Recht

Entgelttransparenzgesetz: Urteilsbegründung vom Bundesarbeitsgericht liegt nun vor

Das „Gesetz zur Förderung der Transparenz von Entgeltstrukturen“ – oder auch kurz Entgelttransparenzgesetz – soll seit 2017 bei der Bekämpfung der ungleichen Bezahlung von Frauen und Männern helfen. Das Gesetz verbietet bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit ausdrücklich die unmittelbare oder mittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts im Hinblick auf sämtliche Entgeltbestandteile und Entgeltbedingungen. Damit ist es eine direkte Ergänzung zum allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, das bereits 2006 in Kraft getreten ist.

Rechtsanwalt Jan Scholand von der Kanzlei Hentschel Rechtsanwälte hatte 2018 gemeinsam mit einer Göttinger Arbeitnehmerin vor dem Arbeitsgericht Göttingen gegen eine ungleiche Bezahlung und auf Schadensersatz geklagt. Der Weg führte über das Landesarbeitsgericht Niedersachsen bis hin zum Bundesarbeitsgericht, das Anfang diesen Jahres ein Grundsatzurteil zum Entgelttransparenzgesetz fällte.

von Jan Scholand

Zu dem bereits am 21.01.2021 veröffentlichten Grundsatzurteil des Bundesarbeitsgerichts zum Entgelttransparenzgesetz und zur Gehaltsdiskriminierung liegt nunmehr die vollständige Urteilsbegründung vor. Diese Urteilsbegründung stützt vollständig die von unserer Kanzlei in dem Verfahren für die Klägerin vorgetragene Argumentation, dass das Entgelttransparenzgesetz die nach seinen Regeln erteilte Gehaltsauskunft Indizwirkung zuweist. Damit trifft die Beweislast für das Vorliegen einer Diskriminierung nicht mehr die Arbeitnehmerseite. Vielmehr muss die Arbeitgeberseite beweisen, dass keine Diskriminierung vorliegt. Das Bundesarbeitsgericht nimmt damit eine zutreffende Verteilung der Beweislast vor. Wer die Möglichkeit der Gestaltung von Vergütungsregelungen hat, den trifft auch die Verantwortung dafür zu sorgen, dass keine Diskriminierung vorliegt und dies nachzuweisen. Nur auf diesem Wege sind die ausdrücklichen Gesetzeszwecke individueller Gehaltsdiskriminierung entgegenzuwirken und Umsetzung zwingender europarechtlicher Vorgaben des Antidiskriminierungsrechts effektiv zu erreichen. Eine solche effektive Erreichung der Gesetzeszwecke wird vom europäischen Gerichtshof in seiner Rechtsprechung durchgängig gefordert und muss daher auch in der nationalen Gesetzgebung und Rechtsprechung gewährleistet sein. Nach dem Bundesarbeitsgericht wird jedes andere Verständnis des Entgelttransparenzgesetz diesen zwingenden europarechtlichen Vorgaben nicht gerecht.

Das Bundesarbeitsgericht führt in der Urteilsbegründung auch dazu aus, wie ein Entgeltsystem beschaffen sein muss, damit es nicht geschlechtsdiskriminierend ist:

„Verwendet der Arbeitgeber ein Entgeltsystem, muss dieses Entgeltsystem als Ganzes und auch die einzelnen Entgeltbestandteile so ausgestaltet sein, dass eine Benachteiligung wegen des Geschlechts ausgeschlossen ist…Damit eine Benachteiligung wegen des Geschlechts ausgeschlossen ist, muss das Entgeltsystem die Art der zu verrichtenden Tätigkeit objektiv berücksichtigen und auf für weibliche und männliche Beschäftigte gemeinsamen Kriterien beruhen. Die einzelnen Differenzierungskriterien müssen diskriminierungsfrei gewichtet sowie insgesamt durchschaubar sein.… Erforderlich ist zudem eine konsequent geschlechtsneutrale Auslegung und Anwendung der Kriterien der Entgeltdifferenzierung… Dabei geht es nicht nur darum, geschlechtsneutrale Kriterien aufzustellen; die Kriterien müssen in der betrieblichen Praxis auch geschlechtsneutral ausgelegt und auf alle männlichen sowie weiblichen Beschäftigten, die gleiche oder gleichwertige Arbeit verrichten und deshalb zur maßgeblichen Vergleichsgruppe gehören geschlechtsneutral angewendet werden.“

Weiterhin stellt das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil klar, welchen Umfang die Beweislast der Arbeitgeberseite hierbei hat:

„Es gilt das Beweislastmaß des sogenannten Vollbeweises. Der Arbeitgeber muss demnach Tatsachen vortragen und gegebenenfalls beweisen, aus denen sich ergibt, dass kein Verstoß gegen das Entgeltgleichheitsgebot unabhängig vom Geschlecht vorliegt, sondern dass ausschließlich andere Gründe als das Geschlecht zu einer ungünstigen Behandlung geführt haben… Danach hat der Arbeitgeber zur Widerlegung der gesetzlichen Vermutung vorzutragen gegebenenfalls zu beweisen, dass die festgestellte unterschiedliche Vergütung durch objektive Faktoren, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben, zu erklären ist, und dass die Ungleichbehandlung auch tatsächlich ausschließlich auf anderen Gründen als dem unterschiedlichen Geschlecht der Arbeitnehmer, also auf einem geschlechtsunabhängigen Unterschied beruht…. Die vorgebrachte Erklärung muss auf einem legitimen Ziel beruhen. Die zu dessen Erreichung gewählten Mittel müssen hierzu geeignet und erforderlich sein…. Bloß allgemeine Behauptungen des Arbeitgebers genügen zur Widerlegung der Vermutung nicht, der Arbeitgeber muss vielmehr einen Vortrag leisten, der eine wirksame Kontrolle und Nachprüfung durch die Richter ermöglicht. Gelingt ihm dies nicht, so geht dies zu seinen Lasten…. Eine wirksame Kontrolle und Nachprüfung durch die Gerichte ist nur bei Gewährleistung echter Transparenz möglich. Eine mangelnde Durchschaubarkeit – hier des Entgelts – macht jede Nachprüfung seitens der nationalen Gerichte und auch seitens der durch diskriminierende Maßnahmen beschwerten Person unmöglich.“

Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts ist ein großer Triumph für Gehaltsgerechtigkeit und ein starkes Signal gegen Entgeltdiskriminierung und den Gender Pay Gap. Nach diesem Urteil besteht nunmehr die berechtigte Hoffnung, dass Arbeitgeber ihre Entgeltsysteme gerechter gestalten. Sollte dies nicht der Fall sein, steht den betroffenen Arbeitnehmer*innen ein effektives Mittel zur individuellen Durchsetzung von Gehaltsgerechtigkeit zur Verfügung.

 

Über Jan Scholand

Geboren in München, aufgewachsen in Berlin und Madrid. Nach dem Abitur an der Deutschen Schule Madrid begann Jan Scholand sein Jurastudium an der „Universidad Complutense de Madrid“ und beendete dieses an der Universität Göttingen. Im Anschluss an das Referendariat in Göttingen und einer ersten Berufstätigkeit am Rechtsamt der Universität Göttingen war Jan Scholand seit dem Jahr 2000 als Rechtsanwalt im Göttinger Umland tätig, bevor er zunächst als angestellter Rechtsanwalt und sodann als Partner in einer etablierten Göttinger Rechtsanwalts- und Notarkanzlei tätig wurde.

Bereits im Jahr 2010 begann Jan Scholand aus seiner Rechtsanwaltskanzlei heraus eine umfassende Kooperation mit Rechtsanwalt Johannes Hentschel in individual- und kollektivrechtlichen Arbeitsrechtsmandaten.

In konsequenter Weiterführung dieser sehr erfolgreichen Kooperation wechselte Jan Scholand zu Beginn des Jahres 2016 in die Kanzlei Hentschel Rechtsanwälte, in der er nun gemeinsam mit Rechtsanwalt Hentschel und Rechtsanwalt Hessbrügge individual- und kollektivrechtliche Mandate für Arbeitnehmer*innen sowie deren Vertretungen bearbeitet.

Rechtsanwalt Scholand ist bundesweit als Referent für Arbeits- und Betriebsverfassungsrecht, unter anderem für das ifB (Institut zur Fortbildung von Betriebsräten), tätig.

Das konsequente und kompetente Eintreten für die Belange der sozial Schwächeren in Gesellschaft und Arbeitsverhältnis sind prägende Motivatoren für Rechtsanwalt Scholand.

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