Vorbild-Unternehmerinnen: Juliane Neuß baut Räder mit Leidenschaft
2014 hat das Bundeswirtschaftsministerium das Projekt Vorbild-Unternehmerinnen ins Leben gerufen. Bundesweit konnten sich Unternehmerinnen bewerben, die dann ausgewählt wurden, um das weibliche Unternehmertum zu stärken und zu unterstützen. SHE works! stellt einige dieser Frauen vor. Im Januar-Newsletter konnten wir Juliane Neuß für unsere Portraitreihe gewinnen. Sie ist Fahrradbauerin und gerade dabei von Hamburg nach Clausthal-Zellerfeld zu ziehen.
Frau Neuß, Sie arbeiten als Fahrradbauerin für eine bestimmte Zielgruppe. Was bauen Sie?
Seit einigen Jahren habe ich mich auf Fahrräder für kleinwüchsige Menschen spezialisiert. Ich war durch eine Kundin in die Szene reingeschliddert und merkte plötzlich, dass dort ein deutlicher Bedarf an angepassten Fahrrädern existiert. Die landläufige Vorstellung, die können doch Kinderräder fahren funktioniert nämlich nicht. Durch meine langjährige Erfahrung in der Fahrradergonomie, fällt es mir relativ leicht die richtigen Anpassungen im Rahmenbau ein zu planen. Am Ende bekommt der Kleinwüchsige ein individuell angepasstes und gestaltetes Fahrrad, was technisch und vor allem auch optisch keine Ähnlichkeit mit einem Kinderfahrrad hat.
Sie sind seit zwei Jahren selbstständig, davor haben Sie Ihr Unternehmen in Teilzeit geleitet.
Ja, ich habe jahrelang aus einer sicheren Halbtags-Position heraus meine Firma gemanagt. Ursprünglich bin ich Metallographin, also Laborantin für Werkstoffkunde und ich liebe diesen Beruf. Auf der anderen Seite macht mir meine Firma auch sehr viel Spaß und der Erfolg der letzten Jahre zwingt mich jetzt, mich auf eine Sache zu konzentrieren. Das ist jetzt erst Mal der Fahrrad- und Spezialradbau.
Was reizt Sie ganz persönlich am Unternehmerinnentum?
Da muss ich gar nicht lange überlegen, es ist der Spaß am selbstständigen Arbeiten und die Sicherheit, dass bestimmt keine Langeweile aufkommt. Ich liebe es, Entscheidungen zu treffen und in meinen Lieblingsthemen Verantwortung für Neuentwicklungen zu übernehmen. Ich hatte zum Schluss auch im Labor sehr freie Arbeitszeiteinteilung und musste nicht stumpfsinnig irgendwelche Arbeitsstunden absitzen, sondern habe eher mit mehr Effizienz gearbeitet. Ich habe auch gerade erst gelernt, dass ein Unternehmer am Unternehmen arbeitet und nicht „im“. Es geht in erster Linie nicht mehr um die reine Fertigungstätigkeit, sondern darum, ein Unternehmen mit neuen Ideen, neuer Kundenansprache und klaren Zielvorstellungen voran zu bringen. Das führt dann automatisch auch zu neuen Arbeitsplätzen.
Sie wurde von der Initiative „Frauen unternehmen“ als Vorbild-Unternehmerin ausgezeichnet. Was macht eine Vorbild-Unternehmerin Ihrer Meinung nach aus?
Teilweise, dass was ich eben schon genannt habe, aber auf jeden Fall die Überzeugung, was bewegen zu können und dazu das entsprechende Charisma. Ob das jetzt in Schulen, oder in Uni-Seminaren ist, eine Vorbild-Unternehmerin soll anderen Frauen Mut machen, diesen Schritt zu wagen. Bei mir kommt noch hinzu, dass ich aus einem „gut behüteten“ Akademiker-Haushalt stamme. Handel und Verkauf hatten einen schlechten Beigeschmack, von diesem Bild musste ich mich befreien. Auch meine schulische Laufbahn war nicht geradlinig. Aber genau das soll anderen helfen, nicht das perfekte START-UP zu suchen, sondern den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen. Es ist nicht so schwierig und hat viel mehr Perspektive als man denkt.
Was ist Ihre Aufgabe als Vorbild-Unternehmerin?
Durch die bundesweite Koordination gibt es einen Pool an Unternehmerinnen, die von Schulen, oder Verbänden angefragt werden können, oder die bei Veranstaltungen von z.B. der IHK mit anderen Frauen ins Gespräch kommen und so die Idee von Selbstständigkeit und Unternehmerinnentum aktiv unterstützen. Das Problem ist ja, dass heute in den Schulen viel zu wenig über die Möglichkeit der Selbstständigkeit gesprochen wird. Die meisten jungen Leute haben Angst vor dem selbstständig sein. Sie streben nach 100%iger Sicherheit im Job und wundern sich dann, wenn es ihnen langweilig wird, sie gemobbt werden oder sie sich aus falsch verstandenem Ehrgeiz in eine Burn-out –Situation bringen. Es ist nicht so, dass das mir als Selbstständigen nicht passieren kann, aber da habe ich es selber in der Hand. Wenn ich mir die jungen Leute heute anschaue, dann sind die zwar gut ausgebildet, wissen aber meistens nicht, was sie mit ihrem Leben wirklich sinnvolles anstellen sollen. Da liegt sehr viel Potential brach und das ist einfach schade.
Sie selbst möchten vor allem Kindern zeigen, was beruflich alles möglich ist. Wie wollen Sie das angehen?
Kinder werden heute auf sehr hohe schulische Leistungen getrimmt. Meistens mehr oder weniger erfolgreich. Wer zum Schluss nicht ganz vorne mitspielt, hat auf dem Arbeitsmarkt angeblich keine Chancen. Das macht den Kindern zu Recht Angst. Mit dieser Angst lernt es sich schlecht. Wenn ein Kind aber das Gefühl bekommt, dass es viel mehr Möglichkeiten gibt, als zu studieren, oder Friseuse zu werden (`Tschuldigung, Friseuse ist bei mir ein Platzhalter, kein Schimpfwort) dann kann es sich viel besser entwickeln. Manche Kinder sind zwar rein schulisch gesehen schlecht, haben aber eine enorme Sozialkompetenz, die dann als Unternehmerin richtig gut rauskommt. Dann zählt die 4 in Latein nicht mehr.
Ich könnte mir vorstellen, in Schulen zu gehen und einfach meinen Werdegang zu erzählen, natürlich auch mit entsprechendem Bildmaterial, weil das immer gut ankommt. Vielleicht könnte ich auch einen Film über meine Firma anfertigen lassen. Ich habe ja mit meinem Fahrradbau ein Thema, wo Kinder schnell Anknüpfungspunkte finden und sich identifizieren können. Auf jeden Fall möchte ich die Neugierde wecken, die eigentlich in jedem Kind von Natur aus stecken sollte, nur leider viel zu oft durch chronische Langeweile verschüttet wird.
Gibt es einen Austausch unter den Vorbild-Unternehmerinnen?
Bei unserem Treffen in Berlin vor einem Jahr wurde mir bewusst, dass sich in vielen Bundesländern die Unternehmerinnen schon über Netzwerke austauschen und sich auch direkt treffen. Neu ist jetzt, dass sie Bundesweit vernetzt sind. Es gibt eine Plattform im Internet und eine Mailingliste. Ich selber bin da gerade nicht besonders aktiv, weil ich mit der Umstrukturierung und dem Umzug meiner Firma gerade sehr viel zu tun habe. Ich freue mich aber, dass ich danach in meiner Heimat, dem Oberharz, aktiv werden kann.
Welches konkrete Ziel wird Ihrer Meinung mit dem Netzwerk der Vorbild-Unternehmerinnen verfolgt?
So ein bisschen kann man das Gefühl bekommen, dass die Bundesregierung den Unternehmerinnen und den bereits vorhandenen Strukturen hinterherrennt. Das bundesweite Netzwerk kommt reichlich spät. Wahrscheinlich merkte das Bundeswirtschaftsministerium gerade, dass eine „Frauenquote“ in Führungsebenen nur realisierbar ist, wenn es grundsätzlich eine breitere Basis an Unternehmerinnen gibt aus dem man die neuen Führungskräfte rekrutieren kann. Man setzt jetzt alles daran die bereits sehr engagierten Frauen vor diesen Karren zu spannen. Mit ein bisschen Glück werden es dann auch automatisch mehr.
Viele Themen, die speziell Gründerinnen und Unternehmerinnen ansprechen sollen, sind viel zu gering in der Öffentlichkeit vertreten. Was wäre Ihrer Meinung nach wichtig, um hier mehr Sichtbarkeit zu erzeugen?
Es gab damals in Berlin einen Workshop, der hieß „Unternehmerinnen machen Schule“. Da ging es auch um die Sichtweise, die noch heute in (west-)deutschen Schulbüchern vertreten wird. Dort findet man ständig Klischees über Mütter und Hausfrauen, die nicht arbeiten, oder nur einen langweiligen Büro-Job machen. Die Väter haben dann die spannenden Arbeitsplätze. Da müsste man bereits anfangen, weil dort auch die Bilder geprägt werden, die später bei den Kindern wirksam sind, wenn sie sich für einen Beruf oder eine Karriere entscheiden.
Vielen Menschen fällt es auch heute noch schwer, sich eine Frau auf verantwortungsvollem Posten vorzustellen (obwohl „Hausfrau“ schon immer extrem verantwortungsvoll war, was aber von Männern nicht wirklich gesehen werden wollte). Frauen als Geschäftsführerinnen, vielleicht sogar noch in einem Maschinebau-Betrieb, werden nicht genauso wahrgenommen, wie ihre männlichen Kollegen. Da hängen wir noch ganz schön hinterher.
Die Veränderung kann nur erfolgen, wenn wir auf allen Ebenen Klischees abbauen. Da ist nicht nur die Regierung gefragt, da ist auch die Werbe-Branche gefragt, die sehr viele Bilder erzeugt, die uns beeinflussen. Frauen in Führungspositionen werden auch gerne in Lächerliche gezogen und zu Karikaturen verarbeitet.
Juliane Neuß
lebt in der Nähe von Hamburg, bereitet aber ihren Umzug nach Clausthal-Zellerfeld vor, um dort ihr neues Zuhause und ihre neue Werkstatt „Fahrradschmiede2.0“ aufzubauen. Sie baut Fahrräder und hat sich auf den Bau von Fahrrädern für Kleinwüchsige spezialisiert.