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Frauen in Gesundheitsberufen: Ärztinnen und ihr langer Weg zur Gleichberechtigung

Ein Meinungsbeitrag von Claudia E. Gschwind

Es ist schwierig, ein differenziertes Bild von Frauen in Gesundheitsberufen aufzuzeigen. Die Arbeitsrealität ist heterogen, die Einkommen schwanken zwischen fixen Tarifen bei den angestellten Klinikärztinnen und möglichen Igel-Leistungen als Gehaltstop-up bei den niedergelassenen Praxisinhaberinnen, die Erwartungen an Job und Work-Life-Balance differieren je nach Altersgruppe. Fest steht jedoch: die Medizin ist weiblich, deren Hierarchie allerdings männlich. Woran liegt das?

Blickt man auf den aktuellen Personalnotstand an deutschen Kliniken liegt die Vermutung nah, dass dieser ein hausgemachtes Problem ist. Denn die Zahl der Frauen im Medizinstudium steigt stetig, die Zahl der sogenannten „stillen Reserve“, die nach Geburt des ersten Kindes zu Hause bleibt, ebenso. Ärztinnen, die nicht arbeiten, weil sie in Elternzeit sind oder sich ausschließlich um den Haushalt kümmern, machten 2019 mehr als 11.000 Frauen aus, so Daten der Bundesärztekammer. Bei ihren männlichen Kollegen bewegt sich diese Zahl bei gerade einmal 700 Ärzten, die aufgrund von Elternzeit oder Haushalt zu Hause sind.

Doch starten wir mit den Studienzahlen: Im Jahr 2000 waren 80.200 Studierende im Fach Humanmedizin eingeschrieben; der Frauenanteil lag bei 53 Prozent. Im Jahr 2018 studierten 92.011 das Fach, davon bereits 61 Prozent Frauen. Bei den Studienanfängern sind es sogar 64 Prozent Frauen. So weit, so gut: Doch blickt man weiter auf die mögliche berufliche Karriereleiter fällt auf, dass nach erfolgreichem Studienabschluss nur wenige die weiterführende Facharztausbildung wahrnehmen. Was sind die Hinderungsgründe und welche Voraussetzungen müssten geschaffen werden, damit mehr Ärztinnen ihren gewählten Beruf genauso erfolgreich ausüben können wie ihre männlichen Kollegen? Weshalb gibt es so viele Medizinabsolventinnen und so wenige in Führung? Diese Fragen treiben nicht nur uns Personalberater um. Der Deutsche Ärztinnenbund (DÄB) beschäftigt sich schon seit langem mit dieser Thematik.

Die 2019 vorgelegte Studie „Medical Woman on Top“ der bereits 1924 gegründeten Interessenvertretung zeigt, dass 87 Prozent der Führungspositionen in der Universitätsmedizin von Männern besetzt sind. Untersucht wurden insgesamt 13 klinische Fächer und zwei Institute der 35 Unikliniken Deutschlands. Es scheint, der Weg nach oben endet für Frauen oftmals beim ersten Kind – anders ist die hohe Zahl der nicht-ärztlich tätigen Ärztinnen am heimischen Herd nicht zu erklären. Klinikkarriere als Ärztin bedeutet nämlich vor allen Dingen eins: Präsenz zeigen, rund um die Uhr bereitstehen! Selbst wenn keine Führungsposition angestrebt wird, führt die Übernahme von Familienaufgaben meist zum Karrierebruch. Durch das Aussetzen im Beruf verlängern sich automatisch die Zeiten für die Weiterbildung – ergo kommen männliche Kollegen schneller zum Zug, wenn es um die Besetzung von Facharzt- und Oberarztstellen an Kliniken geht. Frauen bleibt oftmals nichts anderes übrig, als genau so viel zu arbeiten wie ihre männlichen Pendants, nur eben unter erschwerten Bedingungen. Was sich ändern muss, ist also offensichtlich. Zum einen sind es die Rahmenbedingungen: müssen Ärzte und Ärztinnen wirklich bereits um 6 Uhr in der Klinik sein, um die Visite für 7 Uhr vorzubereiten? Oder wären hier Möglichkeiten der Kommunikation mit dem zuvor diensthabenden Arzt oder der diensthabenden Ärztin via Videokonferenz auch von zu Hause möglich? Auch familienfreundlichere Teilzeitstellen finden sich bereits in vielen Disziplinen der Medizin – allerdings sind diese Stellen oft auf das Wohlwollen der Kolleginnen und Kollegen sowie der Leitungsebene angewiesen. Eine flexiblere Zeiteinteilung scheint hier vor allem für niedergelassene Ärztinnen in der Einzel- oder Gemeinschaftspraxis möglich. Sogar die Kassenärztliche Vereinigung unterstützt hier: Für drei Jahre können schwangere Ärztinnen eine Sicherstellungsassistentin beantragen, pro Kind ist die Befreiung vom Bereitschaftsdienst für drei Jahre möglich! Ein Fortschritt und gleichzeitig ein wichtiges Zeichen für die gesamte Gesundheitsbranche: um Frauen im Beruf – vor allem in einer Klinik – zu halten, sind flexible Arbeitszeitmodelle und Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf, wie betriebseigene Kindertagesstätten oder Ad-hoc-Betreuungen im Not- und Krankheitsfall unverzichtbar.

Claudia E. Gschwind

Dass sich das Blatt in den Kliniken langsam wendet, zeigen die 2017er Daten des Bundesarztregisters der Kassen­ärztlichen Bundesvereini­gung (KBV). Der Anteil der angestellten Ärztinnen wächst – mehr als die Hälfte der Angestellten seien inzwischen Ärztinnen (54,1 Prozent).

Angesicht des verheerenden Personalmangels müssen sich Kliniken zu flexibleren Zeitmodellen durchringen – sogar Führungspositionen werden flexibilisiert, Stichwort Jobsharing!  Ein erfolgreiches Beispiel aus der Praxis ist die gesplittete Chefstelle der Kinder- und Jugendpsychiatrie des Asklepios Klinikums Harburg. Hier teilen sich seit Januar 2021 zwei Chefärztinnen eine Stelle – geteilte Führungsarbeit mit fixen Zuständigkeiten. Ein solches Tandem kann natürlich nur funktionieren, wenn der Arbeitgeber voll und ganz dahinter steht. Vielerorts fehlt es noch an Mut für solche Konzepte – doch gangbar sind sie. Daher braucht es an deutschen Kliniken nicht nur einen Paradigmenwechsel in der Arbeitsorganisation, sondern vielmehr auch am Rollenverständnis. Männer wie Frauen wünschen sich eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf, d.h. der Oberarzt in Elternzeit darf ebenso keinen Seltenheitswert besitzen, wie die Chefärztin in Teilzeit. Dieses Umdenken erfordert neben Mut auch eine paritätische Besetzung in den entsprechenden Berufsgremien: Erst wenn die Entscheiderstellen in Ärztekammern und Kassenärztlichen Vereinigungen hälftig mit Frauen und Männern besetzt sind, ist Chancengleichheit möglich!

Claudia E. Gschwind…

… ist Gründerin und geschäftsführende Gesellschafterin der HealthCorp Partners GmbH sowie Vorsitzende des Verwaltungsrats der HealthCorp Partners AG in der Schweiz. Sie begann ihre berufliche Laufbahn als Leiterin des Personalbereichs eines internationalen Healthcare-Unternehmens und war danach als Leiterin der Personal- und Rechtsbereiche eines mittelständischen Arzneimittelherstellers tätig. Bevor sie HealthCorp Partners gründete, arbeitete sie einige Jahre als Senior Consultant für eine internationale Managementberatung. Claudia E. Gschwind studierte Betriebswirtschaftslehre sowie Arbeits- und Organisationspsychologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Heute berät sie vor allem führende Unternehmen der Gesundheitsindustrie bei der Besetzung von Top-Positionen und in Fragen der Personalstrategie. Sie engagiert sich in unterschiedlichen Expertennetzwerken rund um Fragen der Führung und des Personalmanagements in der Gesundheitsindustrie.

 

Quellen und weiterführende Beiträge:

https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/pdf-Ordner/Statistik2019/Stat19Tab14.pdf

https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/92153/Aerztestatistik-Mehr-Aerzte-Trend-zur-Anstellung

https://www.medfak.uni-bonn.de/de/gleichstellung/weiterfuehrende-infos/studie-ich-bin-arztin-bericht.pdf

https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bildung-Forschung-Kultur/Hochschulen/Tabellen/lrbil05.html

https://rp-online.de/leben/gesundheit/die-medizin-wird-weiblicher_aid-24348455

https://www.forschung-und-lehre.de/lehre/bundesregierung-gegen-maennerquote-im-medizin-studium-1766/

https://www.aerztezeitung.de/Politik/So-schaffen-es-Frauen-an-die-Spitze-294797.html

https://www.praktischarzt.de/magazin/immer-noch-eine-aufgabe-gleichstellung-bei-aerztinnen/

https://www.aerztinnenbund.de/Gleichstellung_in_der_Medizin_oder_warum.2647.0.20.html

https://www.healthrelations.de/weibliche-medizin-der-zukunft-wir-sind-noch-nicht-richtig-gleichberechtigt/

https://www.spiegel.de/start/gleichberechtigung-in-der-medizin-wie-mehr-frauen-in-fuehrungspositionen-kommen-sollen-a-1122e139-7feb-4897-a729-f8475009b967

https://www.finanzen.de/news/gender-pay-gap-selbst-aerztinnen-verdienen-weniger-als-aerzte

https://www.healthrelations.de/geteilte_fuehrung_kliniken/

 

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