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Susanne Maier: „Jedes Engagement ist wichtig“

„Machen ist besser als Motzen“, davon ist Susanne Maier, Vorstandsmitglied des Deutschen Frauenrates, überzeugt. Doch besonders als Mutter ist es häufig gar nicht so leicht, sich neben Beruf, Familie, Hobbys und Freunden noch ehrenamtlich zu engagieren. Wie es gelingen kann, wer ihre größten Kritiker, aber auch Unterstützer sind und warum es so wichtig ist, sich zu engagieren, verrät sie im Interview mit SHE works!. 

Frau Maier, Sie sind nicht nur berufstätig und Mutter eines kleinen Kindes, sondern engagieren sich auch noch ehrenamtlich. Wie bekommen Sie das alles unter einen Hut?

Das ist wohl die Frage, auf die ich antworten könnte, dass ich mit total wenig Schlaf zurecht komme und meine unbändige Motivation für meine Themen mir die nötige Kraft gibt, auch längere Durststrecken zu überstehen. Wenn wir ehrlich sind, sind solche Antworten – auch wenn sie vielleicht ein Teil der Wahrheit sind – nur die eine Seite der Medaille. Wie ich das alles unter einen Hut bekomme?

Die kürzeste Antwort: Mein Mann. Die etwas längere Antwort: Um das alles zu wuppen, müssen viele Faktoren in einander greifen. Ich brauche jemanden in meinem Team, der*die die Carearbeit mit mir trägt. In meinem Fall meinen Mann. Er „hilft“ nicht mit Kind und Haushalt, er ist genauso zuständig und verantwortlich. Die Arbeitgeber müssen mitmachen. Ich bin für den Deutschen Frauenrat jeden Monat ein paar Tage in Berlin, war im März knapp zwei Wochen am Stück unterwegs für Vorträge und in New York bei den Vereinten Nationen. In dieser Zeit muss ich frei nehmen oder von unterwegs arbeiten. Da kommt mir meine Chefin entgegen. Auf der anderen Seite muss der Arbeitgeber meines Mannes in dieser Zeit damit leben, dass er keine Abendtermine wahrnehmen oder lange Dienstreisen machen kann. Wir kommen erst langsam in die Phase, in der unser Kind in solchen Fällen auch mal zu Freund*innen aus dem Kindergarten gehen kann. Da haben wir tolle Familien im Umfeld, die uns unter die Arme greifen. Eigene Familie haben wir nicht vor Ort, also bleibt das allermeiste an uns zweien hängen.

Natürlich entsteht beim Jonglieren so vieler Termine auch einige Organisationsarbeit und wir müssen immer wieder abwägen, welche Termine vorgehen – Familienzeit, sein Job, mein Job, sein Ehrenamt, mein Ehrenamt, Zeit für uns als Paar oder für jeden von uns für sich allein. Alles unter einen Hut zu bekommen ist also nur zum Teil persönlich. Zum Großteil sind es Rahmenbedingungen und die Bereitschaft, Vieles immer wieder auszuhandeln.

Wird es Ihnen auch manchmal etwas viel?

Natürlich. Es wird uns doch allen, egal in welchem Lebensmodell manchmal zu viel. Mir war das „nur“ Muttersein in der Elternzeit auch oft zu viel. Große Arbeitsbelastung gibt es überall. Egal ob zuhause mit der Familie oder im Job oder im Ehrenamt. Blöd ist es natürlich, wenn alles gleichzeitig passiert. Jetzt gerade steht auf meiner Arbeit ein großer Projektabschluss an, im Ehrenamt komme ich eben aus New York zurück und bereite mich auf die nächsten Mitgliederversammlungen des Deutschen Frauenrats und des Business and Professional Women Club (BPW) Germany vor und mein Kind hat den Lebensabschnitt erreicht, den man nicht ganz grundlos Wackelzahnpubertät nennt. Das hätte von mir aus nicht alles gleichzeitig passieren müssen und an mehr als einem Tag würde ich mir gerne die Decke über den Kopf ziehen und einfach mal ausschlafen. Entscheidend ist für mich, ob mir meine Aufgaben trotzdem Spaß machen und ob wir es als Familie schaffen, die stressigen Zeiten als Team zu meistern. Das hat bisher immer geklappt.

Wie halten Sie Ihre persönliche Work-Life-Balance im Gleichgewicht?

Ich würde jetzt gerne behaupten, dass mir das immer super gelingt, aber das wäre gelogen. Wir sollten das außerdem nicht so strikt getrennt wahrnehmen. Meine ehrenamtliche und hauptamtliche Arbeit ist Teil meines Lebens und trägt massiv dazu bei, dass ich mich ausgeglichen fühle. Gleichzeitig ist Familienalltag – also die Life-Komponente der Work-Life-Balance – meistens richtig viel Arbeit, von der man sich dringend erholen muss, es aber oft nicht kann. Für mich ist es wichtig, dass in allen Bereichen für sich genommen der Mix aus Arbeit und Vergnügen bzw. positivem Stress stimmt und dass die Bereiche sich ausgleichen können, wenn einer gerade total kräftezehrend ist. Das geht in meinem Job, weil ich den Bereich sehr schätze. Hinzu kommt, dass mein Hauptjob eine 50%-Stelle ist. Ich habe ganz real mehr Zeit für den Rest meines Lebens zur Verfügung als viele Andere. Das ist eine Entscheidung, die man sich leisten können muss und die sich im Alter finanziell rächen wird – also auch in meinem Fall eine Übergangslösung. Die anderen 50% fülle ich freiberuflich oder projektbezogen und kann somit die Arbeitsbelastung für diesen Bereich ganz gut steuern.

Ein wichtiger Faktor ist auch, dass ich weiß, was mir gut tut, was viel Energie frisst und wie ich mich erholen kann. Große soziale Events mit vielen Menschen sind für mich viel anstrengender sind als inhaltliche Arbeits-Sessions alleine. Nach einer Großveranstaltung brauche ich mehr Erholung als nach langer inhaltlicher Arbeit. Außerdem ist wichtig wie diese Erholung aussieht. Meditieren macht mich wahnsinnig (Wieso reden die immer so langsam?!) und Yoga entspannt mich nur, wenn ich ohnehin schon relativ entspannt bin. Hanteltraining mit sehr lauter (sehr trashiger) Musik ist für mich oft viel besser als eine geführte Meditation mit Meeresrauschen.

Ich bin in jedem Lebensbereich anfällig dafür, mir viel vorzunehmen oder zu schnell „ja“ zu sagen. Auch ich muss mich also oft bewusst daran erinnern, dass mein Tag nur 24 Stunden hat, dass ich zumindest sechs davon schlafen sollte und dass ich durchaus Zeit brauche, die einfach mal mit nichts gefüllt ist.

Die größte Herausforderung für die Work-Life-Balance ist aktuell tatsächlich der Personalmangel im Kindergarten. Es fällt laufend Kinderbetreuung aus und wir müssen sehr flexibel sein, um ständig alles umzuplanen. Vor den nächsten Jahren mit dieser Konstellation habe ich großen Respekt.

Statt sich nur über Ungerechtigkeiten zu beschweren, engagieren Sie sich, um etwas zu verändern. Was motiviert Sie?

Vorab muss ich klarstellen: Ich beschwere mich selbstverständlich sehr viel über Ungerechtigkeiten. Sich zu beschweren und auf Ungerechtigkeit aufmerksam zu machen, sind wichtige Mittel, um ein gesellschaftliches Bewusstsein zu schaffen. Gleichzeitig habe ich das Glück und die Privilegien, dass ich aktiv(er) werden kann. Das geht vielen Menschen, v.a. Müttern kleinerer Kinder, aber auch Migrant*innen, Menschen mit Behinderung oder ohne Zugang zu viel Geld, Netzwerken und dem passenden Berufsabschluss, anders. Ich würde gerne in einer Gesellschaft leben, in der die verschiedensten Menschen mit am Tisch sitzen und Diskurse in Politik, Kultur und Wissenschaft prägen. Der Weg dahin ist auch in Deutschland noch weit und ich hoffe, dass ich etwas dazu beitragen kann, dass sich die Strukturen dahingehend verändern, dass Menschen in all ihrer Vielfalt mit ihren Lebensrealitäten gesehen werden, mitreden, mitentscheiden.

Für mich waren natürlich meine eigenen Erfahrungen als Mutter prägend. Viele Ungerechtigkeiten waren mir vorher theoretisch zwar bewusst, haben aber noch nicht dazu geführt, dass ich über meinen eigenen Alltag hinaus aktiv geworden bin. Mutterschaft hat ins Rampenlicht gerückt wie rückwärtsgewandt unsere Rollenbilder sind und wie absurd die Erwartungen an und Beschränkungen für Frauen. Das muss sich ändern und zwar nicht nur für mich und Frauen wie mich, sondern für alle.

Mit allen Verpflichtungen zu Jonglieren ist alles andere als einfach und nicht immer begegnet einem Bewunderung dafür, dass man sich neben Arbeit und Kind noch ehrenamtlich engagiert. Haben Sie auch Vorwürfe anderer Mütter erlebt?

Ehrlich gesagt sind die Menschen, die meiner Erfahrung nach am härtesten mit Müttern ins Gericht gehen, andere Mütter. Die Männer in meinem Umfeld hatten gerade direkt nach der Geburt meines Kindes großes Verständnis dafür, dass mir zuhause die Decke auf den Kopf fiel und ich mich danach gesehnt habe, auch wieder etwas anderes zu sein und zu machen als meine Mutterrolle. Die harscheste Kritik kam von anderen Müttern aller Generationen.

Ich habe schon hin und wieder Sprüche gehört wie „Erkennt dein Kind dich denn überhaupt noch, wenn du so oft weg bist?“ oder „Das Arme muss dann immer allein mit dem Papa sein!“ Das würde Vätern auf Dienstreise so nie gesagt werden. Viele dieser Sprüche aus dem persönlichen Umfeld kommen halb im Scherz, halb im Ernst daher, aber natürlich machen sie trotzdem etwas mit einem. Online sieht die Sache schon ganz anders aus. Gerade als ich mit dem ehrenamtlichen Engagement anfing und dafür viel gereist bin, kamen die ersten selbsterklärten Bindungsexpertinnen und haben mich eindringlich darauf hingewiesen, dass ich die Bindung zu meinem Kind zerstöre und wie egoistisch es ist, das eigene Wohlbefinden vor das des Kindes zu stellen. Mir wurden kommentarlos von Fremden Instagram-Posts geschickt, die auf die verheerenden Folgen elterlicher Vernachlässigung aufmerksam machen oder erklären, dass ich durch mein „männliches“ Verhalten meine „weibliche Urkraft“ blockiere und auch damit natürlich das Wohl meines Kindes gefährde. Das Internet ist definitiv nicht immer ein schöner Ort, wenn man mit einem Lebensmodell aneckt.

Ich sehe es so: Familien sind unfassbar vielfältig und verschieden. Was für die eine passt, ist für die andere ein Alptraum. In jedem Fall bin ich aber sicher, dass das Wohlbefinden aller Familienmitglieder wichtig ist und gerade die Bedürfnisse und Träume von Müttern im Alltag oft unter die Räder kommen. Das möchte ich für mich selbst nicht und ich möchte es meinem Kind nicht vorleben.

Was entgegnen Sie anderen Müttern, die sagen: „Also ICH könnte das ja nicht!“?

Das ist wohl die häufigste Reaktion, die ich bekomme, wenn ich mit anderen Müttern im Gespräch bin. Ich bin da immer hin und her gerissen. Einerseits möchte ich viel mehr Müttern Mut machen, es zumindest zu versuchen. Es ist oft viel mehr möglich als wir denken und wir können viel mehr als wir uns zutrauen. Andererseits gehört zu einem ehrlichen Umgang auch, dass ich anerkenne, dass nunmal nicht jede Mutter auf genügend Ressourcen zurückgreifen kann, um z.B. regelmäßig mehrere Nächte unterwegs zu sein oder viele Abendtermine wahrzunehmen. Das klappt für viele Alleinerziehende oder pflegende Mütter oft nicht, das klappt nicht, wenn der zweite Elternteil oder die Familie nicht unterstützen wollen oder können, wenn man im Schichtdienst arbeitet oder die Vorgesetzten nicht mitspielen. So gerne ich also pauschal allen zurufen würde „Doch, klar kannst du das auch!“, das würde dem Leben und den Herausforderungen von Müttern nicht gerecht und es würde die Verantwortung für fehlendes Engagement von Müttern aufs Individuum schieben, wo schlechte Strukturen mindestens genau so verantwortlich sind.

So wie ich es sehe, kommt gerade der Ausruf „Also ICH könnte das ja nicht!“ genau so oft nicht aufgrund von fehlenden Rahmenbedingungen, sondern weil sich viele Mütter wirklich überhaupt nicht vorstellen können, dass so eine Version des eigenen Lebens neben der Mutterrolle tatsächlich möglich ist. Das läuft unserem sehr traditionellen Verständnis einer guten Mutter zuwider und das ist so tief verankert, dass die erste Reaktion oft eine ungläubige oder abwehrende ist. Außerdem stellt sich in den Gesprächen oft heraus, dass mein Gegenüber denkt, wir hätten bestimmt vier Großeltern in Rufbereitschaft und Au Pair und Nanny in den Startlöchern. Das scheint für viele ein realistischeres Szenario als dass mein Mann mal einen Termin absagt, damit ich einen wahrnehmen kann. Wenn ich ein bisschen darüber berichte, wie wir das als Paar regeln und dass wir selbstverständlich auch vor den üblichen Vereinbarkeitsproblemen stehen, wirkt das ganze Konzept meistens schon gar nicht mehr so weit weg. Ich will vor allem zeigen, dass man auch klein(er) anfangen kann und jedes Engagement wichtig ist.

Wir brauchen mehr Frauen, die sich gemeinsam für eine gerechtere Arbeitswelt und echte Gleichstellung einsetzen. Wie motivieren Sie Frauen, die vor der zusätzlichen Mehrfachbelastung zurückschrecken, sich dennoch zu engagieren?

Ich berichte einfach ganz offen über meinen Weg bisher. Wenn ich über mein Engagement eines gelernt habe, dann dass wir wirklich an unseren Aufgaben wachsen. Hätte mir vor fünf Jahren – kurz nach der Geburt meines Kindes – jemand gesagt, was ich heute so mache, ich hätte es nicht geglaubt. Viele Frauen haben Angst davor, nicht alles unter einen Hut zu bekommen, es nicht zu 100% perfekt zu machen und letztlich zu scheitern – mich eingeschlossen. Dabei ist gerade ehrenamtliches Engagement perfekt, um es einfach zu versuchen. Denn wenn wir uns ganz ehrlich machen, was ist das schlimmste, das passieren kann? Es wird mir zu viel und ich lege mein Amt in Partei, Verein, Gewerkschaft, Personalrat oder NGO wieder nieder, fahre mein Engagement zurück oder ich werde vielleicht gar nicht erst gewählt. Das wars. Oft hilft es allein schon, sich das bewusst zu machen. Es ist keine OP am offenen Herzen. Es ist unser Anspruch an uns selbst, der uns zurückhält. Im Vergleich zum – rational betrachtet – so kleinen Risiko eines gesellschaftlichen Engagements wiegt gerade im Bereich Gleichstellung für mich die positive Erfahrung so viel schwerer. Es gibt wirklich nur wenig im Leben, was so schön ist wie das Gefühl, gemeinsam mit unfassbar vielen brillanten Frauen für eine Sache einzustehen, sich zu vernetzen, zu empowern, gesellschaftliche Lösungen zu suchen und sich gegenseitig weiterzubringen. Für mich ist es etwas ganz besonderes, wenn es mir gelingt, jemanden mit dieser Erfahrung „anzustecken“.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Über Susanne Maier
Susanne Maier ist Vorstandsmitglied im Deutschen Frauenrat und verantwortet dort den Themenbereich Frauenarmut. Sie arbeitet als Referentin für Gleichstellung an der Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen Ludwigsburg und hält Vorträge zu Armut, Geschlechterrollen oder der fairen Verteilung von Sorgearbeit. Sie lebt mit ihrem Mann und ihrem Kind (5) bei Stuttgart. 

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