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Claudia Janet Birkholz: Musik ist ein elementarer Teil meiner Persönlichkeit

Claudia Janet Birkholz ist eine gefragte Interpretin für Klaviermusik des 20. und 21. Jahrhunderts sowie Dozentin für Klavier und zeitgenössische Musik an der Hochschule für Künste Bremen. Sie tritt als Solistin und im Ensemble bei international bedeutenden Festivals auf, etwa bei den „Tagen für zeitgenössische Musik, Dresden“, und konzipiert Programme, mit denen sie sich künstlerisch und musikalisch in neue Richtungen bewegt. Dazu inszeniert sie ihre Auftritte mit unkonventionellen Werken von KomponistInnen, die oft aus dem Performance-Bereich stammen. Die bekannte  Pianistin hat ihr Leben der zeitgenössischen Musik verschrieben: Aus dem Grund gründete sie das Forum realtime, ein erfolgreiches Format zur Vernetzung verschiedener Künste mit den Wissenschaften. Dadurch hat sie mit Unterstützung des deutschen Musikrats und des Landesmusikrats Bremen ein Jugendensemble für Neue Musik ins Leben gerufen.

Frau Birkholz, klassischer Musik haftet immer ein wenig das Siegel des Angestaubten an. Sie wollen das ändern. Was haben Sie vor?

Von dem Teil der klassischen Musik, die bis zur ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts komponiert wurde, kann man das vielleicht behaupten. Von der danach entstandenen Musik, der zeitgenössischen Musik aber überhaupt nicht. Die gilt eher als zu unkonventionell, zu experimentell, zu frech. Hier geschehen aufregende, innovative Dinge. Es gibt Instrumente und Klänge zu entdecken, die noch völlig unbekannt sind. Da werden allerneueste elektronische Entdeckungen in Musikwerke eingebaut. Da wird das Publikum in experimentelle Klanginstallationen eingeladen, die einfach nur spannend und erfrischend sind und den Zuhörer mit neuen Ideen aus den Konzerten entlassen. Das ist sehr unterhaltsam und bereichernd, nur leider in Bremen viel zu selten zu hören und in großen Konzerthäusern wie der Glocke schon gar nicht. Das ist schade. Aber auch ein Grund, warum ein junges Publikum dort eher selten zu finden ist. In anderen Ländern, zum Beispiel Polen, ist bei dem jährlich stattfindenden Festival für neue Musik, dem „Warschauer Herbst“ , die ganze Stadt auf den Beinen. Alt und Jung, aus allen gesellschaftlichen Schichten. Das möchte ich für Bremen erreichen. 2020 werden wir, der Verein Realtime-Forum neue Musik, dessen Vorsitzende ich bin, erstmals das „Realtime-Internationales Festival für neue Musik“]ðv in Bremen durchführen. Der Warschauer Herbst ist unser Kooperationspartner und unser Gastland ist Polen. Viele herausragende Künstler werden nach Bremen kommen. Neu: Das Programm ist abwechslungsreich: Vier Tage experimentelle Musik, extravagante Instrumente, Tanz, Lichtinstallationen, Videoarbeiten und Poetry – und zwar überall: Auf der Straße, im Museum, im Theater und in der Straßenbahn, getreu dem Motto „Begegnungen“. Außerdem werden wir erstmals den mit 30.000€ dotierten Köster-Preis für ein Musikvideo/einen Musikfilm zu zeitgenössischer Musik verleihen. Jan Harlan, der Schwager und enge Mitarbeiter von Stanley Kubrik, wird dafür nach Bremen kommen und über seine Arbeit mit Stanley Kubrik sprechen.

Sie sprechen auch von der klassischen Neuen Musik. Können Sie kurz erklären, was es damit auf sich hat?

Dieser Begriff wird manchmal benutzt um etwas klarer einzugrenzen, um welche Musik es sich handelt. Es ist die Musik, die heute komponiert wird, aber kein Pop oder Jazz. Die Wurzeln der „Neuen Musik“ oder „zeitgenössischen Musik“ liegen in der Klassik. Es gibt aber viele Überschneidungen z. B. mit Free-Jazz, der electronic music und natürlich mit vielen Neuen Medien.

Auf Ihrer Website laden Sie ein zu Gesprächskonzerten. Was erwartet die Besucher?

In meinen Gesprächskonzerten möchte ich meinem Publikum Werke aus dem Bereich der zeitgenössischen Musik näher bringen, die die meisten nicht kennen. Ich erläutere Hintergründe, gebe akustische Einstiegshilfen und spiele auch Werke zweimal. Es ist überraschend, wie schnell wir unser Hören umstellen können und wie schnell so aus zuerst sehr fremdartiger Musik Klänge werden, die wir genießen können. Ich habe jedes Mal einen anderen Gast zu Besuch. Aus den Bereichen der Neurowissenschaft, der KI-Forschung, der Musikpsychologie. Und natürlich Künstler*innen aus anderen Sparten. Tänzer*innen, Schauspieler*innen, Musiker*innen, Komponist*innen. Die Besucher haben dabei die Möglichkeit, in einen direkten Austausch mit den Vortragenden auf der Bühne zu kommen. Sie können Fragen loswerden, die sie immer schon auf stellen wollten und in angeregte Gespräche auch mit anderen Zuhörern kommen.

Musik wird von jedem anders wahrgenommen, wie wollen Sie mit Ihrer Musik, also mit klassischer Musik, möglichst viele Menschen erreichen? Auch diejenigen, die bislang vielleicht wenig Interesse an dieser Musikrichtung hatten.

Zuerst einmal möchte ich Neugier bei den Menschen auslösen. Die zeitgenössischen Musik unterscheidet sich von der „normalen“ Klassik ja noch einmal dadurch, dass sie nicht diesen Mühlstein des „ das macht man so, das haben wir schon immer so gemacht“ am Hals hat. Für mich ist und war die neue Musik immer eher eine Spielwiese auf der (fast) alles erlaubt ist. Es gibt Klavierstücke, da soll ich mit dem Po auf den Tasten bestimmte Klänge spielen oder Silvester-Raketen aus dem Flügel abfeuern. Wenn man in ein Konzert geht, weiß man nie genau das einen erwartet. Es kann sehr experimentell, es kann verwirrend sein, es kann hohe Anforderungen an den Hörer stellen, aber es ist nie langweilig. Wir planen bei unserem Realtime-Festival 2020 spannende Events, die weit über normale Konzerte hinausgehen. Lichtshows, Videoarbeiten, Musiktheater-Produktionen, neue Instrumente, die zum Mitmachen einladen, audio-visuelle Kompositionen, Tanz, Poetry und abends DJ-Partys.

Wie reagieren Kollegen und Freunde auf Ihr Vorhaben? Was bekommen Sie für Feedback?

Ich bekomme nur positives Feedback. „Höchste Zeit, endlich was los, unbedingt dabei sein“ das sind so die Reaktionen. Und das freut mich natürlich.

Was macht Musik für Sie aus?

Musik ist ein elementarer Teil meiner Persönlichkeit. Wenn ich täglich einige Stunden am Klavier sitzen und mit Klängen arbeiten kann, bin ich glücklich. Das ist die Quelle meiner Energie und Zufriedenheit. Dann schaffe ich auch alles andere.

Foto: Andreas Caspari

Haben Sie auch gleich mit klassischer Musik angefangen oder sind Sie über andere musikalische Wege an E-Musik herangeführt worden?

Als ich 9 Jahre alt war, kam ein Klavierlehrer von der Musikschule Bremen an meine Grundschule. Nach meiner ersten Klavierstunde war für mich alles klar und ich verkündete prompt Zuhause, dass ich Pianistin werden würde. Diese absolute Gewissheit, dass genau dies meine Leidenschaft und Profession sein wird, ist nie ins Wanken geraten. Und es war immer die klassische Musik. Alles andere fand ich sehr viel uninteressanter. Wobei ich aber erst im Studium die zeitgenössische Musik lieben gelernt habe. Vorher waren es eher Chopin, Schumann und Beethoven.

Sie sind Pianistin, Dozentin und Mutter, drei Vollzeitjobs! Wie schaffen Sie das?

Ich habe gelernt, mich schrittweise immer besser zu organisieren. Lernen musste ich auch, die Aufgabenbereiche klar voneinander abzugrenzen. Wenn ich Klavier übe, dann gehe ich nicht ans Telefon. Mir kommen dann allerdings oft gute Ideen oder Problemlösungen, die ich sofort notiere. Ich habe überall Zettel und To-do-Listen, um den Kopf für Ideen frei zu behalten. Und ich arbeite nach dem Motto: Was weg ist, ist weg. Also erledige ich möglichst zeitnah Kleinkram-Dinge, die sonst Sand im Getriebe sein würden.

Immer noch macht es den Anschein, dass es wesentlich mehr Männer als Frauen in der Musikbranche gibt, vor allem Solokünstler. Täuscht das?

Ich persönlich kenne sehr viele hervorragende Kolleginnen, Musikerinnen und Komponistinnen. Wenn ich allerdings in die Programmplanung der großen Häuser und Festivals schaue, dann sehe ich viele dieser Kolleginnen nicht. Warum sind sie so wenig sichtbar? An der Qualität kann es nicht liegen. Aber ist dies nicht das Hauptkriterium nach dem Künstler*innen bewertet werden sollten? Stattdessen steht oft der marktwirtschaftliche Aspekt im Vordergrund und damit das attraktive Äußere, die interessante Lebensgeschichte oder der nutzbringende Mythos.

Ist es für Frauen schwerer, in der Musikbranche Fuß zu fassen?

Als Musikerin oder Musiker musst du dich ja selbst vermarkten. Gerade als Solo-Pianistin bin ich dabei ganz auf mich alleine gestellt. Es gibt viel zu wenig Dienstleister, Konzertmanager und das besonders im Bereich der zeitgenössischen Musik. Also muss ich selber an Türen anklopfen mit diesem „ ich bin so toll, lasst mich spielen“. Das ist grundsätzlich ganz schwierig für viele Menschen. Für Frauen, denke ich noch mehr, da sie selten zu offensivem Auftreten erzogen werden.

Gibt es den Gendergap in der Bezahlung auch im Bereich der klassischen Musik?

In dem Bereich der solistischen Tätigkeit, in dem ich auftrete, werden Honorare individuell ausgehandelt. Da habe ich zu wenig Informationen was Kollegen, die das Gleiche machen wie ich, verdienen.

Wenn ja, wie kann man das ändern?

Ändern würde ich gern die grundsätzliche Wahrnehmung der Leistung von Musiker*innen. Es gibt so viele Menschen, die von sich sagen, dass Musik ein extrem wichtiger Bestandteil ihres Lebens ist. Gleichzeitig möchten sie Musik aber gern möglichst umsonst genießen können. Wie soll das gehen? Zur Zeit ist es so, dass Musiker*innen zu der am schlechtesten bezahlten Berufsgruppe gehören. Mit gleichzeitig der längsten Ausbildung (ca 18 Jahre). Und gleichzeitig der höchsten Lebenszufriedenheit. Das ist einerseits sehr interessant, andererseits sehr traurig. Ich würde mich freuen, wenn sich daran etwas ändern würde. Ein Anfang wäre eine größere Wertschätzung der Leistung von Musiker*innen.

Vielen Dank für das Gespräch!

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