Unternehmerinnenwissen

Selbstfürsorge trotz Druck und Stress?

Warum Standardlösungen nicht funktionieren

Ein Interview mit Business-Health-Coach Kara Pientka

„Ich sollte mich mehr um mich kümmern.“ Wer von uns kennt den Gedanken nicht? Gerade erfolgreiche Frauen finden kaum Zeit für die Selbstfürsorge. Kein Wunder:  Sie sind Managerinnen und Unternehmerinnen, arbeiten Vollzeit in immer stressigeren Jobs. Gleichzeitig haben viele von ihnen die alten Rollen in Familie und Beziehung behalten. Der Druck ist so groß, dass Selfcare zu einem weiteren stressigen To-do werden kann. Business-Health-Coach Kara Pientka nennt die klaffende Lücke zwischen Wunsch und Wirklichkeit den Selfcare Gap. Wir haben mit ihr darüber gesprochen.

Frau Pientka, ist der Selfcare-Gap ein Problem, das vor allem Frauen in Führungspositionen betrifft?

Nein, auch Männer am Rande der Erschöpfung kommen in dieser Zeit zu mir ins Coaching, denn Führungsaufgaben in einer sich ständig und unvorhersehbar ändernden Wirtschaftswelt sind komplex und fordernd. Frauen übernehmen aber oft aus einem konventionellen Rollenverständnis heraus noch mehr Verantwortung als Männer. Sie übernehmen neben dem anspruchsvollen Job noch mehr Aufgaben im Familienkontext. Gerade in der Care-Arbeit für Kinder oder pflegebedürftige Eltern gibt es eine Dauerschleife an Aufgaben und Anforderungen. Dadurch haben Frauen oft noch weniger Zeit für sich selbst. Deshalb ist es wichtig, dass Frauen lernen, sich nicht chronisch zu überfordern und immer mal wieder bewusst innezuhalten.

Mit Innehalten meinen Sie den Waldspaziergang oder eine Runde Yoga, um zwei Selfcare-Klassiker zu nennen?

Damit kann man sich natürlich Gutes tun – allerdings nur dann, wenn Yoga oder Waldspaziergänge Dinge sind, die Freude machen. Wenn ich mich zu Yoga zwinge, obwohl mir das nicht liegt, verpufft jede Wirkung und statt Entspannung bekomme ich Extra-Stress. Ich verstehe unter Selbstfürsorge ohnehin etwas Tieferes. Für mich bedeutet echte Selfcare, dass ich ein Leben lebe, das mich nicht in eine fortwährende Spirale der Selbstausbeutung hineinzieht. Ich glaube, dass wir uns ein Lebens- und Arbeitskonzept aufbauen sollten, das uns in einer guten Energiebalance hält. Dazu gehört, dass ich mich als ganzen Menschen wahr- und ernst nehme und mein (Arbeits-) Leben danach ausrichte, dass es zu meiner Persönlichkeit und meinen Werten passt. Ich stelle ich mich in gewisser Weise an erste Stelle oder besser gesagt ins Zentrum meines Lebens. Damit meine ich nicht so etwas wie „Self-Pampering“, aber schließlich bin ich die Basis für mein Leben – sozusagen der stabile Turm eines Kettenkarussells. Es gibt kein gesundes Leben im Falschen.

Welche Tipps können Sie für den Aufbau deines gesundes Lebens- und Arbeitskonzeptes geben?

Wir müssen langfristig wirkende Strategien für unsere Arbeit und unser Leben entwickeln, die wirklich zu uns passen. Am wichtigsten ist es, die eigenen Bedürfnisse und Grenzen gut wahrzunehmen. Danach kommt die mentale Hygiene. Insgesamt gibt es für mich sieben ineinandergreifende Strategien, mit denen wir alle gesund und leistungsfähig bleiben können.

Was verbirgt sich hinter dem Begriff mentale Hygiene?

Bei viel Stress verfällt nicht nur unser Körper durch die Ausschüttung von Hormonen in den Fight-and-Flight-Modus, sondern unser Denken gerät durcheinander. Wir finden wir uns in einer mentalen Schieflage wieder, in der verzerrte Emotionen entstehen. Ich nenne das auch den Drama-Self-Modus. Führungskräfte rutschen dann schnell in eine Mischung aus Superheldentum, selbstaufopfernder Haltung – gerade bei doppelt belasteten Müttern ein großes Thema – und dem Gefühl, machtlos hin- und hergeworfen zu werden. Mentale Hygiene bedeutet, diesen Zustand bei sich selbst wohlwollend zu erkennen und sich daraus zu befreien. Wer hier seine Hebel kennt und ansetzen kann, spart enorm viel Energie.

Welche Hebel könnten das sein? Haben Sie ein Beispiel?

Stellen Sie sich eine gestresste Teamleiterin vor, die erfährt, dass ihr Team bei dem wichtigen Pitch nicht überzeugt hat. Sie ist wütend, bebt vor Enttäuschung und ist kurz davor, ihre Leute als zu blöd und inkompetent zu beschimpfen. Dann, als hätte jemand die Stopptaste gedrückt, hält sie inne und sagt: „Ich merke gerade, dass ich außer mir bin – gebt mir zwei Minuten.“ Sie verlässt den Raum und als sie kurz darauf zurückkommt, kann sie wieder ruhig atmen. Das Beispiel zeigt eine gestandene Frau, die sich in einer Stresssituation nicht nur wahrnehmen, sondern sich regulieren kann. Weil sie kurz aus dem Raum geht, gleitet sie nicht in den Drama-Modus ab, sondern behält ihre Souveränität.

Das könnte auch im privaten Bereich funktionieren …

Unbedingt! Eine starke Haltung wie diese ist in meinen Augen gelungene Selbstfürsorge. Dazu gehört auch, die Superheldenfalle zu meiden, also nicht mehr Aufgaben zu übernehmen als nötig. Sowohl am Arbeitsplatz als auch zu Hause. Echtes Wohlbefinden entsteht ohnehin nur dann, wenn Arbeit und Leben im Einklang sind. In jedem Bereich ist es zentral, die ersten Anzeichen von mentaler Müdigkeit zu erkennen und bewusst gegenzusteuern – zum Beispiel durch tiefes Atmen, kurze Auszeiten, Ausschütteln des Körpers, Entspannungsübungen oder Perspektivwechsel. Es gilt, zu reagieren, bevor der Druck zu groß wird. Ein erfolgreicher Mensch, der sich wohlfühlt, reflektiert regelmäßig, ob sein Tagesablauf ihn stärkt oder schwächt, und nimmt entsprechend Anpassungen vor.

Atmen und Ausschütteln, ist das wirklich schon alles?

Natürlich nicht, aber es sind wichtige Mini-Booster, die enorm viel bewirken können. Stark beanspruchte Menschen – und ganz besonders Führungskräfte im Superhelden-Modus – müssen ihre kleine und großen Ressourcen kennen, die sie vor Erschöpfung schützen. Ein Essen in einem schönen Restaurant, ein Kurzurlaub, der echte Entspannung verspricht, joggen gehen, Yoga machen, eine Fahrradtour – was infrage kommt, weiß wie gesagt nur der oder die Einzelne selbst.

Was ist Ihre wichtigste Empfehlung für Frauen, die nachhaltige Selfcare in ihren Lebensalltag integrieren möchten?

Meine wichtigste Empfehlung ist, sich selbst treu zu bleiben und die eigenen Bedürfnisse ernst zu nehmen. Selbstfürsorge ist kein Luxus. Es gilt, eine individuelle Routine zu entwickeln, die auf die eigenen Lebensumstände passt und flexibel an Veränderungen angepasst werden kann.

Zu Beginn unseres Gesprächs haben Sie den immensen Druck angesprochen, unter dem Menschen Führungspositionen stehen. Ist es realistisch, das eigene Verhalten zu ändern und trotzdem die komplexen Anforderungen erfüllen zu wollen?

Ja, das ist es. Gestresste Menschen unter Druck denken häufig, dass sich an der Situation nichts ändern lässt. Genauso glauben sie, äußere Umstände würden darüber entscheiden, ob sie sich um ihr Wohlbefinden kümmern können oder nicht. Aber egal, wie viele Projekte anstehen, welche Probleme auftauchen und wie voll der Kalender ist: Es gibt immer etwas, das wir tun und ändern können. Die Welt hängt nicht allein von uns ab. Und selbst in den konservativsten Chefetagen, in denen Manager noch immer der überholten Vorstellung anhängen, Selfcare sei etwas für Weicheier, setzen sich allmählich die Erkenntnisse durch: Selbstfürsorge ist keine Option, sie ist eine Notwendigkeit.

Vielen Dank für das Gespräch!

Kara Pientka …

… ist erfolgreiche Unternehmerin, Geschäftsführerin und Lehr-Coach. Seit rund 25 Jahren gehört sie zur deutschen Coaching-Elite. Die studierte Sozialwissenschaftlerin ist die führende Business-Health-Coach mit langjähriger Erfahrung im Führungskräfte-Coaching. Ihr Herzensanliegen ist es, Menschen dabei zu unterstützen, trotz vieler Aufgaben und Anforderungen kraftvoll und motiviert zu bleiben – und dabei ganz Mensch zu sein. Kara Pientka ist die Pionierin des medizinisch fundierten Health-Coachings und Gründerin sowie Geschäftsführerin des renommierten INHESA Instituts für Health & Selfcare in Berlin.

Im Oktober ist ihr Buch „SELFCARE NEXT LEVEL – 7 Strategien für krisenfeste Führungskräfte“ im Campus Verlag erschienen.

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