Unternehmerinnenporträts

25 Jahre nestwärme e.V.: ein Netzwerk, das hält

… wenn vieles ins Wanken gerät

Von SHE works!

Vor 25 Jahren haben Petra Moske und Elisabeth Schuh den Verein nestwärme gegründet, ein Verein, der sich um Familien in Not kümmert und hilft, schwerkranke Kinder zu betreuen. Heute ist aus dem Verein ein Sozialunternehmen geworden. SHE works! sprach mit beiden über Euphorie, Überforderung un den Glauben an eine Idee.

Petra Moske

Frau Moske, Frau Schuh, vor 25 Jahren haben Sie das Projekt nestwärme e.V. gegründet. Was ist nestwärme?

Petra Moske: nestwärme ist mehr als ein Projekt – es ist ein Gefühl, ein Ort des Menschseins. Es ist ein Netzwerk, in dem Kinder mit schweren Erkrankungen und ihre Familien nicht nur Unterstützung finden, sondern Würde, Zugehörigkeit und ein echtes Gegenüber. Für mich ist nestwärme ein Versprechen: dass niemand in einer schwierigen Lebenssituation allein bleiben muss.

Elisabeth Schuh: Ja, nestwärme ist ein Raum für gleichwertige Begegnungen – das ist unser Herzstück. Wir begegnen einander auf Augenhöhe, mit Respekt und offenen Herzen. Dabei geht es nie nur um Hilfe im klassischen Sinn, sondern um Verbindung. Um ein echtes „Ich sehe dich. Ich bin da.“ Gerade für Menschen, die sonst oft durchs Raster fallen – Eltern, die übermüdet sind, Geschwisterkinder, die zu früh Verantwortung tragen, Kinder, deren Geschichten nicht in Statistiken auftauchen. Für sie ist nestwärme ein Zuhause auf Zeit – oder manchmal für immer.

Begonnen als Verein ist nestwärme heute ein Sozialunternehmen. Mögen Sie kurz Ihren Werdegang skizzieren?

Elisabeth Schuh

Petra Moske: Die ersten Jahre waren eine Mischung aus Euphorie, Überforderung und unerschütterlichem Glauben an unsere Idee. Wir hatten keine Blaupause, kein festes Budget – aber wir hatten die tiefe Überzeugung: Das, was wir tun, wird gebraucht. Als klar wurde, dass die häusliche Kinderintensivpflege dringend neue Wege braucht, wagten wir 2001 den Schritt in die Gründung einer gemeinnützigen GmbH. Fünf Jahre später waren wir ein Team aus 80 engagierten Menschen.

Elisabeth Schuh: Heute sind wir ein Sozialunternehmen mit Wirkung – aber die Seele ist geblieben. Wir arbeiten innovativ, ja, aber nie technokratisch. Sondern immer nah an den Menschen. Im Kern stehen unsere drei Grundpfeiler: Beziehung, Innovation und Beratung. Wir bringen Menschen zusammen, entwickeln neue Wege im Gesundheits- und Sozialbereich – und helfen mit unseren Expert:innen zur Selbsthilfe.

Sie beide bezeichnen nestwärme als Mission. Eine Mission wofür?

Beide gemeinsam: Unsere Mission ist ganz klar: Wir glauben daran, dass jedes Kind und jede Familie Teil einer Gesellschaft sein sollte, in der Unterschiede normal sind.
Wir arbeiten für eine Gesellschaft, in der nicht nur das Lauteste gesehen wird, sondern auch das Zarte, das Verletzliche. In der wir uns alle zugehörig fühlen dürfen – nicht trotz unserer Herausforderungen, sondern gerade mit ihnen. Unsere Arbeit ist getragen von der Idee, dass Verbindung heilt. Dass Solidarität Leben verändern kann. nestwärme steht für ein Miteinander, das Mut macht: gleichwertige Begegnungen, wechselseitige Unterstützung, Zugehörigkeit. Wir möchten eine Gemeinschaft sein, in der Menschen sagen: „Ich bin nicht allein.“

Sie haben ein Buch über Ihre Arbeit geschrieben. Was wollen Sie Ihren Leser:innen mitgeben?

Petra Moske: Das Buch ist ein Fenster in eine Welt, die oft im Schatten steht. Es erzählt von Kindern, die heldenhaft kämpfen, von Eltern, die über sich hinauswachsen – und von einem Netzwerk, das hält, wenn vieles ins Wanken gerät. Wir wollen zeigen, wie viel Kraft in diesen Familien steckt – und wie wenig davon sichtbar ist.

Elisabeth Schuh: Und wir möchten die Leser:innen berühren. Nicht belehren, sondern öffnen. Vielleicht auch eine neue Sicht auf das eigene Leben schenken. Denn was wir erleben, ist: nestwärme verändert nicht nur das Leben der Familien, sondern auch das der Menschen, die helfen. Es ist eine Einladung, Teil zu werden – und etwas zu bewegen.

Das Thema „Familien in Not“ ist kein Thema, das intensiv in der Öffentlichkeit steht. Konnten Sie in den vergangenen 25 Jahren hier eine Entwicklung erkennen?

Petra Moske: Es gab Fortschritte, ja. Aber die Wahrheit ist: Die Realität dieser Familien bleibt oft unsichtbar. Die Pflege eines schwerkranken Kindes ist kein „Job“, den man nach Feierabend ablegt – sie ist rund um die Uhr da. Viele Familien kämpfen jahrelang mit Bürokratie, Isolation, Existenzängsten. Und obwohl sie so viel leisten, werden sie selten gehört.

Elisabeth Schuh: Die Pandemie hat zumindest kurzzeitig gezeigt, was Isolation bedeutet. Viele Menschen haben da erstmals verstanden, wie es sich anfühlt, abgeschnitten zu sein. Für unsere Familien ist das Alltag. Und deshalb sagen wir: Diese Familien brauchen keine Mitleidsblicke – sie brauchen Strukturen, die tragen.

Was ist neben medizinischer und pflegerischer Betreuung wichtig für Familien in Not?

Elisabeth Schuh: Nähe. Vertrauen. Das Gefühl, wirklich gesehen zu werden. Wir erleben oft, dass ein einfaches Gespräch, eine Umarmung, ein Moment der Entlastung mehr bewirken kann als ein ganzer Behördenordner. Es geht darum, gemeinsam zu atmen – in einem System, das oft die Luft nimmt.

Petra Moske: Genau deshalb haben wir unser Modell der FamilienGesundheitsPartner entwickelt. Es geht nicht nur um Pflege, sondern um Begleitung. Um Menschen, die mitgehen, mitfühlen und mitdenken. Und um die Erlaubnis, auch mal schwach sein zu dürfen, ohne dabei den Wert zu verlieren.

Sie haben, wie Sie es in Ihrem Buch beschreiben, zu Beginn sehr intensiv nach Geldgebern gesucht. Leider nicht mit dem erhofften Erfolg. Was ist passiert, dass Sie das Projekt trotzdem ins Leben rufen konnten?

Petra Moske: Es war ein Akt des Vertrauens – von ganz vielen Seiten. Nachdem große institutionelle Geldgeber uns absagten, wagten wir eine Spendenkampagne in unserer Region. Innerhalb weniger Monate kamen 330.000 Euro zusammen. Das war mehr als Geld. Das war ein kollektives: „Wir glauben an euch.“ Und genau das hat uns getragen.

Elisabeth Schuh: Es war wie ein Wunder aus vielen kleinen Wundern. Und bis heute spüren wir: Menschen sind bereit, zu geben – wenn sie verstehen, wofür.

Nestwärme wirkt mittlerweile in Deutschland, Österreich und Luxemburg. Wie haben Sie das geschafft?

Elisabeth Schuh: Weil nestwärme größer ist als wir. Es ist eine Idee, die Menschen berührt – im Herzen. Menschen haben sich anstecken lassen, mitreißen lassen von der Kraft, die entsteht, wenn man wirklich meint, was man sagt. Sie haben sich hineingegeben – ohne Wenn und Aber – und so ist nestwärme gewachsen. Nicht durch Struktur allein, sondern durch Vertrauen, durch echtes Miteinander.

Petra Moske: Es sind die Menschen, die das Feuer weitertragen – weil sie fühlen: Das hier ist wichtig. Und dann sagen sie nicht: „Was bekomme ich dafür?“, sondern: „Wie kann ich helfen?“ Sie übernehmen mit uns Verantwortung. In Deutschland, Österreich, Luxemburg – und darüber hinaus. Das ist das wahre Wunder.

Was haben Sie persönlich mitgebracht, um nestwärme zu dem zu machen, was es heute ist?

Petra Moske: Ich glaube, ich habe diese unbändige Kraft, dranzubleiben. Auch, wenn’s weh tut. Ich bin eine Suchende, eine Möglichmacherin – und jemand, der nie ganz aufgibt. Meine Verletzlichkeit ist oft auch meine größte Stärke gewesen.

Elisabeth Schuh: Ich liebe es, Räume zu schaffen, in denen Menschen wachsen. Ich bringe meine therapeutische Erfahrung ein, meine Kreativität – und meine Überzeugung, dass Veränderung bei uns selbst beginnt.

Wie gehen Sie mit all den traurigen Geschichten um?

Elisabeth Schuh: Indem wir uns nicht abgrenzen, sondern hineinbegeben – aber immer in Verbindung. Wir tragen das nicht allein. Und wir halten auch nicht alles aus. Aber wir bleiben. Und wir sehen das Licht, das trotzdem da ist. In einem Lächeln, in einem Moment der Erleichterung, in einer kleinen Geste. Das gibt Kraft.

Petra Moske: Es sind oft die Kinder selbst, die uns diese Kraft schenken. Wie Leon, dem die Beine amputiert werden mussten – und der uns mit seinem Mut gezeigt hat, was Leben wirklich bedeutet. Diese Kinder – sie sind unsere stillen Lehrer. Und wenn wir ihnen zuhören, dann wird uns oft bewusst, worüber wir uns im Alltag eigentlich so aufregen. Es verändert das eigene Leben. Es macht uns stiller. Und auch demütiger. Und ja, manchmal reicht ein Blick – und wir wissen wieder, worauf es ankommt.

Was geben Sie anderen Frauen mit, die helfen wollen, aber noch keinen Weg gefunden haben?

Petra Moske: Fang an. Geh los. Auch – und vor allem – wenn du nicht alles perfekt vorbereitet hast. Wenn du darauf wartest, dass alles fertig, rund und perfekt ist, wirst du nie beginnen. Weil es nie reicht, wenn du deinen inneren Kritiker fragst. Wir sind auch einfach losgegangen. Und haben unterwegs dazugelernt, uns angepasst, uns verändert. Immer mit dem, was wir hatten – nie mit dem, was wir uns erträumt hätten. Aber immer mit dem festen, unerschütterlichen Glauben: Wenn etwas aus dem Herzen kommt, dann findet es seinen Weg. Und dann wird es gut.

Elisabeth Schuh: Und du musst es nicht allein tun. Es gibt andere, die auch spüren, dass es mehr geben muss. Vertraue – und verbinde dich. Gemeinsam geht alles leichter.

Ihnen beiden herzlichen Dank für das Gespräch!

Petra Moske und Elisabeth Schuh haben ein Buch über ihre Arbeit herausgegeben. Sie finden es als Buchtipp bei uns auf der Seite:
https://www.she-works.de/buchtipps/buchtipp-nestwaerme-schafft-perspektiven/2025/04/10/

Sprache: Deutsch
Umfang: 224 S.
Format (T/L/B): 1.9 x 21.6 x 13.7 cm
Einband: kartoniertes Buch
Der Versand läuft über unsere Landingpage:
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