Zukunftskompetenz Selbstbestimmtheit: Warum wir auch mal „Nein” sagen sollten
Von Dr. Tina Ruseva
Frauen neigen im beruflichen Kontext oft dazu, zu denken, sie müssten ständig zustimmen oder sich anpassen. Sei es aus dem Wunsch heraus, anderen zu gefallen, ihre Teamfähigkeit zu beweisen, oder weil sie das Gefühl haben, dass es von ihnen erwartet wird. Studien wie die der Women in Revenue von 2022 zeigen außerdem, dass viele Frauen sich verpflichtet fühlen, zusätzliche Aufgaben zu übernehmen, um als kompetent zu gelten. Doch ständiges „Müssen“ führt zu weniger Selbstwirksamkeit, macht unglücklich und ist ein Innovationshemmer. Besonders für Gründerinnen und Unternehmerinnen kann das fatale Folgen haben. Am eigenen Leib erlebt hat das Dr. Tina Ruseva. Sie ist Gründerin des New Work Startups Mentessa, Erfinderin von Soft Work und Autorin des Buchs „Ich muss gar nichts”, das am 24. September 2024 bei Haufe erscheint. Bereits früh in ihrer Karriere hat sie erkannt, wie wichtig es ist, klare Grenzen zu setzen und nicht jedem Druck nachzugeben. Aus eigener Erfahrung weiß sie, dass das Durchbrechen der „Muss-Kultur“ nicht nur den eigenen Erfolg sichert, sondern auch für eine positive Teamkultur sorgt.
Die negativen Folgen einer Muss-Kultur
Denkt man schon morgens beim Aufstehen nur an all das, was erledigt werden „muss”, steckt man vermutlich in einer Muss-Kultur fest. Frauen, die oft mit hohen Erwartungen und gesellschaftlichem Druck konfrontiert sind, erleben dieses Gefühl besonders stark: Von „Was muss ich anziehen, um im Businesskontext professionell wahrgenommen zu werden” bis zum Druck, sich dauernd beweisen zu müssen. Dieser Druck zieht sich für Frauen häufig durch den ganzen beruflichen Alltag. Laut der McKinsey-Studie „Women in the Workplace“ sehen sich Frauen in Führungspositionen häufig mit höheren Leistungsansprüchen konfrontiert, da sie sowohl ihre fachliche Kompetenz als auch ihre Führungsqualitäten unter Beweis stellen müssen. Frauen in leitenden Positionen haben doppelt so häufig wie ihre männlichen Kollegen das Gefühl, ständig beobachtet zu werden und Fehler vermeiden zu müssen, da diese strenger beurteilt werden. Diese Kombination aus internem und externem Druck trifft Frauen besonders hart, da sie oft sowohl den gesellschaftlichen Erwartungen als auch den Anforderungen der Geschäftswelt gerecht werden müssen. Die Wahrscheinlichkeit, in eine „Muss-Kultur” zu geraten, in der man glaubt, ständig performen und den Erwartungen anderer entsprechen zu müssen, steigt so extrem an. Dies kann dazu führen, dass Gründerinnen unbewusst eine Kultur der Überforderung bei sich selbst, aber auch in ihren Unternehmen etablieren, die auf Druck statt auf Selbstbestimmung basiert.
Zwar mag das Spielen nach den Regeln eines starren Systems kurzfristig Sicherheit bieten und Einzelnen dabei helfen, ihre unmittelbaren Ziele zu erreichen. Langfristig führt es jedoch zu einer Entfremdung vom eigenen Job – oder der eigenen Identität als Unternehmerin. Die Arbeit verliert ihren Sinn und ihre Freude, weil sie nicht mehr aus eigenem Antrieb, sondern nur noch aus Pflichtgefühl geleistet wird. Entscheidungen werden aus Angst getroffen, statt aus Überzeugung und es werden Chancen auf Wachstum und Weiterentwicklung verschwendet.Dabei ist es gerade für Unternehmerinnen unglaublich wichtig, Bestehendes zu hinterfragen, da ja genau sie es sind, die etwas am Status quo ändern wollen.
Nein sagen fördert die Teamkultur
Die ständige Anpassung an äußere Erwartungen und der damit verbundene Druck wirkt sich langfristig auch negativ auf die Unternehmenskultur aus. Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen, ist es umso wichtiger, einen gesunden Umgang mit Grenzen zu finden – ein zentraler Schritt dabei ist, bewusst „Nein“ sagen zu können. Ein klares „Nein“ fördert offene und ehrliche Kommunikation im Team. Es verhindert, dass unausgesprochener Frust oder Überlastung entstehen, und stärkt das Vertrauen zwischen den Kolleg:innen. Menschen, die ihre Grenzen deutlich setzen, zeigen Selbstbewusstsein und schaffen ein Umfeld, in dem ihre Bedürfnisse respektiert werden. Dadurch entsteht eine Kultur des gegenseitigen Respekts und der Wertschätzung. Indem man nicht alles übernimmt, sondern Prioritäten setzt, konzentriert man sich auf die Aufgaben, die wirklich wichtig sind. Das verbessert nicht nur die eigenen Ergebnisse, sondern auch die Effizienz im Team.
Müssen vs. Wollen: Das ist anders an einer Will-Kultur
Ein bewusstes „Nein“ zu äußern und Prioritäten zu setzen, bildet die Grundlage für eine neue Art der Zusammenarbeit, die auf Eigenverantwortung und intrinsischer Motivation basiert. Diese Form der Selbstbestimmtheit ist ein zentraler Baustein für eine Will-Kultur, in der nicht mehr das bloße Erfüllen von Pflichten im Vordergrund steht, sondern das gemeinsame Erreichen eines Ziels. Zuvor war Arbeit im Großteil der Geschichte der Menschheit eine Pflicht und von Müssen geprägt. Hard Work bestimmte die Normen. Die Muss-Kultur regiert mit Anweisungen, Abläufen und Autorität. Es wird auf die Distanz zwischen Mitarbeiter:innen und Chef:in geachtet und man hält sich am besten an eine ritualisierte Kommunikation.Arbeit wird lediglich als Vertrag betrachtet, bei dem man Leistung gegen Geld tauscht.
Will-Kulturen sind das Gegenteil davon. Man bringt sich ein: eigenverantwortlich, engagiert und motiviert. Es wird zusammen im Team gearbeitet und Aufgaben werden gerecht aufgeteilt. Arbeit versteht man als ein gemeinsames Ziel, was zu erreichen gilt – Stichwort Purpose. Wir sind alle mal Teil von großartigen Teamkulturen und Will-Kulturen gewesen – bei der Organisation einer Familienfeier, im Verband oder mal in einem Side Project bei der Arbeit. Wenn Menschen sich aus eigenem Antrieb einbringen, geht es mehr um die Sache und weniger um Hierarchien. Sie sind leistungsfähiger und können sogar in einen Flow kommen. Der Übergang von einer Muss-Kultur zu einer Will-Kultur wird zunehmend wichtiger, insbesondere in einer Arbeitswelt, die durch technologische Innovationen wie Künstliche Intelligenz geprägt ist. Während Will-Kulturen auf Eigenverantwortung und Zusammenarbeit setzen, verändert sich die Arbeitslandschaft durch den Einsatz von KI grundlegend – doch der Bedarf an Selbstbestimmtheit und Eigeninitiative bleibt unverändert.
Selbstbestimmung als Weg aus der „Muss-Kultur”
Selbstbestimmung ist somit ein wichtiger Schlüssel für die persönliche Motivation im Berufsleben. Doch wie kann man diese Selbstbestimmtheit gezielt fördern?
Die Antwort liegt in der Selbstbestimmungstheorie, einem Konzept aus der Motivationspsychologie Sie identifiziert drei wesentliche Faktoren, die zu intrinsischer Motivation führen – sowohl im privaten als auch im beruflichen Kontext: Autonomie, Kompetenz und soziale Eingebundenheit. Doch besonders für Unternehmerinnen gestaltet sich der Weg zur Autonomie oft schwieriger als gedacht. Gesellschaftliche Erwartungen und stereotype Rollenbilder, die Frauen zur Anpassung und Fürsorglichkeit drängen, machen es ihnen schwerer, „Nein“ zu sagen und ihre Autonomie zu verteidigen. Häufig stehen Frauen unter dem Druck, besonders teamfähig zu erscheinen und Konflikte zu vermeiden, was sie in die Falle des ständigen „Müssens“ führt.
Zukunftskompetenz Selbstbestimmtheit: Wie also kommen Frauen nun aus der Muss-Kultur in die Will-Kultur?
Um selbst aus der Muss-Kultur herauszukommen und eine Will-Kultur zu entwickeln, erfordert es nicht nur eine Veränderung der Unternehmensführung, sondern auch eine bewusste Umstellung der eigenen Denkweise. Hier sind einige Schritte und Tipps, wie dieser Wandel losgetreten werden kann:
- Aktives Netzwerken
Netzwerken bedeutet mehr als nur Kontakte zu sammeln. Entscheidend ist, dass du verstehst, was andere Menschen antreibt, an welchen Projekten sie arbeiten und wie du sie unterstützen kannst. Biete gezielt Mehrwert an, indem du dich für die Anliegen anderer interessierst und echte Verbindungen aufbaust, die über oberflächlichen Austausch hinausgehen. - Wissen teilen
Wissen wird mehr, wenn wir es teilen. Ob als Mentor:in oder im informellen Austausch mit Kolleg:innen – es ist wichtig, offen und bereit zu sein, deine Erfahrungen und Erkenntnisse weiterzugeben. So förderst du eine Kultur des kontinuierlichen Lernens und ermöglichst kollektives Wachstum. - Zeit in Beziehungen investieren
Beziehungen brauchen Zeit und Pflege, um sich nachhaltig zu entwickeln. Egal, ob als Führungskraft oder Teammitglied – nimm dir bewusst Zeit für den Aufbau zwischenmenschlicher Verbindungen. Organisiere ungezwungene Coffee Chats, die nicht nur projektbezogen sind, sondern auch Raum für persönlichen Austausch schaffen. Gerade die zusätzliche Zeit außerhalb von Projektkontexten stärkt das Vertrauen und die Zusammenarbeit. - Individuelle Lernpausen einplanen
Veränderungen erfordern ständige Weiterentwicklung. Schaffe bewusst Zeit für Lernpausen, in denen du neue Fähigkeiten erwirbst, die vielleicht nicht direkt mit deinem Job zu tun haben. Diese „Soft Work“-Phasen ermöglichen es dir, Innovationen und frische Impulse aufzugreifen und dich langfristig weiterzuentwickeln. - Soft Skills gezielt ausbauen
Soft Skills wie Konfliktfähigkeit, Verhandlungsführung, Feedback geben oder Veränderungsmanagement sind unerlässlich in einer dynamischen Arbeitswelt. Investiere gezielt in die Entwicklung dieser Fähigkeiten, da sie dir helfen, in schwierigen Situationen souverän zu agieren und bessere Ergebnisse zu erzielen. - Technologie für Automatisierung nutzen
Wiederkehrende Aufgaben lassen sich oft durch den Einsatz von Technologie effizient automatisieren. So gewinnst du Zeit für anspruchsvollere Aufgaben und kannst dich stärker auf kreative und strategische Arbeit konzentrieren – der Kern von „Soft Work“. Diese Automatisierung ermöglicht es, den Fokus weg von monotoner „Hard Work“ zu lenken und Raum für Innovationen zu schaffen. - Üben, üben, üben
Kein Meister ist vom Himmel gefallen. Gerade schwierige Gespräche oder Verhandlungen erfordern Vorbereitung. Übe ein „Nein“ ein paar Mal im Spiegel oder simuliere wichtige Situationen mit Kolleg:innen. So gewinnst du an Sicherheit und kannst in realen Situationen souveräner auftreten.
In sich selbst vertrauen – und selbstbestimmt die eigenen Ziele erreichen
Selbstbestimmung ist keine Trotzhaltung – es ist eine Zukunftskompetenz. Ein Wandel von der Muss- zur Will-Kultur erfordert Mut, Klarheit und Entschlossenheit. Frauen, die sich in beruflichen Kontexten oft in einer Muss-Kultur wiederfinden, haben die Chance, diese festgefahrenen Muster zu durchbrechen und eine neue Arbeitsweise zu etablieren – eine, die von Selbstbestimmung und intrinsischer Motivation geprägt ist. Der Schlüssel liegt in der bewussten Veränderung der eigenen Denkweise und dem Setzen klarer Grenzen, um sich auf das zu konzentrieren, was wirklich zählt: die eigenen Ziele und die langfristige Vision. Wenn Frauen es schaffen, diesen Schritt zu gehen, profitieren nicht nur sie selbst in Form von mehr Zufriedenheit und Erfüllung, sondern auch ihre Unternehmen werden durch mehr Innovationskraft und Kreativität gestärkt. Nur durch das bewusste Loslassen von Kontrolle, das Vertrauen in das eigene Können und das Schaffen von Freiräumen für neue Ideen kann ein echter Wandel hin zu einer selbstbestimmten und erfolgreichen Unternehmenskultur gelingen.
Über Dr. Tina Ruseva
Dr. Tina Ruseva ist Expertin für Teamkultur und eines der bekanntesten Gesichter der deutschen Start-up-Szene. Als CEO von Mentessa, der Skill-basierten Plattform für Wissensaustausch und Mitarbeiterentwicklung, wurde sie u.a. von der NASDAQ in New York für ihr Engagement für Chancengleichheit geehrt. Dafür setzt sie sich auch als Expertin für die Europäische Kommission, Initiatorin des Big & Growing New Work Festivals, sowie als Präsidentin des Bundesverbands New Work ein. Ihr Buch „Ich muss gar nichts!” taucht noch tiefer in die Thematik ein und erscheint am 24. September 2024 bei Haufe.
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