereit“. Tatsächlich nahm man lange an, dass das mangelnde Verhandlungsgeschick von Frauen zum Gender Pay Gap beitrüge. Doch das Problem liegt eigentlich woanders. Forderungen von Frauen werden anders bewertet als die von Männern. Eine zielstrebige Frau gilt nicht als durchsetzungsstark, sondern als zickig. Erfolgreiche Männer finden wir attraktiv, erfolgreiche Frauen sind uns suspekt, wir finden sie unsympathisch und möchten eher nicht mit ihnen zusammenarbeiten. Schuld am schlechten Verhandlungsergebnis sind die Klischees in unser aller Köpfen, der sogenannte Gender Bias: Vor den eigenen unbewussten Vorurteilen ist – ob Chefin oder Personaler oder Beschäftigte – niemand von uns gefeit.

Gehaltsverhandlungsseminare können eine individuelle Abkürzung zur Lohngerechtigkeit sein, keine Frage. Doch wenn wir die Lohnlücke endlich schneller schließen wollen, brauchen wir andere Strukturen. Wir brauchen Unternehmen, die klischeefreie, neutrale und objektive Entgeltsysteme für alle Beschäftigten schaffen. Wo ein Wille ist, fair zu bezahlen, braucht es dafür noch nicht einmal Gesetze. Um Veränderungen anzuschieben, gehören Sätze wie „Aber das wusstest du doch vorher!“ oder „Musst du halt verhandeln lernen!“ ein für alle Mal auf die Lohnlückenlügendeponie. Zusammen mit all den rückwärtsgewandten Ministerinnen und unverbesserlichen Dinosauriern, die allen Ernstes behaupten, dass die Frauen schließlich selbst schuld seien an der Misere, die es in ihren Augen gar nicht gibt. Damit wir den Equal Pay Day so bald wie möglich gar nicht mehr brauchen.

 

Mehr über den FPI finden Sie hier.

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