Unternehmen brauchen eine Netzwerkbindungskultur, um wettbewerbsfähig zu bleiben!

Corinna Spaeth hat ein Buch herausgebracht: „Zukunftsstrategie Arbeitswelt: Wie Unternehmen durch eine Kultur der Netzwerkbindung wettbewerbsfähig bleiben“. Ein Buch über Netzwerkbindungen in einer Zeit, in der Netwzerken von großer Bedeutung ist. Vor allem für Unternehmerinnen und Grünerinnen. SHE works! hat mit ihr über Bindungen, Netzwerkbindungen un d die Bedeutung für Unternehmen gesprochen.
Frau Spaeth, laut Ihrem Buch stehen Unternehmen vor zahlreichen Herausforderungen. Eine Entlassungswelle jagt die nächste. Künstliche Intelligenz (KI), demografischer Wandel, digitale Transformation und die radikale Zuspitzung globaler Krisen führen zu Zukunftsängsten, Überforderung und noch nie dagewesenen Druckdynamiken. Sie sagen, Unternehmen könnten in diesen Zeiten nur durch eine Kultur der Netzwerkbindung wettbewerbsfähig bleiben. Können Sie bitte einmal erklären, was Sie damit meinen?
Es ist wichtig zu verstehen, dass insbesondere das Ausmaß und die Geschwindigkeit der KI-Transformation zeitgleich größere Risiken und Chancen mit sich bringen als bei jeder anderen industriellen Revolution zuvor. Damit verändern sich die bisherigen Geschäftsmodelle der Unternehmen massiv und damit auch Angebot und Nachfrage. Was sich drastisch erhöht, ist die Notwendigkeit von Unternehmen in Rekordzeit innovieren zu müssen. Dafür braucht es die besten Talente und Teams, vor allem in den Engpass-Zielgruppen, um diesen Mammut-Wandel stemmen zu können und insbesondere diejenigen, die mit den Herausforderungen durch KI adäquat umgehen können und wollen.
Erstmalig entstehen auf dem Arbeitsmarkt Parallelwelten, in denen zeitgleich schnellzyklisch on- und offgeboardet wird. Während eine Entlassungswelle die nächste jagt, suchen Unternehmen gleichzeitig nach den besten Talenten. Während Unternehmen hohe Summen in Recruiting und Onboarding investieren, übersehen sie, was im Zuge der radikalen Disruptionen am Arbeitsmarkt immer relevanter wird: Offboarding als der bewusst gestaltete, wertschätzende Trennungsprozess beim Weggang von Mitarbeitenden aus dem Unternehmen. Denn nur auf diesem Weg bleiben diese auch weiterhin Markenbotschafter:innen.
Trennung und Bindung gehört also eng zusammen? Geht man nicht zumeist erstmal auf Abstand, wenn man sich getrennt hat, gekündigt hat oder entlassen wurde?
Das, was Menschen in Unternehmen erleben, prägt ihre Haltung. Bedeutsame Momente, die wir in einem Unternehmen erleben, schaffen ein nachhaltiges Bindungserlebnis. Eine Verabschiedung ist ein solch emotionaler Moment. Gelingt sie transparent, nachvollziehbar und würdevoll, muss sie nicht das Ende bedeuten. Unternehmen, die ihren Fokus jedoch nur auf Einstellungen, das Onboarding, richten und keine innovative Zukunftsstrategie haben, die auch Entlassungen einbezieht, werden auf dem transparenten Talentmarkt ins Abseits geraten. Ich bin überzeugt: Die Transformation der Arbeitswelt setzt die Transformation von Bindung voraus. Nur wer eine positive Netzwerkbindung inklusive respektvollem Offboarding ermöglicht, kann die besten Talente für sich gewinnen und die benötigte Geschwindigkeit aufnehmen.
Woher kommt der Begriff Netzwerkbindung und was genau meint er?
Der Begriff ist im Co-Creating-Interview mit dem Zukunftsforscher Sven Gábor Jánszky entstanden und bezieht sich auf eine Unternehmenskultur, in der es nicht mehr um starre Mitarbeiterbindung geht, sondern das Unternehmen als ein sich stetig veränderndes, organisches Netzwerk betrachtet wird. Bei diesem kommen Menschen für einen bestimmten Zeitraum zusammen, trennen sich wieder und gehen neue Bindungen ein. In dieser Netzwerkbindungskultur gehören Trennungen also zur Normalität. Entscheidend ist, ob trotz Trennung die emotionale Bindung erhalten bleibt und wie diese in neue Bindungsverhältnisse überführt werden kann (z. B. durch ein Alumni-Programm, Events, gemeinsame Projekte etc.).
Wie sieht so eine Netzwerkbindung im Alltag idealerweise aus?
Netzwerkbindung impliziert ein Mindset, das Menschen nicht mehr voneinander trennt, sondern sie miteinander verbindet. Sie geht also über die Trennungskultur hinaus. In diesem Netzwerk werden die persönlichen Wünsche genauso wertgeschätzt wie die ökonomischen und daraus für Arbeitgebende wie für Arbeitnehmende Vorteile generiert. Das eigene Unternehmen im Netzwerk zu denken und zu leben, meint, dass im Employee Life Cycle alle Bindungspotenziale ermittelt und ausgeschöpft werden, die Bindungswerte erzeugen. Damit sind alle Erlebnisse gemeint, die Menschen in einem Unternehmen erleben. Etwa wie haben damals meine Führungskraft und mein Team zu mir gestanden als wir ein Frühchen bekamen und ich zum ersten Mal in eine Führungsposition kam? Wie sind sie damit umgegangen als ich das Angebot für Peru abgesagt habe, um ein Zweitstudium zu beginnen? Welche Unterstützungsmöglichkeiten habe ich in der Restrukturierung erhalten? Wie war die Aufnahme im Alumni-Programm nach meinem Weggang aus der Firma? Wir könnten die Liste endlos fortführen, weil die Anlässe für Mini-Offboardings und Übergänge so vielfältig sind, wie Menschen selbst mit ihren Bedürfnissen in den verschiedenen Lebensphasen. Unternehmen, die Netzwerkbindung exzellent beherrschen, schaffen es, Projektmitarbeitende in ihrem Pool zu halten und Ex-Mitarbeitende mit mehr Wissen und Erfahrung wieder zurückzugewinnen.
An wen genau wenden Sie sich mit Ihrem Buch? Was können Leser*innen erwarten?
Mit diesem Buch adressiere ich vor allem Entscheider:innen in Unternehmen und bereite sie darauf vor, im Hier und Jetzt den Wandel der Arbeitswelt, der aus schnellzyklischen On- und Offboardings besteht, neu zu reflektieren und ihre eigene Positionierung als Unternehmen mit ihrem über das bisherige Employer Branding hinaus entwickelte Netzwerksystem aktiv in die Hand zu nehmen. Das ist wichtig, denn wer jetzt keine Netzwerkbindungskultur implementiert, versäumt, das eigene Unternehmen auf die Verbindung zwischen Mensch und KI-Ökosystem systematisch vorzubereiten und zu einem Gesamtnetzwerk zu verbinden.
Leser*innen profitieren von einer über zweijährigen Expedition, bei der die Transformation von Bindung mit namhaften Unternehmen wie Allianz, DATEV, ENGIE, Ford, SAP, Techniker Krankenkasse, und Wintershall Dea sowie mit Top-Expert:innen wie z. B. Prof. Dr. Anja Lüthy, Prof. Dr. Christian Busch und dem Zukunftsforscher Sven Gábor Jánszky intensiv co-kreiert wurde. Daraus sind Zukunftsstrategien entstanden, die Bindungs- und Trennungskultur neu denken und gestalten.
Lässt sich die eigene Unternehmenskultur zu einer Netzwerkbindungskultur entwickeln, werden Brücken zwischen On- und Offboarding gebaut, die wiederum neue Netzwerkbindungen entstehen lassen. Damit geht von Unternehmen eine Sogwirkung aus, die ehemalige Mitarbeitende zu loyalen Fans werden lässt. Aus Offboarding wird Onboarding, wenn ehemalige Mitarbeitende überzeugt in ihr früheres Unternehmen zurückkehren, Top-Talente in den Betrieb strömen, die Unternehmensbewertungen sich bestens lesen und wiederum einen Sog erzeugen. Dieses Buch greift multiperspektivisch innovative Aspekte auf, die Unternehmen mit ihrer eigenen Mitarbeiterbindungskultur zukunftsfähig machen und die den Grundstein für das KI-Zeitalter legen.
An einer Stelle sagen Sie: „So wie wir uns trennen, bestimmt, wie wir uns binden. Wie genau meinen Sie das?“
So, wie wir beim Abschied im Privatleben den Charakter von Menschen erkennen können, realisieren Mitarbeitende in ihrer eigenen Verabschiedung im Unternehmen, ihre Bedeutung für ihren ehemaligen Arbeitgeber. Der letzte Eindruck bleibt und das lässt sich sogar wissenschaftlich anhand der Peak-end-Regel von Kahnemann beweisen: Die Regel besagt, dass Personen eine Erfahrung danach bewerten, wie sie sich auf deren Höhepunkt, d. h. auf dem intensivsten Erfahrungspunkt für sie angefühlt hat – und an ihrem Ende. Ein vermasselter Abschied kann deshalb im subjektiven Erleben von Menschen eine jahrzehntelange Betriebszugehörigkeit mit einem Schlag zunichte machen. Wenn wir uns anschauen, dass lediglich 31 Prozent der Unternehmen sog. Austritts- bzw. Exit-Gespräche führen, wie Prof. Dr. Lüthy und ich in unserer Offboarding-Studie an 190 Unternehmen zeigen konnten, können Unternehmen bereits mit professionell geführten Trennungsgesprächen einen qualitativen Unterschied machen. In der im Buch skizzierten dreistufigen Netzwerkbindungsstrategie können Unternehmen bereits mit einfachen Maßnahmen schon heute gegenüber Wettberbern punkten.
An Ihrem Buch haben namhafte Unternehmen und Expert*innen als so genannte „Co-Creators mitgewirkt“, von Allianz bis SAP. Können Sie den Ansatz beschreiben, was war die Idee dahinter?
Der Titel des Buches war von Anfang an Programm. Damit war klar, dass ein Buch, das den umfassenden Titel „Zukunftsstrategie Arbeitswelt“ trägt, aus keiner Monodisziplin heraus entstehen kann, sondern aus einem interdisziplinären Co-Kreieren auf Spitzenniveau. So habe ich mir die führenden Top-Expert:innen angesehen und in ein Setting eingeladen, das gemeinsame kreative Denkräume erlaubt und einen Flow-Prozess ermöglicht. Beginnend mit einem semi-strukturierten Interview-Konzept, sind wir in virtuellen Videosessions tief in die Inhalte eingetaucht und haben sie aus den unterschiedlichsten Perspektiven beleuchtet. Danach fing der erste Schreibprozess an. Mithilfe des Transkriptes habe ich einen Gesamttext geformt, griffige Überschriften und Zitate formuliert und die verschiedenen Interviewabschnitte zu einer Textstruktur verdichtet. Dann habe ich die Texte mit zahlreichen wissenschaftlichen Studien und inspirierenden Praxishacks angereichert, Tools daraus zu entwickelt und grafisch dargestellt. In einer zweiten Co-Creating-Schleife habe ich Feedback und Ideen zur Weiterentwicklung einholt. So sind viele Kapitel über Wochen und Monate gereift, bis sie letztlich in diese druckreife Form gebracht werden konnten. In unseren Co-Creating-Prozessen ging es immer wieder darum, alles gemeinsam geteilte Wissen zu reflektieren und auf das neu zu beforschende Gebiet der Netzwerkbindungskultur anzuwenden.
Können Sie Beispiele nennen, welche Unternehmen den Ansatz der Netzwerkbindung bereits umgesetzt haben oder auf dem Weg sind? Was für Hürden und Herausforderungen gibt es dabei?
Inspirierende Unternehmensbeispiele sind im Buch sehr viele zu finden. Auf was ich dabei am meisten stolz bin, ist, dass es keine Schönwetter-Geschichten sind, sondern dass es hautnah ums Eingemachte geht. So beschreibt beispielsweise Ford, wie sie ihre harten Restrukturierungen mit Maßnahmen der Netzwerkbindungsstrategie für sich umgesetzt haben. Ein weiteres Beispiel ist das Unternehmen Allianz, mit denen ich den Begriff der Beziehungsversicherung als Fundament für Netzwerkbindung co-kreiert habe. Aber auch die Beispiele, wie Anwalts- und Steuerkanzleien vom Ansatz des Community Building der DATEV nachhaltig profitieren können, ist sehr zukunftsweisend. Ebenso der Ansatz von SAP mit ihren 33.000 Alumni-Mitgliedern, die im unternehmenseigenen Ökosystem neue innovative Geschäftsmodelle mit Partnerunternehmen und Start ups entstehen lassen. Oder der erfolgreiche Rehiring-Ansatz von ENGIE, der nicht nur viele Kosten spart, sondern bei den Mitarbeitenden selbst für mehr Zufriedenheit sorgt. Die Chancen überwiegen ganz klar. Wenn wir überhaupt von Hürden sprechen wollen, dann liegen sie fast ausschließlich darin, sich grundsätzlich mit dem Thema Netzwerkbindung zu beschäftigen und mit einer zum Unternehmen passenden Netzwerkbindungsstrategie loszulegen.
Viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitsnehmer, aber auch Entscheider in Unternehmen sorgen sich darum, ob Künstliche Intelligenz sie in Zukunft ersetzen wird. Was ist Ihre Haltung dazu? Zugespitzt formuliert: Was nützt mir eine Netzwerkbindung, wenn ich in Zukunft eh nicht mehr gebraucht werde?
Zur Netzwerkbindung gehört auch die Fähigkeit, zu lernen, an Krisen zu wachsen und sich immer wieder „neu zu erfinden“. Wer das Glück hat, einen Arbeitgeber zu haben, der auf zukünftige Arbeitswelten gut vorbereitet, in dem entsprechende Up- & Reskilling-Angebote hinsichtlich der eigenen Beschäftigungsfähigkeit im KI-Zeitalter angeboten werden, kann sich „on the job“ neu qualifzieren und sich übergreifend bessere Job-Perspektiven verschaffen. Doch dabei spielen Vertrauen und Wertschätzung eine weit unterschätzte, intermittierende Rolle. Denn wenn Menschen nicht transparent informiert und mitgenommen werden, dass Unternehmen in den nächsten Jahren in deutlich höherer Geschwindigkeit als bislang angenommen, immer stärker in die Vollautomatisierung durch KI transformieren, verspielt sich die Chance, dass sich Menschen zu den Zeiten aktiv und mit ihrem vollen Potenzial im Unternehmen dort einbringen, wo sie Wertschöpfendes erbringen können. Verlieren Unternehmen ihre High Potentials, haben sie das große Problem, weitere Top-Talente zu verlieren. Auch das ist übrigens in vielen Studien wissenschaftlich belegt. Und trotz KI ist übrigens das Fachkräftethema noch lange nicht erledigt. 2025 haben wir 6,5 Millionen Menschen weniger im Arbeitsmarkt als in 2015. Die Zukunftsforschung geht davon aus, dass wir uns in Deutschland ab 2025 bis ungefähr 2040 in einem Arbeitsmarkt befinden, in dem konstant drei bis fünf Millionen Menschen fehlen. Deshalb ist eine iterative Kommunikationspolitik, die Mitarbeitende kontinuierlich abholt und ihre Ängste und Sorgen ernst nimmt, unabdingbar für die Entwicklung einer Vernetzung zwischen Mensch und Technik. Alles andere erzeugt unauflösbare Widerstände. Das dürfte jedem klar sein, der selbst schon einmal von Change- und Transformationsvorhaben selbst betroffen war.
kein Kommentar