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Köpfe der Transformation: Julia Tiganj „Durch Zufall auf das richtige Fach gestoßen“

Das Ruhrgebiet hat sich auf den Weg zur grünsten Industrieregion der Welt gemacht. Ob nachhaltig oder smart: Es sind die Menschen, die mit ihrer Forschung die Metropole Ruhr zukunftsfähig und lebenswerter machen. Eine der Botschafterinnen des Projekts „Die Köpfe der Transformation“ ist Julia Tiganj. Im Interview mit SHE works! sprach sie über Frauen in der Wissenschaft.

Julia, du bist wissenschaftliche Mitarbeiterin für Reaktivierung und Transition an der Technischen Hochschule Agricola in Bochum. Was ist für Dich das Spannende an Deinem Beruf als Wissenschaftlerin?

Spannend an meinem Beruf ist für mich ganz klar aktiv an Lösungen mitzuarbeiten und somit einen Beitrag für die Forschung und bestenfalls auch für die Gesellschaft leisten zu können. Bezogen auf meinen Forschungsfokus der Reaktivierung und Transition stehen hier natürlich die vielen Möglichkeiten im Vordergrund – in meinem Fall die Metropole Ruhr zukünftig zu einem noch attraktiveren, grüneren und nachhaltigeren Standort zu entwickeln.

Hier beschäftige ich mich regional mit einzelnen Industriestandorten und auch den Menschen, die dort wohnen. Hier bedarf es Aufklärung, transparenter Kommunikation und auch Mitnahme für Entwicklungskonzepte.

Wie sah dein Weg in die Wissenschaft aus?

Mein persönlicher Weg in die spezifische Wissenschaft rund um Bergbau und Energie ist vielleicht für den einen oder die andere ganz interessant – letztlich bin ich nämlich durch Zufall darauf gestoßen, als ich für mein Pflichtpraktikum im Studium mehrere Abteilungen durchlaufen habe. Hierbei war das Forschungszentrum Nachbergbau meine letzte Station. Auf Anhieb hat es mir dort gut gefallen und zum ersten Mal habe ich mich ernsthaft für Themen rund um Bergbau interessiert. Kurz nach meinem Abschluss entstand der Forschungsbereich Reaktivierung und Transition, wo ich mich nun genau den Schwerpunkten regionaler, nationaler, europäischer und chinesischer Bergbau hinsichtlich ökonomischer, politischer und sozialer Auswirkungen beschäftige.

Nun mache ich mittlerweile meine Promotion – alles ist möglich, wenn man seinen eigenen Weg geht.

Warum hat das Thema „Transformation“ einen so hohen Stellenwert für Dich?

Nichts steht still, weder die Welt, noch wir – und wir sind immer wieder gezwungen, uns an Umstände anzupassen. Transformation wird in nahezu jedem unserer Lebensbereiche immer wieder notwendig. Als Kind des Ruhrgebiets ist dies eine riesige Spielwiese, um an Transformation mitzuwirken und seinen eigenen Spirit einzubringen.

Wir sind so reich an Industrie und Kultur, die wir nutzen können. Sei es nun, dass wir aus vorangegangenen Fehlern lernen und es zukünftig besser machen möchten – oder ob wir beispielsweise Ressourcen und Kosten sparen wollen und das, was da ist, nutzen, anstatt das Rad komplett neu erfinden zu wollen. Hier gibt es bereits jetzt viele spannende Konzepte, um unsere Region zu unterstützen und den Menschen, die in ihr leben, einen Mehrwert zu ermöglichen. Das liegt mir am Herzen und kann Jung und Alt zusammenbringen. Die Lernkurve geht hier immer weiter nach oben!

Was waren für Dich persönlich die größten Herausforderungen (auch oder besonders als Frau) in Deiner wissenschaftlichen Laufbahn – und wie hast Du diese gemeistert?

Ich habe lange Zeit meines jungen Lebens damit verbracht, davon überzeugt zu sein, dass ich nicht mit Zahlen umgehen kann. Das hat sich für mich auch in Form von durchgehend schlechten Noten in Mathematik und Physik zu meiner damaligen Schulzeit manifestiert – und auch im Studium waren viele Kurse sehr zahlenlastig. Anfangs bin ich hier gnadenlos durchgefallen, schließlich wusste ich ja, dass ich das sowieso nicht kann. Richtig? Quatsch! Wir stehen uns oftmals selbst im Weg – und als Mädchen hört man oft, dass man vermutlich nicht gut mit Technik oder Mathematik umgehen könnte. So etwas schnappt man auf und daraus kann sich ein falsches Mindset etablieren. Ich habe mich da immer wieder mit beschäftigt und wenn es mich frustriert hat, dann habe ich erstmal eine Runde an der frischen Luft gedreht und mich dann wieder mit neuem Blick drangesetzt.

Wie bewertest du im Allgemeinen die Entwicklungsmöglichkeiten für Wissenschaftlerinnen in deiner Region?

Die Entwicklungsmöglichkeiten für Wissenschaftlerinnen innerhalb der Metropole Ruhr stufe ich als sehr gut ein! Das Ruhrgebiet zeichnet sich durch eine offene Kultur aus – und sowohl in meinem persönlichen Umfeld, als auch durch die Events meiner beruflichen Laufbahn treffe ich regelmäßig die verschiedensten Frauen. Es ist immer wieder beeindruckend und motivierend, wie jede ihre Leidenschaft gefunden hat und ihrer Forschung nachgeht. Es gibt mittlerweile so viel Unterstützung durch verschiedene Stipendien, Plattformen, wie diese, die Frauen vernetzen. Hier kann ich mit Freuden auf eine von vielen Initiativen aufmerksam machen, in denen ich aktiv tätig bin: „#InnovativeFrauen“. Hier gibt es unzählige Portraits toller Frauen und Wissenschaftlerinnen mit eigenen Innovationen sowie regelmäßige Veranstaltungen. Ist man einmal vernetzt, ist es leicht, sich immer weiter zu vernetzen – sowohl im Ruhrgebiet, als auch darüber hinaus.

Wieso halten sich einige Stereotype und Vorurteile eigentlich so hartnäckig?

Diese Thema ist wohl ein Fass ohne Boden. Im Gegensatz zu anderen Ländern fällt Deutschland sehr weit zurück, wenn es um den Anteil von Frauen in Tech-Berufen oder allgemein der IT geht. Teilweise interessieren sich auch mehr Männer für solche Berufe, aber aufgrund der noch immer im Vergleich schlechten Bezahlung gegenüber typischerweise männlich dominierten Berufsfeldern, geschieht hier nicht viel für eine stereotypische Besetzung dieser Berufe.

Zusätzlich sind die Berufsmodelle, die oftmals an die Stellen geknüpft sind, vielleicht nicht für jede Frau mit weiteren Verpflichtungen wie Kind und Familie tragbar. Da ist dann oftmals die Entscheidung: Kind oder Karriere? Das ist nicht nur total veraltet, sondern auch für die jeweiligen Institutionen mehr als ineffizient in Kauf zu nehmen, eine gute Wissenschaftlerin zu „verlieren“, anstatt die Firmenkultur auf ihre Sinnhaftigkeit hin zu überdenken.Ich denke das ist einer der vielen Aspekte, der vordergründig weiter die Stereotype ausspielt.

Hast Du Tipps, wie Frauen mit Vorurteilen umgehen können, um sich nicht entmutigen zu lassen und diese auch geschickt Lügen zu strafen?

Stand your ground! Vorurteile werden uns im Alltag immer begegnen können, nicht nur in unserem beruflichen Umfeld. Macht euch klar, wer ihr seid und lasst euch von niemandem eure Kompetenzen absprechen. Ihr seid nicht inkompetent, weil ihr gerne roten Nagellack tragt oder weil euch eurer privates Leben und eine Familie wichtig sind. Diese Werte bestimmt nur ihr allein und es liegt allein an euch, ob ihr euch von engstirnigen Menschen aufhalten lasst.
Ich arbeite ja selbst in einem noch immer sehr männlich dominierten Berufszweig und oftmals habe ich hier auch viel mit der älteren Generation von Kollegen zu tun. Natürlich mache ich mir Gedanken vor einer Präsentation oder ähnlichem – schließlich möchte man überzeugen. Ich denke diesen Anspruch an sich selbst zu haben ist wichtig, es sollte aber nicht damit verwechselt werden, sich irgendeine Art von Anerkennung und Respekt verdienen zu müssen. Lasst euch nicht aufhalten!

Was denkst du: Inwieweit können Mentoring-Programme für die eigene wissenschaftliche Karriere hilfreich sein?

Auf jeden Fall! Ich habe selbst bereits überlegt, wenn ich etwas mehr Luft habe, an solch einem Programm teilzunehmen. Egal, ob als Mentorin oder als diejenige, die Unterstützung erhält – beide Seiten erhalten hier die Möglichkeit zum Austausch und auch zur persönlichen Weiterentwicklung. Einige meiner Kolleginnen aus dem näheren Umfeld haben bereits als Mentorinnen bei verschiedenen Formaten mitgewirkt und immer sehr positive Impressionen davontragen können. Auf der persönlichen Ebene sollten wir immer danach streben uns weiterzuentwickeln, aber auch fachlich kann dies mitunter neue Türen öffnen.

Was würdest Du abschließend Mädchen und jungen Frauen sagen, die unsicher sind, ob die Wissenschaft der richtige Weg für sie ist?

Probiert euch unbedingt aus! Zu glauben, dass man mit einem Abschluss direkt einen Lebensplan in der Tasche hat und dieses Ziel dann so auch eins zu eins verfolgt, ist für die wenigsten realistisch. Ich war damals selbst überfordert und wusste nicht, wer ich bin und wer ich mal sein könnte. An die Wissenschaft habe ich definitiv nicht zuerst gedacht und habe damals einfach mal angefangen etwas zu studieren, das für mich spannend klang.

Den Einstieg in die Energiebranche und den Nachbergbau habe ich dann auch durch Zufall getroffen – oder besser gesagt: Das Leben hat mich hingeführt. Ich war offen für neue Möglichkeiten und habe diese genutzt, als sie greifbar waren. Daher hilft nur, sich auszuprobieren. Die Wissenschaft ist vielleicht nicht für jede etwas – und das muss es auch nicht. Wenn es nicht euer Ding ist, dann hakt ihr das ab und habt etwas Bedeutendes für euch und euer Leben mitgenommen. Ihr lernt, was ihr wollt – und was nicht. Nutzt die vielen Möglichkeiten, gestaltet euer Leben nach euren Interessen und nicht nach gesellschaftlichen Vorgaben.

Vielen Dank für das Gespräch!

Über Julia Tiganj
Julia Tiganj kennt das Ruhrgebiet nicht nur deswegen so gut, weil sie in Herne geboren wurde, heute in Recklinghausen zu Hause und beruflich an der Technischen Hochschule Agricola (THGA) in Bochum verankert ist. Sie kennt es auch besonders gut, weil sie sich als wissenschaftliche Mitarbeiterin für Reaktivierung und Transition an der THGA damit beschäftigt, wie sich Regionen, die einst von Bergbau geprägt waren, für die Zukunft aufstellen. Damit hat sie ein wichtiges Forschungsfeld also direkt vor der Haustür. Als studierte Politik-, Wirtschafts-, und Ostasienwissenschaftlerin bringt sie einen nicht-technischen Blickwinkel in die Forschung ein und hebt Konzepte für Nachbergbauregionen auf ein ganzheitliches Level. 

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