Offener Brief an Bundesministerin Andrea Nahles
Vom Verein zur Förderung der Frauenpolitik in Deutschland e.V. – Geschäftsstelle der BAG
Reformpläne der Bundesregierung zur Rechtsvereinfachung bei Hartz IV werden Alleinerziehende und ihre Kinder de facto schlechter stellen und bergen erhebliches Streitpotential zu Lasten der Kinder.
Sehr geehrte Frau Bundesarbeitsministerin Nahles, sehr geehrte Vertreterinnen und Vertreter der zuständigen Ausschüsse,
sehr geehrte Fraktionsmitglieder und Mitglieder der Bundesregierung,
am Montag (30.5.) wird in den Ausschüssen eine Anhörung zu den geplanten Hartz IV Reformen (Entwurf eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch) stattfinden. Die Bundesarbeitsgemeinschaft kommunaler Frauen- und Gleichstellungsbeauftragter (BAG) hält die im Gesetzesentwurf enthaltenen Regelungen für minderjährige Kinder bei getrennt lebenden Elternteilen für absurd, unverantwortlich und unsozial. Diese Regelungen werden in der Praxis dazu führen, Alleinerziehenden das Sozialgeld für Zeiten zu streichen, in denen sich das Kind beim anderen Elternteil aufhält. Deshalb lehnt die BAG diese Regelungen entschieden ab.
Vor allem Frauen werden die Leidtragenden Ihres Vorhabens sein. Denn mehr als 90 Prozent der Alleinerziehenden sind Mütter. Bisher bekommen sechs- bis vierzehnjährige Kinder, die in einem Hartz IV Haushalt leben, 270 € im Monat. Pro Tag sind dies neun (!) €. Schon dieser Betrag lässt erahnen, dass damit nur das Allernotwendigste finanziert werden kann. Angenommen, das Kind verbringt zwei Wochenenden im Monat beim umgangsberechtigten Vater: In diesem Fall ist bei Verabschiedung des Gesetzes zu befürchten, dass der
Mutter 36 € im Monat abgezogen werden, selbst wenn der Vater keine Sozialleistungen erhält.
Doch die Fixkosten für Telefon, Strom, Versicherungs- oder Vereinsbeiträge laufen weiter. Wird also gekürzt, sinkt das Haushaltsbudget und das bedeutet eine massive Verschlechterung der Situation von Alleinerziehenden und ihren Kindern. Schon jetzt sind 40 Prozent der Alleinerziehenden mit ihren Kindern auf Hartz IV angewiesen. Die Hälfte aller Kinder in Armut stammt aus einem Alleinerziehenden-Haushalt. Diese werden nach Ihren Plänen noch weniger Geld zur Verfügung haben: Das kindliche Existenzminium wird somit unterschritten.
Hinzu kommt, dass Sie gesetzlich einen finanziellen Anreiz verankern, möglichst wenig Umgang zuzulassen. Denn: Nach Ihren Plänen reduziert jeder Umgangstag die Sozialleistung im Elternhaushalt der Bedarfsgemeinschaft des hauptverantwortlichen Elternteils, in den meisten Fällen der Mutter. Das führt zu Streit, gerade wenn die Familienkasse knapp ist und das wiederrum widerspricht dem Kindeswohl.
Kinder getrenntlebender Eltern brauchen vieles sogar doppelt, gerade weil sie zeitweise in zwei Haushalten leben: Das Kinderzimmer, Bett, Kleidung, Spielzeug und andere Alltagsutensilien.
Das neue Gesetz sollte eigentlich Bürokratie abbauen, wir befürchten, dass das Gegenteil der Fall sein wird, denn die jeweiligen Jobcenter wären mit dem Abzug und der Zahlung der Beträge beschäftigt. Die Alleinerziehenden müssen im Voraus angeben und später dokumentieren, wann und wie lange sich das Kind beim anderen Elternteil aufgehalten hat, etc. . Ein absurdes Verfahren, das die Alltagspraxis für alle Beteiligten erschweren wird. Schon jetzt mussten Alleinerziehende mit Einbußen rechnen, wenn ihr Kind Zeit mit dem anderen Elternteil verbringt – doch das wurde von Kommunen unterschiedlich gehandhabt und meist nicht umgesetzt – wahrscheinlich aus gutem Grund!
Es gibt kein Einsparpotential bei Alleinerziehenden Hartz IV-Familien, denn sie gehören ohnehin schon zur ärmsten Gruppe unserer Gesellschaft. Mit erheblichen Konsequenzen.
Statt Alleinerziehenden das Leben durch ein neues Gesetz weiter zu erschweren, ist es dringend notwendig, ein gezieltes Maßnahmenbündel zur Entlastung und Verbesserung der Situation von Einelternfamilien zu entwickeln und umzusetzen.
Untersuchungen wie die Evaluation der familienpolitischen Leistungen durch die Prognos AG oder die Bertelsmann Studie „Alleinerziehende unter Druck“ kommen zum Ergebnis, dass Alleinerziehende weniger von den familienpolitischen Leistungen profitieren als Zwei-Eltern-Familien und die soziale Schere zwischen den beiden Familienformen weiter auseinander geht. Obwohl Alleinerziehende in deutlich höherem Umfang erwerbstätig sind, sind sie gleichzeitig stärker von Armut betroffen. Die Ursachen hierfür sind auf die rechtlichen Rahmenbedingungen zurück zu führen. Diese gilt es zu ändern. Vorschläge beispielsweise zur angemessenen steuerrechtlichen Entlastung Alleinerziehender, zur Reform des Unterhaltsvorschusses oder zur Ausgestaltung des Kinderzuschlages müssen endlich aufgegriffen werden.
Es ist ein Skandal, dass Alleinerziehende in Deutschland – vor allem Frauen- und ihre Kinder, die das höchste Armutsrisiko tragen – durch Ihr Gesetzesvorhaben de facto weitere Einbußen hinnehmen sollen!
Sehr geehrte Frau Nahles, wir fordern Sie auf,
- den Gesetzesentwurf zur Rechtsvereinfachung SGBII nachzubessern,
- sicherzustellen, dass das Sozialgeld Alleinerziehender bei Umgang des Kindes mit dem anderen Elternteil nicht gekürzt wird,
- einen pauschalen Umgangskinder-Mehrbedarf im SGB II einzuführen,
- sich – auch gemeinsam mit den anderen Ministerien – für nachhaltige Schritte zur Verbesserung der Situation Alleinerziehender und ihrer Kinder einzusetzen.
Mit freundlichen Grüßen
Heike Gerstenberger und Annette Niesyto
für die Bundessprecherinnen
BAG-Geschäftsstelle/ Verein zur Förderung der Frauenpolitik in Deutschland e.V.