Aktuelles

Gründerzahlen sinken – Warum bloß?

Ein Kommentar

Spiegel online hat es heute öffentlich gemacht: Die Zahl der Neugründungen in Deutschland geht zurück. Waren es 2010 noch 417.000 Gründungen, liegt die Zahl für 2014 um gute 100.000 niedriger. Das geht auf eine Nachricht der Rheinischen Post zurück, die sich auf  eine Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Grünen-Fraktion im Bundestag beruft.

Hatten wir vor einigen Tagen nicht die klare Botschaft von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel vernommen: Wir wollen uns mehr für Gründer einsetzen. Hieß es nicht immer wieder: Deutschland soll Gründerland werden, es muss ein neuer Gründergeist entstehen. Wie passen diese Zahlen und diese Aussagen zusammen? Gar nicht!

Laut den Grünen ist die Koalition Schuld an den Gründerzahlen

Grünen-Fraktionsvize Kerstin Andreae macht die Politik der Großen Koalition für den Rückgang der Anzahl verantwortlich.

„Die Bundesregierung redet viel über Innovation und Gründungskultur. Konkret tut sie allerdings kaum etwas, um die rückläufigen Gründungen in Deutschland abzuwenden“,

sagte die Grünen-Politikerin gegenüber der Rheinischen Post.

Das scheint tatsächlich der Fall zu sein: Wenn es Projekte gibt, die Gründerinnen und Gründern unterstützen sollen, dann sind die entweder speziellen Branchen vorbehalten oder einfach so heimlich veranstaltet, dass man entweder nur per Zufall darüber stolpert oder im Nachhinein eine „Hat stattgefunden“-Nachricht lesen muss. Ist der Sinn dieser teuren Aktionen, der: Wenig Besucher und somit wenig Gegenwind? Eine Frage, die sich angesichts z.B. von Gründerinnenfrühstücken für Gründerinnen in der IT-Branche mit geladenen Gästen in unregelmäßigen Abständen, durchaus stellt. Eine Veranstaltung des BMWi, die bislang im übrigen ausschließlich in Berlin stattfand. Ist das die Antwort zur vielzitierten Sichtbarmachung von Aktionen, Projekten und Veranstaltung für Gründerinnen und Gründer?

Tim Reckmann_pixelio.de

Tim Reckmann_pixelio.de

Das liebe Geld

Was mich zu einem weiteren Punkt bringt: Finanzielle Unterstützung für Gründer. KfW, Gründerkredite, Förderprogramme, Unterstützungen. Wer auf eine finanzielle Unterstützung angewiesen ist, der ist häufig verlassen. Monatelang müssen Businesspläne erstellt, Gutachten abgewartet und zuständige Kontaktpersonen aufgesucht werden.  Wer da keinen langen Atem hat, der kann gleich aufgeben und einpacken. Was nutzt mir ein Förderkredit der KfW, wenn ich nach 3 Monaten noch nicht mal ansatzweise gesagt bekomme, ob mein Unternehmen als unterstützenswert angesehen wird? Ausgebremst, demotiviert, desillusioniert.

Besonders wichtig sind die Förderungen, in denen Gründerinnen und Gründer Gelder zur Verfügung gestellt bekommen, die aber ausschließlich zweckgebunden ausgegeben werden dürfen. Wer braucht nach diversen Jahren in der Freiberuflichkeit und einer Gründung im Nebengewerbe denn einen Coach? Ich nicht! Und ich will Beratern und Coaches hier nicht die Kompetenz absprechen. Es ist sicher gut einen Mentor oder eine Mentorin zu haben, gerade am Anfang. Aber diese Art von Unterstützung ergibt sich meist, weil die Chemie stimmt und man voneinander profitiert. Bei den Förderprogrammen kommt es einem oft so vor, als würden davon eher die Coaches als die Gründerinnen profitieren, denn schließlich müssen sie ja 50% des Honorars aus eigener Tasche berappen. Und das, wo das Geld doch gerade am Anfang knapp ist.

Steuern sind das kleinste Übel

Abschreckend sei etwa auch, so bei Spiegel online zu lesen, dass Gründer im ersten Jahr die fällige Umsatzsteuer monatlich erklären und abführen müssten. Das sei „aufwendig und geradezu absurd“, sagte Andreae. Stattdessen sollten sie in den ersten beiden Jahren loslegen können, ohne von „Regeln und Bestimmungen“ erdrückt zu werden. Ganz ehrlich? Das ist nur ein ganz kleines Hindernis im Gegensatz zu all den anderen.

Was ist mit der ewigen Diskussion um den Status der Scheinselbstständigkeit? Wann gibt es hier klare Regeln? Dann das Gemunkel über eine Rentenversicherungspflicht für Selbstständige. Als wären man mit den horrenden Krankenkassenbeiträgen nicht schon genug gestraft. Ganz aktuell das Drama um die Berufshaftpflicht der Hebammen. Was bitte ist denn daran Förderung von Gründerinnen? Machen die zu wenig mit IT?

Und jetzt?

Ich fühle mich als Gründerin verraten und verkauft, weder unterstützt noch gewollt. Viel heiße Luft für was? Für nichts. Spart die Gelder für diese Programme ein und macht endlich was Sinnvolles damit! Gebt sie den Gründerinnen und Gründern, die wissen wahrscheinlich eher was damit anzufangen!

Vorheriger Beitrag

Jedes Startup beschäftigt im Durchschnitt 17 Mitarbeiter

Nächster Beitrag

Gründungsboom bei Genossenschaften

2 Kommentare

  1. 2. Juli 2015 at 10:33

    Auch wenn ich nicht zur Zielgruppe von SHEworks gehöre (gendermäßig), spricht mir der Artikel aus der Seele.

    Auf den Staat zu hoffen, damit Gründen ohne finanzielles oder soziales Risiko abläuft, ist sicherlich nicht der richtige Weg. Ich finde auch, daß es nicht Aufgabe des Staates (und damit des Steuerzahlers) ist, irgendwem irgendwelches Geld hinterherzuwerfen, nur damit er gründen kann. Schliesslich müsste man hier zumindest sicherstellen, dass nur Erfolg versprechende Gründungen gefördert werden – wie soll das durch einen Beamten beurteilt und verantwortet werden?

    Die Sache mit der Umsatzsteuer im ersten Jahr ist völliger Humbug, denn das ist immer auch ein Schutz des Gründers vor der allzu schnellen Pleite, ebenso wie die Einkommensteuer-Vorauszahlungen (siehe dazu z.B. Liquiditätsfalle Einkommensteuer für Existenzgründer). Es geht hier zum Einen darum, dass der Staat seinen Anteil am Gewinn des Unternehmers zeitnah eintreibt (solange das Geld noch da ist) und zum Anderen darum, dass nicht im zweiten Jahr plötzlich immense Summen vom Finanzamt gefordert werden – das würde vor allem die Gründungen total abwürgen, die das erste Jahr überleben.

    Das ganze Gerede von der Bürokratie, die das Gründen verkompliziert, ist am Thema vorbei. Wer natürlich gleich als Aktiengesellschaft startet und auf Investorenmillionen hin arbeitet, bürdet sich viel Bürokratie auf. Aber man kann auch klein und schlank starten und mit stark vereinfachten bürokratischen Auflagen arbeiten. Oft tut es ein Start als Einzelunternehmer oder als GbR, häufig trägt dies auch auf Jahre hin! Und: wenn es schief geht, sind nicht gleich auch noch große Kosten zur Abwicklung notwendig.

    Wir haben ein ganz anderes Problem: Das Stigma des gescheiterten Unternehmers. Wer’s mal probiert hat und keinen Erfolg hatte, wird schief angesehen, vielleicht sogar auf der Jobsuche benachteiligt. Kann die Politik daran etwas ändern? Ich bin skeptisch.

    Ein weiteres Problem ist unsere Einstellung zur Familie, und hier könnte der Staat etwas tun – wenn er wollte. So lange z.B. in einer so genannten Ganztagsschule vor allem Sportvereine für eine Nachmittagsverwahrung von Kindern eingespannt werden, und solange jede zusätzliche Betreuungsstunde nochmals extra zu bezahlen ist, und solange man nach einem 8-9-Stunden-Schultag noch immer der Hauptverantwortliche zur Hausaufgabenbetreuung ist, sind die ganzen schönen Reden von der Familienförderung in Deutschland reine Luftvergeudung. Das bremst Arbeitnehmer und Gründer gleichermaßen aus.

  2. 2. Juli 2015 at 11:22

    Lieber Herr Tuchel,
    wir freuen uns über jeden Leser und über konstruktiven Austausch. Hier geht es ja auch nicht um genderspezifische Fakten. 😉
    Dieses Thema ist eigentlich unerschöpflich, aber solange immer nur die gleichen Leute an entscheidender Stelle darüber diskutieren und „Handlungsempfehlungen aussprechen“ ist eine Änderung der Situation kaum in Sicht.