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djb: Frauenpolitik verdient ein eigenes Kapitel und erfordert konkrete Maßnahmen

„Enttäuschend“, kommentiert die Präsidentin des Deutschen Juristinnenbundes e.V., Prof. Dr. Maria Wersig, die Ergebnisse der Sondierungsgespräche zwischen CDU, CSU und SPD vom 12. Januar 2018. „Wenn es in etwaigen Koalitionsverhandlungen bei den angerissenen Themen der Sondierung bleibt, bedeutet das gleichstellungspolitischen Stillstand in Deutschland. Frauen- und Gleichstellungspolitik wird offenkundig nicht als Querschnittsaufgabe verstanden, sondern in einem kurzen, wenig innovativen Abschnitt ausgerechnet unter der Überschrift ‚Familie, Frauen und Kinder’ abgehandelt“, so Wersig weiter. Ein Bezug auf die Empfehlungen des Zweiten Gleichstellungsberichts der Bundesregierung fehlt. Es hat noch nicht einmal zu einer durchgehend geschlechtergerechten Sprache gereicht.

Der djb fordert von einer Bundesregierung in Zeiten rechtspopulistischer Strömungen vor allem eine konsistente und zukunftsweisende Gleichstellungspolitik in allen gesellschaftlichen Bereichen. Im Jahr 2018 befindet sich Deutschland im europäischen Vergleich allenfalls im Mittelfeld, was die Gleichstellung von Frauen und Männern angeht. Frauen verlangen eine Gleichverteilung von Status, Macht und Einkommen. Weitere legislative Maßnahmen sind unerlässlich.

Frauenpolitik: Papier mit vielen Leerstellen

Das Papier enthält eine Reihe von Leerstellen, die nach Einschätzung des Deutschen Juristinnenbundes e.V. in den Koalitionsverhandlungen weiterhin auf die Tagesordnung gehören (Näheres siehe I.). Darüber hinaus müssen die im Papier festgelegten wenigen Ziele mit konkreten Maßnahmen sowie einer angemessenen Finanzierung hinterlegt werden (siehe II.).

I. Leerstellen im Sondierungspapier

Wesentliche Zukunftsthemen, die eine Große Koalition bearbeiten muss, bleiben im Sondierungspapier unberücksichtigt und müssen in den Koalitionsverhandlungen aufgegriffen werden.

Dazu gehören:

  • die notwendige strukturelle Stärkung von Gleichstellungspolitik als Querschnittsaufgabe und den Ausbau bestehender Gleichstellungsstrukturen (zum Beispiel durch die Schaffung eines Gleichstellungsinstituts als Monitoring- und Transferstelle);
  • rechtliche Maßnahmen, die es nicht allein dem good will der politischen Parteien überlassen, ob und wie viele Frauen auf aussichtsreichen Listenplätzen oder in Wahlkreisen kandidieren dürfen. Die der Geschlechtergerechtigkeit Hohn sprechende Zusammensetzung des derzeitigen Bundestages darf sich nicht wiederholen.
  • Beseitigung der Hindernisse für die eigenständige Existenzsicherung von Frauen (es fehlen Aussagen zu Ehegattensplitting und Lohnsteuerklasse V, sowie den sogenannten Mini-Jobs) und Maßnahmen, die zu einer gerechteren Verteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit zwischen Frauen und Männern beitragen
  • die umfassende Berücksichtigung der Auswirkungen der geplanten Maßnahmen im Bereich der Teilhabe am Arbeitsmarkt, Rente, Gesundheit und Pflege auf Frauen und Männer und die Ausgestaltung der geplanten Reformen auch anhand von Gleichstellungszielen;
  • die Einführung eines Wahlarbeitszeitgesetzes;
  • die Effektuierung der Sexualstrafrechtsreform in der strafrechtlichen Praxis und des damit verbundenen Paradigmenwechsels im gesellschaftlichen Bewusstsein durch verstärkte Öffentlichkeitsarbeit; die Ausweitung des Anspruchs auf kostenfreie psychosoziale Prozessbegleitung für besonders schutzbedürftige Opfer, insbesondere Opfer von Sexualstraftaten;
  • effektive Maßnahmen gegen digitale Gewalt;
  • die vollständige Umsetzung der Istanbul-Konvention;
  • die Abschaffung des § 219a StGB und die Garantie des tatsächlichen Zugangs zu sicheren und legalen Schwangerschaftsabbrüchen;
  • keine weiteren Eingriffe in das Recht auf Asyl und besonders auch in die Anerkennung geschlechtsspezifischer Fluchtgründe gemäß den verfassungsrechtlichen, europäischen und internationalen Vorgaben, sowie die angemessene und sichere Unterbringung insbesondere auch weiblicher Geflüchteter;
  • das uneingeschränkte Bekenntnis zu Europa als Wirtschafts-, Werte- und Rechtsgemeinschaft und die Ausfüllung einer entsprechenden Führungsrolle durch eigenes Vorbild (bspw. durch die vollständige Umsetzung der europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien), Stärkung des Zusammenhalts und sozialer Rechte in Europa sowie aktive Förderung von Gleichberechtigung und Nichtdiskriminierung;
  • die vorbehaltlose Anerkennung und aktive Förderung von Menschenrechten im nationalen und im europäischen Raum auch und gerade im Angesicht diverser konstatierter Krisen.

II. Konkrete Ziele im Sondierungspapier

1. Frauen in Führungspositionen der Privatwirtschaft: Sanktionen erforderlich

Das geplante Augenmerk der Bundesregierung auf Unternehmen, die sich eine Zielgröße „Null“ für den Frauenanteil in höchsten Führungspositionen setzen, wird vom djb begrüßt. Ein konkreteres Bekenntnis zur Überarbeitung des Konzepts der Zielgrößenformulierung müsste im Koalitionsvertrag folgen. Die Wirksamkeit des Gesetzes für mehr Frauen in Führungspositionen erfordert verbindlichere Pflichten und Sanktionen, die Zielgrößenformulierungen sind ein erheblicher Schwachpunkt der derzeitigen Regelung. Der djb fordert verbindliche Quotenregelungen für alle Führungspositionen in deutschen Unternehmen.

2. Gleichstellung im Öffentlichen Dienst: Zielformulierung ohne Maßnahmen unzureichend

Die Gleichstellung in den Leitungsfunktionen des Öffentlichen Dienstes soll bis 2025 erreicht sein. Der djb begrüßt dieses Bekenntnis, denn dem Öffentlichen Dienst kommt eine Vorbildfunktion zu. Dafür soll dieses Ziel im Bundesgleichstellungsgesetz (BGleiG) festgeschrieben werden. Eine Zielformulierung im Gesetz bleibt ohne Änderung der bestehenden gesetzlichen Regelungen allerdings ein frommer Wunsch ohne Wirkung. Eine Schärfung der Instrumente des Bundesgleichstellungsgesetzes ist zur Zielerreichung erforderlich.

Der djb empfiehlt:

  •  eine gesetzliche Schranke der Praxis der Ausdifferenzierungen von Leistungs- und Befähigungskriterien, etwa wie folgt: Frauen sind bevorzugt zu befördern, soweit ein Mitbewerber nicht eine im Wesentlichen bessere Eignung, Befähigung und fachliche Leistung vorzuweisen hat;
  • die Abschaffung der – im besten Fall nur – überflüssigen Männerquote im BGleiG.

3. Entgeltgleichheit: Abwarten kann nicht die Devise sein

Das Sondierungspapier sieht ein Entscheiden über weitere Maßnahmen zum Thema Entgeltgleichheit auf der Basis der bis Mitte 2019 vorgelegten Evaluation des Entgelttransparenzgesetzes vor. Angesichts der Ausgestaltung des Gesetzes muss diese Evaluation nicht abgewartet werden, denn das Entgelttransparenzgesetz erfüllt derzeit nicht die Kriterien eines wirksamen Gesetzes.

Der djb fordert:

  • eine gesetzliche Verpflichtung zur geschlechtsdifferenzierten Entgeltanalyse im Betrieb mittels zertifizierter Verfahren,
  • eine gesetzliche und fristgebundene Verpflichtung, unter Beteiligung betrieblicher Akteur_innen der Tarifparteien geschlechtergerechte Entgeltregelungen einzuführen,
  • spürbare Sanktionen bei Verstößen oder Untätigbleiben.
  • Fehlverhalten oder Unterlassen der Arbeitgeber müssen mittels Verbandsklage oder durch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes rechtsförmig angreifbar sein.

4. Aktionsprogramm und Maßnahmen im Hilfesystem Gewaltschutz: Aussagen zum finanziellen Rahmen notwendig

Das Sondierungspapier enthält das Vorhaben, ein Aktionsprogramm zur Prävention und Unterstützung von Gewalt betroffenen Frauen und Kindern aufzulegen und Hilfestrukturen zu verbessern. In der Finanzübersicht des Sondierungspapiers (S. 15/16) finden sich keine Angaben dazu, in welchem Umfang Bundesmittel bereitgestellt werden sollen, um Frauenhäuser und ambulante Hilfsangebote bedarfsgerecht zu stärken. Dies gilt auch für die Ankündigung einer bundesweiten Ermöglichung der anonymen Spurensicherung; es wird nicht deutlich, welche Maßnahmen des Bundes und welche zusätzlichen Finanzmittel für dieses begrüßenswerte Vorhaben vorgesehen sind. Es fehlen Aussagen zu einem Rechtsanspruch auf Schutz und Hilfe bei Gewalt im SGB XII, zum Ausbau von Opferunterstützungsmaßnahmen, wie beispielsweise der psychosozialen Prozessbegleitung, sowie zum Bereich der Gewaltprävention. Zudem fehlt es an weiteren Maßnahmen zur vollständigen Umsetzung der Istanbul-Konvention. Im Rahmen des Aktionsprogramms sollten auch Maßnahmen zur Bekämpfung von Gewalt im digitalen Raum auf die Tagesordnung gesetzt werden.

5. Familien: Maßnahmen müssen konkreter und gezielter sein

Das Sondierungspapier enthält Vorschläge zur finanziellen Entlastung von Familien, zur Bekämpfung von Kinderarmut und zur Verbesserung der Betreuungssituation. Die geplanten Maßnahmen sind jedoch wenig konkret und das, was konkret wird, ist inhaltlich oft unbefriedigend. Durch die parallel zur Erhöhung des Kindergelds geplante Erhöhung der Kinderfreibeträge bleibt es z.B. bei der Entlastungsschere zwischen hohen und niedrigen Einkommensgruppen. Im Bereich der Kinderbetreuung in Kita und Schule fehlt es u.a. an einer Ausbildungsoffensive für Kinderbetreuungs-Berufe. Qualitätssteigerung geht nicht ohne Fachpersonal und das ist knapp. Zudem ist die Abschaffung des Schulgelds ist nicht nur bei Heilberufen notwendig, sondern ebenso bei Erzieher_innen. Der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung im Grundschulalter ist zu begrüßen. Gleichzeitig braucht es Unterstützung bei der Bedarfsplanung, unter Umständen sogar einheitliche Standards zur Bedarfsberechnung und Platzverteilung. Die beim Kita-Anspruch gemachten Fehler müssen nicht wiederholt werden. Familienpolitisch sind auch darüber hinaus Perspektiven nicht zu erkennen – die Stärkung der Rechte von Kindern ausgenommen. Die Ziele werden auf die Erhöhung des Kindergeldes – gestreckt über einen Zeitraum von drei Jahren – beschränkt. Angesichts der Änderung der Einkommensgruppen der Düsseldorfer Tabelle mit Wirkung zum 1.  Januar 2018 bedeutet das jedoch keine Entlastung.

6. Rente: Lebens- und Erwerbsverläufe von Frauen berücksichtigen

Angesichts der Tatsache, dass Deutschland beim Gender Pension Gap innerhalb der OECD den letzten Platz belegt, ist die auf die Mütterrente beschränkte Auseinandersetzung mit der Altersvorsorge von Frauen besonders enttäuschend. Die Grundrente zielt zwar auf den Abbau von Altersarmut. Es ist aber höchst fraglich, ob die Maßnahmen im Bereich der Alterssicherung (Einbeziehung von Selbstständigen, private Altersvorsorge, Grundrente), geeignet sind, die Rentenlücke zwischen Frauen und Männern zu schließen oder das besondere Armutsrisiko von Alleinerziehenden aufzufangen. Fragen der sozialen Sicherung gewinnen nicht zuletzt durch neue Erwerbsstrukturen im Zuge der Digitalisierung immer mehr an Bedeutung.

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1 Kommentar

  1. Jutta
    19. Januar 2018 at 10:48

    Die Mütterrente II (für Mütter die vor 1992 Kinder geboren haben) soll erst ab dem 3. Kind erhöht werden. Ist das nicht eine diskriminierende Gerechtigkeitslücke? Die Schlechterstellung einer bestimmten Gruppe (die Frauen die vor 1992 nur eins oder 2 Kinder geboren haben) kann eigentlich nicht rechtskonform sein. Alle anderen Mütter, auch die Mütter die nach 1992 „nur“ eins oder 2 Kinder (diese haben von vornherein 3 Entgeltpunkte im Rentenkonto gutgeschrieben bekommen) geboren haben hätten dann je Kind drei Entgeltpunkte im Rentenkonto.