Sinkendes Engagement in der Führung
Warum sich weibliche Führungskräfte zurückziehen
Von Sacha Johann
Die aktuelle Gallup-Studie „State of the Global Workplace 2025“ zeigt: Nur 21 % der Beschäftigten weltweit sind noch engagiert. Besonders auffällig ist der Rückgang bei Führungskräften – ihr Engagement sank auf 27 %. Besonders stark betroffen: junge (<35 Jahre) und weibliche Führungskräfte mit einem Minus von 5 bzw. 7 Prozentpunkten.

Sacha Johann ist Experte für Arbeitskultur und berufliche Sinnhaftigkeit. Als Sparringspartner für Führungskräfte, Speaker und Autor von „Arbeite mit Sinn!“ begleitet er Unternehmen auf dem Weg zu einem sinnerfüllten Arbeitsklima. Weitere Infos: www.sachajohann.ch / Foto pivat
Führung zwischen Anspruch und Realität
Führungskräfte stehen heute vor der Aufgabe, Leistung einzufordern und gleichzeitig psychische Stabilität im Team zu sichern. Sie sollen Umsatzziele erreichen, Feedbackgespräche führen, Veränderungen kommunizieren – oft ohne klaren Rahmen oder ausreichend Ressourcen. Viele stehen damit allein. Je höher die Position, desto isolierter der Arbeitsalltag. Wer selbst keine Klarheit, Rückhalt oder Strukturen erfährt, kann sie auch schwer ins Team bringen.
Führungskräfte brauchen keine weiteren Aufgaben. Sie brauchen Freiräume, um zu reflektieren, sich weiterzuentwickeln und Mensch sein zu dürfen.
Was Unternehmen ermöglichen sollten:
- Vorbereitung auf die Führungsrolle
- Plattformen für Austausch und Dialog
- Zeit zur Reflexion
- Mitgestaltungsmöglichkeiten
- Individuelle Weiterbildung
- Perspektiven für Entwicklung
Warum weibliche Führungskräfte besonders betroffen sind
Der Rückgang des Engagements weiblicher Führungskräfte ist mit 7 % noch stärker als bei ihren männlichen Kollegen mit 4 %. Aus Gesprächen mit weiblichen Führungskräften lassen sich fünf Ursachen ableiten:
- Die Doppelbelastung bleibt weiblich
Viele Frauen stehen noch immer vor der Aufgabe, Familie und Beruf zu vereinbaren. Hinzu kommt, dass Karrieremodelle häufig linear, auf Präsenz ausgelegt und wenig familienfreundlich gestaltet sind. Die Doppelbelastung führt nicht nur zu Erschöpfung, sie erzeugt mitunter auch das Gefühl, keinem Lebensbereich wirklich gerecht zu werden.
- Emotionale Verantwortung ohne Anerkennung
Frauen in Führungspositionen übernehmen neben der fachlichen Führung oft auch die emotionale Betreuung ihrer Mitarbeitenden. Diese Stärke kann vor allem in unsicheren Zeiten zur Bürde werden. Vor allem dann, wenn emotionale Verantwortung als Kümmerarbeit und nicht als Führungskompetenz verstanden wird und Ressourcen zur Unterstützung fehlen.
- Latenter Rechtfertigungsdruck
Viele weibliche Führungskräfte kämpfen mit dem inneren Gefühl, den Beweis dafür erbringen zu müssen, dass ihre Position berechtigt ist. Ihre Rolle als Führungskraft scheint nicht selbstverständlich, weil verdient, sondern stets bedroht. Hinzu kommt die unbegründete Angst, «enttarnt» zu werden – als wäre der eigene Erfolg nur Fassade. In Fachkreisen spricht man in diesen Fällen vom Hochstapler-Syndrom, welches Frauen weit häufiger betrifft als Männer.
- Strukturelle Hürden und fehlende Netzwerke
Frauen in Führungspositionen sind nach wie vor in der Minderheit und stehen dadurch unter einem Erwartungsdruck, der oftmals durch eigene Ansprüche und gesellschaftliche Prägungen selbstgemacht ist. Zudem fehlt es vielen weiblichen Führungskräften an Austausch mit Gleichgesinnten, an sichtbaren, authentischen Vorbildern sowie an informellen Netzwerken, die Rückendeckung und Reflexionsmöglichkeiten bieten.
- Wertekonflikte mit der gelebten Unternehmenskultur
Viele Frauen wünschen sich sinnorientierte, partizipative Führung. Wenn Organisationen jedoch primär auf Zahlen, Kontrolle und Top-down setzen, entsteht ein innerer Konflikt – oft mit der Folge innerer Kündigung oder tatsächlichem Rückzug.
Ein Fall aus der Praxis:
Eine Klientin, 42, führt ein 40-köpfiges Team mit hohem Engagement. Seit dem Führungswechsel in der oberen Ebene fehlt ihr die Rückendeckung. „Ich stehe für Vertrauen und Transparenz – von oben erlebe ich das Gegenteil.“ Die Folge: ein dauerhafter Wertekonflikt, der sie an einen Punkt gebracht hat, an dem sie ernsthaft über einen Wechsel nachdenkt.
Warum der Rückzug weiblicher Führungskräfte besorgniserregend ist
Frauen führen oft empathischer sowie werte- und menschenorientierter. Zudem ist es erwiesen, dass diverse Führungsteams bessere Entscheidungen treffen, innovativer sind und die Loyalität der Mitarbeitenden erhöhen. Ich kann das aus eigener Erfahrung bestätigen: 15 Jahre lang habe ich gemeinsam mit meiner Geschäftspartnerin und meinem Geschäftspartner unsere Agentur Premotion geführt – auf Augenhöhe, mit Vertrauen, Verlässlichkeit und einem starken Teamgeist.
Mit dem Rückzug weiblicher Führungskräfte gehen nicht nur Personalressourcen verloren, sondern ein entscheidender Teil, wenn es darum geht, sich zukunftsfähig weiterzuentwickeln.
Das hat weitreichende Folgen:
Die Vielfalt in Entscheidungsprozessen sinkt, der Gender Leadership Gap vergrößert sich und es fehlen weibliche Vorbilder für die nachfolgenden Generationen, was negative Auswirkungen auf die Karriereentscheidungen junger Frauen haben wird.
Wenn menschliche, empathische Führung nicht aktiv gestärkt wird, leidet langfristig auch die Unternehmenskultur. Teams werden demotiviert, das Engagement sinkt, oft schleichend, aber zunehmend sichtbar in den Unternehmensresultaten.
Es braucht jetzt keine Einzelmaßnahmen, sondern ein ganz konkretes Umdenken, wie Organisationen mit Führung umgehen. Und es braucht die klare Bereitschaft, Frauen in Führung gezielt wertzuschätzen, zu halten, zu stärken und zu entlasten.
Was jetzt zu tun ist: Räume statt Aufgaben schaffen
Führungskräfte, männliche wie weibliche, brauchen nicht noch mehr Tools, Anforderungen und Verantwortlichkeiten. Sie brauchen Räume:
- Räume zur Reflexion, um sich selbst besser zu verstehen und stimmige Entscheidungen zu treffen.
- Räume zum Austausch, um sich auf Augenhöhe mit anderen, gleichgesinnten Führungskräften zu verbinden und auszutauschen.
- Räume zur Weiterentwicklung, die praxisnah und stärkend wirken – auf den Menschen ausgerichtet, ohne rein rationalen Anspruch.
- Räume zur Mitgestaltung, in denen sie selbst Einfluss auf die persönlichen und die Rahmenbedingungen ihrer Mitarbeitenden nehmen können.
Führung gelingt, wenn Menschlichkeit und Verantwortung zusammen gedacht werden. Unternehmen, die weibliche Führungskräfte nicht nur halten, sondern gezielt stärken wollen, brauchen den Mut zur Veränderung – nicht mit Einzelmaßnahmen, sondern mit einem anderen Grundverständnis.
kein Kommentar