Unternehmerinnenporträts

Marie Freesemann: Mehr Verständnis für die weibliche Gesundheit schaffen

Als Geschäftsführerin bei der Firma femtis ist Marie Freesemann dafür verantwortlich mit ihrem Team rund um Themen der Frauengesundheit aufzuklären und Frauen während unterschiedlicher Lebensphasen mit Unterwäsche für Periode, Inkontinenz und Schwangerschaft gezielt zu unterstützen. Dabei liegt ihr die Verbindung von Sicherheit, Komfort und Attraktivität besonders am Herzen. Zuvor war sie als Director Sales beim Online-Händler AMORELIE für die Steuerung der Verkäufe im Bereich B2B, Marketplaces und Toyparty verantwortlich. Weitere Erfahrung sammelte sie u.a. bei Amazon Fashion, Monitor Deloitte und Roland Berger Strategy Consultants in unterschiedlichen Rollen.

Marie, Du bist die Geschäftsführerin von femtis. Bevor wir darauf näher eingehen; wie sah Dein Berufsweg vorher aus?

Wenn ich so an meinen Berufsweg zurückdenke, haben eigentlich immer zwei Themen eine große Rolle gespielt: Zum einen das Thema Kunde. Ich fand es immer spannend, im direkten Kundenkontakt zu arbeiten. Und das zweite Thema ist Handel und eCommerce. Ich habe in meinen vergangenen Positionen immer versucht beides miteinander zu verbinden. Gestartet bin ich als Strategieberaterin bei Roland Berger, damals in Deutschland und Italien, und habe da schon viele Projekte im Bereich Konsumgüter und Handel betreut und fand das einfach wahnsinnig spannend, mich immer in den Kunden hineinzuversetzen. ‘Kunde’ kann dabei auch mehrere Bedeutungen haben. Nicht nur den Kunden, für den ich gearbeitet habe, sondern auch der Endkunde meines Kunden, in den ich mich dann in den jeweiligen Projekten hineinversetzen musste. Irgendwann habe ich dann aber gesagt: Ich will eigentlich noch mehr hands on arbeiten und eine funktionale Rolle einnehmen.

Wie ging es nach dieser Entscheidung für Dich beruflich weiter?

Ich bin dann zu Amazon Fashion gegangen und habe dort das europäische Key Account Management mit aufgebaut. Nirgendwo lernt man das Thema Kunde und was es eigentlich bedeutet, Kunden zentrisch zu arbeiten so gut kennen wie bei Amazon. Dort lernt man das Thema eCommerce einfach von der Pike auf nochmal komplett neu. Das war für mich natürlich wahnsinnig spannend, weil wir quasi auf der grünen Fläche gestartet sind und alles wirklich neu aufgebaut haben.

Und dann bist Du zu femtis gegangen?

Nein, vorher hat es mich noch zu Amorelie als Vertriebsleiterin verschlagen. Dort hatte ich ein sehr großes Team, mit dem ich die drei Bereiche B2B, B2C, Marktplatz und den Direktvertrieb aufgebaut und weiter professionalisiert habe. Das war für uns alle sehr lehrreich, da wir uns fast täglich auf verschiedene Kundengruppen einstellen und uns immer wieder fragen mussten ‘Wie kann ich dem gerecht werden?’ und ‘Wie kann ich Potenziale ausschöpfen?’. Zu guter Letzt bin ich dann aber über einen Kontakt aus meiner früheren Berufslaufbahn zu femtis gekommen. Das war dann für mich nochmal eine ganz neue Herausforderung.

Inwiefern?

Vorher habe ich in einem großen Team und mit einem sehr spezialisierten Aufgabenbereich gearbeitet. Bei femtis ist es dagegen ein kleines Team mit einem breit gefächerten Aufgabenbereich und voller GuV Verantwortung. Außerdem finde ich das Produkt total spannend und wie wir seine Vorteile an die Frauen kommunizieren können, die noch gar nicht wissen, dass es femtis überhaupt gibt, die also potentielle Kundinnen darstellen. Die müssen wir ja erstmal erreichen und Anreize bieten unser Produkt auszuprobieren. Auch Themen rund um die weibliche Gesundheit spielen für uns eine wichtige Rolle, da gibt es aber noch viele Tabus, die wir aufbrechen müssen.

War für Dich die neue Position als Geschäftsführerin einschüchternd oder konntest Du direkt auf Deine bisherigen Erfahrungen aufbauen?

Da kann ich auf jeden Fall drauf aufbauen. Aber ich muss natürlich sagen, das geht auch nicht von heute auf morgen. Für mich gab es auch Themen, die komplett neu waren, in die ich mich erst mal einarbeiten musste, weil es etwas anderes ist als Führungskraft zu arbeiten oder die Rolle einer Geschäftsführung inne zu haben. Der große Unterschied ist die alleinige Verantwortung für diese enorm große Bandbreite an Themen. Das kann durchaus einschüchternd wirken. Aber wenn man die Themen mit der nötigen Sorgfalt angeht und im Austausch mit anderen steht, ist das alles händelbar. Denn mit der nötigen Vertrauensbasis sind offene Diskussionen immer möglich. Außerdem habe ich mir mit der Zeit einen guten Werkzeugkoffer aufgebaut. Das heißt, selbst wenn ich mich plötzlich in einer Situation befinde, in der ich zwar das Ziel kenne, aber nicht weiß, wie der Weg dahin aussieht, habe ich einige Tools an der Hand, um immer klar strukturiert anzufangen und so Risiken auch zu vermeiden.

Trotz oder vielleicht auch gerade wegen dieser Herausforderungen hast du Dich für eine Karriere als Führungskraft und inzwischen Geschäftsführerin entschieden. Wir erleben aber immer wieder, dass sich Frauen nicht trauen diesen Weg zu gehen. Hast Du Empfehlungen?

Ich war früher immer der Meinung, nach etwa zehn Jahren Berufserfahrung sollte man genug gesehen und gelernt haben um für so eine Position bereit zu sein. Das muss ich inzwischen revidieren. Es gibt nicht den einen Punkt, an dem man genug gelernt hat, es ist eher die Frage, ob man sich mit dem Erlebten bereit fühlt und auch eine entsprechende Position überhaupt übernehmen möchte. Viele Beispiele von jungen erfolgreichen Gründerinnen zeigen, dass es auch nicht das richtige Alter für eine Führungsposition gibt. Man muss sich einfach fragen: Bin ich bereit in das (eigene) Unternehmen, das Team und sich selbst zu investieren? Denn das Ganze ist auch sehr emotional, da es nicht nur Glücksmomente gibt, es ist viel Arbeit und manchmal muss man auch durch ein Tal der Tränen gehen. Und in schwierigeren Zeiten muss man dem Unternehmen und dem Team Sicherheit geben, das ist eine große Verantwortung, die man da trägt. Aber es erwartet ja auch keiner, dass man von null auf hundert eine perfekte Führungskraft ist. Zum einen gibt es immer Support von anderen und außerdem geht man einen Schritt nach dem anderen, wächst in die Rolle hinein und eignet sich dabei, so wie ich auch, einen eigenen Werkzeugkoffer an. Und wenn man dann ein paar Jahre später zurück schaut, ist man überrascht, was man schon alles erreicht hat. Leider sind besonders Frauen häufig viel zurückhaltender in dem, was sie sich wann zutrauen; Männer haben dagegen meist mehr Zutrauen in ihre Fähigkeiten.

Du sprichst von Support. Hat Dich in deiner Laufbahn jemand unterstützt oder warst Du meist auf dich allein gestellt?

Meine Mutter war meine stärkste Mentorin. Ich weiß, das ist vielleicht eine Klischeeantwort, aber bei mir stimmt es wirklich. Meine Mutter war selbst Unternehmerin. Sie hat bei uns im heimischen Keller irgendwann ihr eigenes Unternehmen im Bereich zertifizierte Sport- und Pilateskurse gestartet und nach und nach weiter aufgebaut. Sie war originär gar nicht Unternehmerin, sondern kam klassisch aus den Sportwissenschaften und hat sich dennoch getraut. Das lag an ihrem starken Grundvertrauen, das sie auch an mich weitergegeben hat. Sie hat immer gesagt, zum Beispiel wenn ich in der Schule eine Klausur geschrieben habe, ‘Du hast alles dafür getan, was du konntest und dann ist das Ergebnis am Ende auch ok’. Ich glaube, das ist das Credo, was ich jetzt auch die letzten Jahre mitgenommen habe. Ich habe immer versucht mein Bestes zu geben. Aber natürlich wird es immer wieder Situationen geben, die ich nicht beeinflussen kann, wo ich dann schauen muss, wie ich damit pragmatisch umgehe.

Siehst du Dich selbst als Rolemodel?

Für mich gibt es nicht das eine Rolemodel, sondern man lernt viele Menschen kennen, mit unterschiedlichen Eigenschaften, die man für sich (angepasst) übernehmen kann. Ich versuche mal so auf die Frage zu antworten, wie wohl mein Team mich beschreiben würde. Das Wichtigste für mich sind Ehrlichkeit und Vertrauen und das in beide Richtungen. Ich bin immer offen für Feedback, auch für negatives, da ich daraus lernen kann. Ich kann auch damit leben, wenn ein Teammitglied offen sagt, dass es sich gerne weiterentwickeln würde, aber hier im Unternehmen keine Chance dafür sieht. In der Vergangenheit habe ich erlebt, dass Führungskräfte damit nicht umgehen konnten und direkt beleidigt waren. Ich möchte dagegen meine Mitarbeiter supporten, denn ich möchte ja, dass sie glücklich sind und damit dem Unternehmen noch lange erhalten bleiben.

Damit sprichst Du ganz wichtige Punkte an, die für unsere Leser*innen auf jeden Fall sehr inspirierend sein dürften und ihnen Mut geben. Und wo wir schon beim Stichwort Inspiration sind: Ihr habt nicht nur euer Produkt, die Periodenunterwäsche, sondern ihr engagiert euch auch für das Thema Frauengesundheit.

Ich lese gerade das Buch “Die unsichtbare Frau” von Caroline Criado-Perez, das sehr eindrücklich schildert, wie Datensätze aus der Vergangenheit, die Grundlagen für Entwicklungen in Technik, Medizin und Bildung waren, hauptsächlich auf Männern basieren. Dabei wissen wir inzwischen, dass es zwischen Männern und Frauen große Unterschiede gibt und Frauen somit häufig nicht berücksichtigt werden. Das fängt bei der Höhe des Autogurts an, geht über unterschiedliches Lernverhalten, bis hin zu fehlerhaften medizinischen Diagnosen. Über weibliche Gesundheit wird viel zu wenig gesprochen, es fehlt an Transparenz, Verständnis und Aufklärung. Das merken wir auch bei unseren Produkten. Laut einer aktuellen Studie können sich etwa 60 Prozent der befragten Frauen eine Alternative zu Tampon und Binde vorstellen, aber nur etwa 7 Prozent nutzen sie. Das heißt auch für uns noch sehr viel Aufklärungsarbeit. Es braucht einen Anreiz etwas neues auszuprobieren und sich davon überzeugen zu lassen.

In der Werbung ist Periodenunterwäsche auch nicht präsent. Als Frau siehst du Tampons und Binden und denkst, das ist alles. Das wollt ihr aber ändern.

Genau. Unter anderem dafür haben wir auch ein Online-Magazin, das sich mit dem Thema beschäftigt, aber noch viel weiter geht: Wir beantworten Fragen rund um alle Themen der Frauengesundheit. Meist ist das Thema Menstruation ein Thema, was die Frau mit sich alleine ausmacht oder vielleicht noch mit den eng stehenden Freunden. Aber für mich ist es auch ein Thema zwischen Paaren. Weil am Ende des Tages, da reden wir hier über Frauengesundheit und das sollte auch ein Thema sein, was völlig natürlich besprochen und diskutiert werden kann, egal mit wem ich da am Tisch sitze und man nicht das Gefühl hat, oh, ich könnte ja ein vermeintliches Tabu ansprechen. Ein weiteres wichtiges Thema ist Inkontinenz – bei Frauen und Männern – über das wir viel zu wenig sprechen und aufklären. Das muss sich ändern.

… und diese Offenheit von euch kommt sicherlich gut an.

Ja, auf jeden Fall. Das macht uns auch als Marke aus. Wir arbeiten auch in unserem Netzwerk eng mit Hebammen und Gynäkolog*innen zusammen, damit wir nicht ein Produkt entwickeln, das am Ende keiner will oder das nicht den Ansprüchen genügt. Der fachliche Input ist unbeschreiblich wichtig, wenn wir zum Beispiel Produkte Mamas entwickeln wollen oder Panties die bestimmte Krankheitsbilder unterstützen. Wir setzen aber auch auf unsere Community, die uns über Social Media ständig Feedback gibt, das wir in unsere Überlegungen mit einbeziehen können. Das zeichnet uns wirklich aus, weswegen wir inzwischen mit unserer Marke schon sehr gut etabliert sind. Wir bekommen sogar Anfragen von Lehrkräften, die in ihrem Aufklärungsunterricht noch mehr Möglichkeiten für Menstruationsprodukte zeigen möchten. Das geht für mich in genau die richtige Richtung für mehr Aufklärung, Transparenz und damit auch Verständnis für die weibliche Gesundheit.

Darüber hinaus engagiert ihr euch auch sozial. Warum ist Dir und euch das so wichtig?

Wir wollen jeder menstruierenden Person Zugang zu Menstruationsprodukten ermöglichen. Und wenn man sich stärker damit beschäftigt, ist es, glaube ich, keine Überraschung, dass dieser Zugang nicht für jede potenzielle Nutzerin* auch gegeben ist. Uns ist deswegen schnell klar geworden, dass wir uns engagieren wollen. Wir haben zum Beispiel mit der Bridge Foundation in Kamerun ein Projekt ins Leben gerufen, um Frauen und Mädchen vor Ort mit nachhaltigen Menstruationsprodukten zu versorgen. Dort ist die Armut so groß, dass es generell gar keinen Zugang zu irgendwelchen Produkten gibt, sich also mit unhygienischen Alternativen geholfen wird und es dadurch häufig zu Krankheiten kommt. Diese Spenden sind zwar nur ein Tropfen auf den heißen Stein, aber vor Ort bewirken sie eine Menge und alle ein bis zwei Monate gehen wir zudem ein neues Projekt an. Wie beispielsweise in Hannover, wo wir obdachlose Frauen ebenfalls mit unseren Panties versorgt haben. Und ich glaube das sollte auch der Weg sein, ein nachhaltiges Produkt zur Verfügung zu stellen, was wieder genutzt werden kann, was einfach zu handhaben ist und was einfach für diese Frauen ein Weg ist, durch die Periode zu kommen und da entsprechend auch ein sicheres Gefühl zu haben.

Vielen Dank kann ich an dieser Stelle nur sagen für euer Engagement und auch gleichzeitig für dieses Gespräch. Ich wünsche dir und euch weiterhin viel Erfolg!

Hier geht es direkt zur Homepage von femtis: www.femtis.de

Im Oktober-Magazin (VÖ 10.10.22) wird Marie Freesemann mit einem Artikel vertreten sein, der sich noch intensiver mit der weiblichen Gesundheit beschäftigen wird.

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