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Annika Grosse von Avanade, Anbieter für digitalen Service: Mädchen können alles erreichen

Annika Grosse verantwortet bei Avanade, einem Anbieter digitaler Services, Geschäfts- und Cloud-Lösungen, als Führungskraft den Bereich Datenanalyse und Künstliche Intelligenz (KI) in Europa. In dieser Rolle unterstützt sie Kundinnen und Kunden unter anderem bei der Digitalen Transformation mit Hilfe einer verantwortungsvollen Nutzung von Daten und KI. Die Redaktion von SHE works hat sie zu ihrer Karriere im High-Tech-Sektor befragt.

Frau Grosse, damit unsere Leserinnen und Leser Sie besser kennenlernen: Wie sieht denn Ihr Arbeitsalltag aus?

Es gibt mehrere Rollen für mich, interne und externe, die mischen sich natürlich im Kalender. In einem Kundenworkshop im Gesundheitswesen, an dem ich eben noch teilgenommen habe, haben wir versucht zu erarbeiten, wie eine durchgängige Sicht auf den Patienten ermöglicht werden kann, um bessere Serviceangebote machen zu können. Die Herausforderung hierbei ist meist nicht technisch, sondern nicht durchgängige Geschäftsprozesse oder gesetzlichen Rahmenbedingen, wie Daten genutzt werden dürfen. An solchen Stellen helfe und berate ich gemeinsam mit meinen Kollegen bei der Suche nach Lösungen, fachlich und technisch. Je nach Projekt, bin ich auch in der Umsetzung, im Rahmen eines Lenkungsausschusses, meist als verantwortlicher Sponsor von Avanade vertreten. Und wenn es darauf ankommt, tausche ich mich auch täglich mit den Entwicklern aus, im Rahmen täglicher sogenannter Stand-ups. Bei diesen kurzen Meetings werden die Prioritäten für den Tag mit dem Team geplant. Neben solchen Aktivitäten finden sich in meinem Kalender aber auch Vertriebsaktivitäten, Personalgespräche, Strategieplanungen für meinen Bereich, ich führe Bewerbungsgespräche und arbeiten Strategien für die Rekrutierung von weiteren Talenten, verfolge meine Geschäftszahlen … Wir machen regelmäßige Team-Meetings mit den gesamten europäischen Führungsteam, ich halte Vorträge auf Konferenzen und vieles mehr. Grundsätzlich stehen aber unsere Kunden und ihre aktuellen Herausforderungen in ihrer Branche im Vordergrund. Wir wollen relevant sein und betrachten Technologiekompetenz nicht als Selbstzweck, sondern möchten einen echten Businessnutzen erzielen, messbar.

Annika Grosse von Avanade: Mädchen können alles erreichenFrauen weichen oftmals vor High-Tech-Themen zurück. Warum ist bei Ihnen das Gegenteil der Fall?

Wir können mit Technologie viele wichtige Themen dieser Welt anpacken, wie das Beispiel im Gesundheitswesen gut zeigt. Natürlich gibt es da noch viel mehr. Unter anderem hat Avanade ein Projekt in Schottland mit unserem Kunden SSE begleitet, bei dem KI dabei geholfen hat, die Auswirkungen von Windparks auf das Ökosystem zu untersuchen. Dabei haben wir Daten von verschiedenen Quellen gesammelt und einen sogenannten Digitalen Zwilling entwickelt, mit dem wir die reale Welt simulieren können. Im ersten Schritt haben wir geholfen, dass ein Windpark eine Kolonie lokaler Papageientaucher nicht beeinträchtigt. Da haben wir die Daten über die Bewegungen und das Verhalten der Vögel gesammelt, ausgewertet und in ein Modell zur Simulation überführt. Jetzt gehen wir einen Schritt weiter und sammeln Daten – Bild, Video etc. – kompletter Ökosysteme, um den Einfluss von Windparks noch besser simulieren und abschätzen zu können. Wenn ich sehe, dass solche innovativen Technologie-Projekte erfolgreich gelingen und etwas positiv in der Welt verändern, motiviert mich das. Ich möchte, dass meine Arbeit relevant ist. Das geht natürlich auch in nicht-technologischen Berufen, aber meine Botschaft ist: Technologie und Daten sind so spannend und eröffnen so viele Möglichkeiten, die Welt ein bisschen besser zu machen, dass es für viele Frauen eine tolle berufliche Perspektive sein kann.

Warum sollten sie das aus Ihrer Sicht?

Diverse Teams sind erfolgreicher, und Vielfalt steht in unserer Unternehmenskultur im Mittelpunkt, deshalb fördern wir sie in allen Bereichen. Aus diesem Grund haben wir auch einen Fokus auf die Rekrutierung von Frauen. Tiefe Erfahrungen im Technologiebereich stehen dabei oft gar nicht im Vordergrund. Wichtig kann auch eine gute Expertise in einer Branche sein, und die Offenheit, Neues zu lernen, da wir für unsere Kunden fachliche Lösungen mit messbarem Businessnutzen entwickeln wollen. Wir suchen die richtigen „Potentials“ mit einem echten „Growth Mindset“. Ladies, nutzt die vielfältigen Programme, die es gibt, den neuen, spannenden Technologien näher zu kommen! Nicht „Ich kann das nicht“ – „Ich kann das NOCH nicht 😊!

Ein gut gemeinter Rat, aber ist das denn praktisch umsetzbar?

Ja, absolut. Es gibt wie gesagt viele Unternehmen, die entsprechend ausbilden und fördern. Bei Avanade haben wir zum Beispiel das Techionista Academy Programm, um Frauen, die keinen starken Background im Bereichen Daten und KI haben, die Chance zu geben, voll bezahlt über mehrere Wochen ausgebildet zu werden. Und es gibt viele mutige Frauen! Wir haben in vier Wochen europaweit über 800 Bewerbungen erhalten und viele Kandidatinnen gefunden, die jetzt gerade in unserer Akademie für die neuen Rollen trainiert werden. Dabei werden nicht alle Teilnehmerinnen später täglich mit Programmierung und Coding zu tun haben. Moderne IT-Projekte brauchen vielfältige Rollen … Berater mit Branchenwissen, Business-Analysten, Projektleiter, Designer, Architekten und viele mehr. Aber es gibt viele, die die Technologie nicht mehr loslassen, wenn die erste Hürde genommen ist.

Wer es kann, dem fällt es sicher leicht …

Das stimmt einerseits, andererseits ist es nicht so schwer, etwas in diese Richtung zu lernen. Ich habe zum Beispiel mit meiner Tochter im Urlaub einmal eine App programmiert. Seitdem kann sie das auch alleine. Ich wollte ihr eigentlich nur zeigen, welche Daten viele Unternehmen durch solche Apps abfragen und verwenden, sie also sensibilisieren. Und ich selbst bin ja trotz meines Informatikstudiums auch keine Programmiererin mehr im eigentlichen Sinne. Das ist mir ein wichtiges Anliegen, in kleinen Schritten auch schon die junge Generation für Technologie zu begeistern und mitzunehmen. Und es freut mich total, dass meine Tochter jetzt aus Spaß mit einigen Freundinnen an einem Girls-Hackathon teilgenommen hat, um sich weiter mit Technologie zu beschäftigen, ohne Berührungsängste. Eltern müssen hier nicht selbst immer Experten sein. Aber sie können ihre Kinder motivieren, sich mit Technologie zu beschäftigen und zum Beispiel an Hackathons teilzunehmen und die Chancen dieser Welt zu entdecken. Nur so entstehen Interesse und Begeisterung, die sie in der Berufswelt von morgen brauchen werden.

Das ist ein leidenschaftliches Plädoyer. Haben denn Ihre Eltern auch etwas getan, um die Begeisterung bei Ihnen zu wecken?

Tatsächlich ist das so. Mein Vater war als Informatiker tätig. Er hat an „sein Mädchen“ geglaubt, und er war damals schon der festen Überzeugung, Mädchen können alles erreichen, was sie wollen. Das hat mich stark gemacht, und ich habe nach dem Informatik-Studium schnell meinen eigenen Weg gefunden. Ich verstehe die Technik, interessiere und begeistere mich dafür. Für meine tägliche Arbeit wollte ich aber noch mehr, wollte mich eben nicht ausschließlich in der Tiefe mit Code beschäftigen, sondern mit seinen Möglichkeiten in der Breite. Ich bevorzuge sozusagen die Schnittstelle und hole diejenigen ab, die mit Technik arbeiten wollen. Die Frage, wie Technik im echten Leben praktisch zur Anwendung kommen kann, die packt mich. Wie kann man’s machen, wie kann es gelingen?

Auf diesem Weg gab es aber doch sicher auch einmal Hindernisse? Welche negativen Erfahrungen haben Sie im Hinblick auf Vorurteile gesammelt? Wie konnten Sie damit umgehen?

Sicher, das hat – leider! – schon in der Schule angefangen. Ich war damals das einzige Mädchen im Physik-Leistungskurs. Und der Lehrer hat mich gefragt, ob ich deswegen nicht lieber den Leistungskurs wechseln wolle. Zum Glück war ich stark genug und hatte das richtige Umfeld, um meiner Leidenschaft zu folgen, auch wenn es machmal schwierig wurde. In Summe hat mich jede dieser Erfahrungen stärker gemacht. Das Buch „IT-Girls“ meiner Kollegin Christiane Noll zeigt die Geschichten einiger beeindruckender Frauen – und damit, was möglich ist, wenn Frauen an sich und ihre Stärken glauben. Gleichzeitig ist es Mahnung, dass wir auf diesem Weg noch ein Stück zu gehen haben.

Können Sie jungen Eltern auf besagtem Weg noch weitere Ratschläge geben, damit sie ihre Kinder stärken und ihnen Interesse an Tech-Themen vermitteln?

Hilfreich ist, das Ganze nicht verkrampft, sondern mit Spaß anzupacken. Je anschaulicher, desto besser. Ich selbst hatte zum Beispiel früh einen kleinen Dino zu Hause, der mit seiner KI gemeinsam mit Kindern spielen konnte und interaktiv Geschichten erzählte. Lange vor Siri und Alexa. Heute kann man sich kleine Roboter mit wenigen Bauteilen selber zusammenbauen und mit wenig Aufwand auch die ersten Schritte mit künstlicher Intelligenz trainieren. Auch Schulen bieten hier ja zum Glück immer mehr Projekte und Aktivitäten. Ich finde es wichtig, dass wir als Eltern immer selbst neugierig und für neue Technologien aufgeschlossen bleiben. Dass wir versuchen, gemeinsam als Familie Neues zu entdecken. Es gibt inzwischen so viele Angebote von kleinen Robotern, über ein gemeinsames Projekt in der Schule bis hin zu Unternehmen, die einen Wettbewerb ausrichten. Es kann auch eine wertvolle Erfahrung und hilfreiche Sache sein, die Großeltern zu aktivieren. Ich selbst habe meine eigene Mutter mit ihren damals 75 Jahren zu einem Hackathon mitgenommen. Jetzt stellen Sie sich einmal vor, nur ein Bruchteil aller Omas in diesem Land würde ihren Enkelinnen und Enkeln von einem Hackathon vorschwärmen …

Nun blicken wir ja mindestens auf eine ganze Generation, die aufgrund ihres Alters nicht mehr unbedingt von solchen Tipps profitieren kann. Welche Ratschläge können Sie den jetzigen älteren Schülerinnen, Studentinnen oder Absolventinnen im Hinblick auf die Berufswahl geben, natürlich vor dem Hintergrund, dass Tech eine attraktive Option ist?

Das mag jetzt überraschen, aber mein Rat ist, „sich nicht zu stressen“. Wer einen Weg einschlägt, ist nicht festgelegt, heute weniger denn je zuvor. Spätere Wechsel sind nicht nur möglich, sondern oft gut und immer öfter sogar von Vorteil oder gar erwünscht. Insofern ist ein wenig Vertrauen wichtig, dass sich Dinge auch einmal ergeben werden. Nicht alles muss gesteuert und minutiös vorausgeplant werden. Viel wichtiger ist, ein offenes Auge für Chancen zu behalten und zu erkennen, wer man selber ist, und welche Stärken man hat. Ein weiterer Tipp: Wo immer es geht, Feedback einholen von einem vertrauten Umfeld, und aktiv nach Mentoren oder vertrauensvollen Ansprechpartnern suchen. Und dabei auch mutig an Menschen wenden, bei denen man sich eigentlich nicht zu fragen traut, die einen aber weiterbringen können.

Das gilt dann im Grunde somit sicher auch für Quereinsteigerinnen?

Genau. Wer sich verändern möchte, sollte das natürlich schon ein wenig aktiv anpacken – aber das kann eben durchaus heißen, erstmal die Augen aufzuhalten, zum Beispiel nach einem Unternehmensprogramm wie Techionista. Wer das Interesse und die Leidenschaft hat, kann den Einstieg über solche Programme schaffen. Aber selbst Initiativbewerbungen sind möglich. Makellose Lebensläufe, starre Karrierewege … sind heute bei den wenigsten Unternehmen gefragt. Anders ist eher Bereicherung und hilft zudem Unternehmen, eine Vielfalt von Stärken und Talenten auszuprägen, besser zu werden. Aber: Man muss bereit sein, sich auf Neues einzulassen und Neues zu lernen. Und vor allem heißt es, die richtige Einstellung mitzubringen, dass man es schaffen kann, dass Fehler zum Lernen dazugehören. Wichtig ist, kleine Schritte des Fortschritts wertzuschätzen und Hilfe im Team zu suchen, um schneller voranzukommen.

Vielen Dank für das Gespräch!

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