Was macht eine Unconcious-Bias-Trainerin? Anna-Maria Friedrich erklärt
Dass es mit der Gleichberechtigung in vielen deutschen Unternehmen noch hapert, ist mittlerweile anerkannte Tatsache. Doch befeuert durch die metoo-Debatte und weiteren erfolgreichen Diversity-Initiativen, setzt in immer mehr Firmen ein glaubhaftes Umsteuern hin zur Gleichberechtigung ein. Der IT-Dienstleister Avanade GmbH schult beispielsweise seine Führungskräfte im Rahmen eines Unconcious-Bias-Trainings im Abbau von Vorurteilen. Im Rahmen des Programms wird erörtert, welche unbewussten Annahmen in Bezug auf Männer und Frauen, aber auch andere Gruppen im Unternehmen vorhanden sind. Dabei wird diskutiert wie Missverständnisse entstehen und Personalentscheidungen beeinflusst werden. Anna-Maria Friedrich, Lead Talent Acquisition bei Avande DACH, ist ausgebildete Unconcious-Bias-Trainerin.
Frau Friedrich, Männer und Frauen sind gleichgestellt. Was sagen Sie?
Männer und Frauen sind vor dem Gesetz gleichberechtigt, aber in Wahrheit leider noch viel zu weit von einer wirklichen Gleichstellung entfernt. Am deutlichsten wird das für mich in der Wirtschaft und der Politik. Frauen haben laut Statistischem Bundesamt mehrheitlich bessere Schulabschlüsse, dennoch gibt es einen deutlichen Gender Pay Gap. Familiengründung kann für manche als Karrierekiller gelten, zum einen durch Ausfallzeiten, zum anderen durch das Fehlen von Konzepten zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Je weiter man in die höheren Führungsebenen schaut, desto klarer wird, dass diese unglücklicherweise von Männern dominiert werden. Gerade in der Politik gibt es recht prominente Negativbeispiele, obwohl diese entsprechend gegensteuern sollte. Ich denke da zum Beispiel an das Foto der Führungsriege des deutschen Innenministeriums. Es zeigte nach der letzten Wahl ausschließlich Männer – keine einzige Frau wollte Horst Seehofer in sein Spitzenteam berufen. Das ist ein fatales Signal.
Sie sind Lead Talent Acquisition und Unconscious Bias Trainerin. Was ist Ihr Tätigkeitsbereich bei Avanade?
Ich bin in der DACH-Region mit unserem gesamten Recruiting-Team mitverantwortlich, die richtigen Talente für Avanade zu gewinnen. Richtig heißt Fach-Skills und Softskills, aber auch der sogenannte Cultural Fit. Dabei spielt das Thema „Diversität“ eine große Rolle, um Vielfalt und Innovationsfähigkeit bei Avanade zu stärken. Denn Unternehmen, die auf Diversität setzen, sind erfolgreicher, wie z.B. eine Studie der Bertelsmann-Stiftung klar belegt. Als Unconscious-Bias-Trainerin sensibilisiere ich unsere Führungskräfte und Hiring-Entscheider auf unbewusste Voreingenommenheitsmechanismen. Meine Aufgabe ist es also, dieses Thema zu stärken und die Selbstreflexion auf mögliche verzerrte Wahrnehmungen zu erhöhen. Denn wer seine eigenen Muster und unbewussten Vorurteile versteht, kann diesen aktiv entgegenwirken. Die Wirkung eines Unconscious Bias wird meist unterschätzt, vor allem als Hindernis beim großen Ziel, ein wahrhaft diverses Unternehmen zu werden.
Arbeiten Sie als Unconscious-Bias-Trainerin mit bestimmten Methoden und Arbeitsweisen, um mehr Transparenz und Gerechtigkeit bei Personalthemen zu erreichen?
Wir haben ein Online-Modul, das als Basis dient und durch persönliche Trainings mit unseren Entscheidungsträgern vertieft wird. Während des Trainings werden Inhalte vermittelt und Übungen gemacht. Im Mittelpunkt steht dabei das sogenannte FLEX-Modell (Focus, Learn, Engage, eXpand). Vereinfacht gesagt geht es darum, seine eigenen Überzeugungen zu überprüfen, mit anderen in den Dialog zu treten, daraus zu lernen und so seine Entscheidungsmöglichkeiten zu erweitern. Der Fokus auf unsere Mitarbeiter ist ein wichtiger Bestanteil unserer Unternehmenskultur, und wir erhalten starke Unterstützung von der Führungsebene, die sämtlichen Initiativen fördert und vorantreibt. Zum Beispiel haben wir in der Region die Color-Up-Initiative ins Leben gerufen. Die Initiative selbst besteht aus kleineren Arbeitsgruppen von Mitarbeitern, die unterschiedliche Aktionen vorantreiben. Das können etwa neue Formate für Deutschkurse für unsere internationalen Mitarbeiter sein, die Ein- und Weiterführung von Familientagen, die Zusammenarbeit mit Externen usw
Wie wird man eine Unconscious-Bias-Trainerin?
Bei uns ist es ein Train-the-Trainer-Konzept, also eine interne Maßnahme. Ich wurde zum ersten Mal mit meinen europäischen Kollegen aus dem Talent Acquisition bereits vor gut drei Jahren in London trainiert. Es gibt dazu aber auch externe Weiterbildungsmöglichkeiten, jedoch insbesondere im englischen Sprach- und Kulturraum. Dort ist das Thema ein gutes Stück weiter als bei uns.
Diese Position lässt vermuten, dass sich beim Thema Diversity und Gender einiges tut. Ist das aus Ihrer Sicht richtig?
Auf jeden Fall ist das richtig. Ich möchte an dieser Stelle festhalten, dass Diversity sehr viele Dimensionen hat, nicht ausschließlich das Geschlecht. Sie sind nicht immer alle erkennbar und messbar. Gender ist aus meiner Sicht jedoch eine der wichtigsten und vor allem eine mit dem größten Nachholbedarf. Wie gesagt: Es ist nachgewiesen, dass diverse Teams kreativer und erfolgreicher sind. Kreativität ist gerade im Zeitalter der Digitalisierung ein wichtiger Faktor und fördert Innovation. Auch unsere Kunden sehen, erleben und schätzen den Mehrwert von diversen Teams. Und aus Erfahrung kann ich sagen, dass es einfach viel bereichernder ist und mehr Freude bringt, in einem bunten Team zu arbeiten.
Sie haben aufgrund Ihrer Position und Ihrer Tätigkeit Einblicke in die Denkweise von Managern. Woran liegt, Ihrer Meinung nach, die fehlende Anerkennung von weiblichen Führungskräften?
Fehlende Anerkennung habe ich bisher nicht selbst erlebt. Ich würde es auch eher als fehlende Förderung weiblicher Führungskräfte und des gesamten Change-Prozesses beschreiben. Aber durch mehr weibliche Beteiligung auf Führungsebenen wird sich einiges tun, und auch die Spielregeln werden sich ändern. Ich persönliche sehe bei Männern und Frauen unterschiedliche Handlungs- und Denkweisen, durch die lang bestehende Strukturen, Prozesse und Entscheidungsfindungen aufgebrochen werden. Und die Konkurrenz für solche Profile wird steigen, also insgesamt eine neue Situation für unsere männlichen Kollegen schaffen, der wahrscheinlich nicht alle freudig entgegen treten *lacht*. Die fehlende Förderung beziehe ich zum einen auf die Schaffung der Rahmenbedingungen, wie zum Beispiel von mehr Teilzeitstellen oder der Umsetzung von Job-Sharing-Konzepten, zum anderen auf Führungskräfte, die noch zu wenig weibliche Talente fördern.
Wie treten Sie an diese Männer heran, um sie auf die Problematik aufmerksam zu machen?
Bei uns im Unternehmen muss ich darauf niemanden mehr aufmerksam machen. Dennoch ist es natürlich wichtig, bei dem Thema dran zu bleiben und die Diversity-Ebene stets zu berücksichtigen. Das gilt etwa bei Weiterbildungen und Beförderungen. Zudem haben wir in der DACH-Region den sogenannten Diversity Council, der Gender-gerecht mit jeweils zwei weiblichen und zwei männlichen Führungskräften besetzt ist.
Und wie sind die Reaktionen?
Bei Avanade sehr positiv. Jeder im Unternehmen weiß, dass es der richtige Weg ist und dass Diversity zu unserer Kultur gehört. Wichtig ist hierbei, stets zu verdeutlichen, warum wir das machen und dass es nicht ausschließlich um einen paritätischen Anteil an Frauen geht. Hinter Diversität verbergen sich viel mehr Dimensionen: Denkweisen, Kultur, Kommunikationsstil, Religion etc. Das sind alles hochgradig relevante Bestandteile.
Wo müsste man noch ansetzen, um ein Umdenken nachhaltig zu implementieren?
Wir müssen auf jeden Fall ganz früh bei unseren Kindern anfangen, alte Denkmuster aufzulösen und eine Gender-neutrale Erziehung einzuführen, um Prädispositionen entgegenzuwirken. Denn es haben sich viele Vorurteile in unserem Gesellschaftssystem etabliert, die wir aufbrechen müssen. Ich denke da an meine Schulzeit, in der wir als Mädchen schon sehr klar gespürt haben, dass Naturwissenschaft eher etwas für Jungs sei und dass wir lieber schönschreiben können sollten. Das ist übrigens heute insofern ein drängendes Problem, als die Unternehmen ja gerne mehr Frauen mit technischem Hintergrund einstellen würden, diese aber am Arbeitsmarkt viel zu wenig vorhanden sind. Natürlich müssen die Rahmenbedingungen stimmen, sie werden jedoch die Einzelnen nie vollständig von ihrer Eigeninitiative entlasten können.
Welche Erfahrungen haben Sie beim Thema Gleichberechtigung selbst gemacht, seit Sie diesen Job innehaben?
In meiner beruflichen Laufbahn habe ich mich auf gewisse Weise immer gleichberechtigt gefühlt. Dies könnte durchaus auch daran liegen, dass ich mich schon immer im Bereich Marketing & HR bewegt habe, wo traditionell eher der Hang zu einem größeren Frauenanteil besteht. Und das ist der Punkt bei Diversität: Es wäre gut, in diesem Umfeld mehr Männer zu haben. Ein paar mehr männliche Kollegen würden unserem HR-Team zum Beispiel guttun. Auch hier müssen wir Verkrustungen und tradierte Denkmuster überwinden. In meinem privaten Umfeld habe ich leider schon negative Erfahrungen von Freundinnen geschildert bekommen, die sich in vielleicht noch nichts so ganz „modernen“ Branchen beziehungsweise Unternehmen bewegen. Das sind für manche vielleicht nur Kleinigkeiten. Allerdings hat es mir gezeigt, dass wir bei Avanade auf einem guten Weg sind und hoffentlich ein Vorbild für andere sind.
Sie sind tätig bei Avanade, einem Unternehmen, das Betriebe auf dem Weg in die Digitalisierung unterstützt. Mit wie vielen Frauen arbeiten Sie zusammen?
Insgesamt leider noch immer mit viel zu wenigen, obwohl wir aktiv am Thema Diversität arbeiten. Gerade das IT-nahe Beratungsumfeld sehen zu viele Frauen nicht als mögliche berufliche Heimat. Das ist bedauerlich, da wir immer vielfältigere Rollen anbieten können und Konzepte für eine geringere Reisetätigkeit ausbauen. Unserem großen Ziel des 50/50-Verhältnisses nähern wir uns jedoch an: Aktuell sind bereits 30 Prozent der Neueinstellungen weiblich.
Wünschen Sie sich mehr weibliche Kolleginnen?
Mit Blick auf das bisher Gesagte: Ein klares JA für die Zahl der Kolleginnen im Unternehmen insgesamt.