Unternehmerinnenwissen

„Ein Kind ist kein Ausschlusskriterium für ein erfülltes Berufsleben“

Veröffentlicht vom Kompetenzzentrum Frau und Beruf Münsterland

Kompetenzzentrum Frau und Beruf Münsterland stellt Rechtsanwältin Dr. Marisa Michels aus der Kanzlei ALPMANN FRÖHLICH in Münster als weitere Vorbildfrau im Münsterland vor.

„Das geht nicht!“

Diesen Satz kann Rechtsanwältin Dr. Marisa Michels nur schwer hinnehmen. Lösungen finden, Vereinbarungen treffen und die Zusammenarbeit stärken – das sind nicht nur die Ziele ihres juristischen Handelns. Als ambitionierte und erfolgreiche Rechtsanwältin ist sie an einem wichtigen Punkt ihrer Karriere Mutter geworden. Als glückliche Zweifach-Mama und Gesellschafterin in der Kanzlei ALPMANN FRÖHLICH im Herzen von Münster ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein präsentes Thema in ihrem Alltag.

Im Rahmen der Interviewreihe „Vorbildfrauen im Münsterland“ stellt das Kompetenzzentrum Frau und Beruf Münsterland berufstätige Frauen und ihre individuellen Lebenswege vor. Mit Dr. Marisa Michels steht nun ein Positivbeispiel für die Vereinbarkeit einer erfolgreichen Karriere und einem glücklichen Familienleben im Fokus. Motivierend für alle jungen Frauen, die sich nicht zwischen Beruf und Familie entscheiden möchten, berichtet die Rechtsanwältin von ihrem persönlichen Modell, der Elternzeit von Vätern und Netzwerken für berufstätige Mütter. Das gesamte Interview ist über die Webseite des Kompetenzzentrums Frau und Beruf Münsterland abrufbar.

Kompetenzzentrum: Wie ging es nach dem Studium an der WWU Münster und Referendariat hier in der Kanzlei ALPMANN FRÖHLICH für Sie weiter?

Marisa Michels: Ich bin seit 10 Jahren in der Kanzlei als Rechtsanwältin tätig. Bereits nach einem halben Jahr bin ich Prokuristin geworden und habe noch einen Fachanwaltskurs für gewerblichen Rechtsschutz absolviert. Das Markenrecht ist heute mein Schwerpunkt. Das ist eine sehr internationale Ausrichtung und ich komme damit meinem Interesse für Sprachen und Kulturen nach. Wenn man Anwältin wird, kommt man irgendwann an den Punkt der Entscheidung: Möchte ich Mitinhaberin der Kanzlei werden oder bleibe ich angestellte Anwältin? Das ist natürlich eine ganz persönliche Entscheidung. Für mich war von Anfang an klar, ich möchte Unternehmerin und Gesellschafterin werden. Damals gab es keinerlei Möglichkeit, den sogenannten Partner-Track in Teilzeit zu durchlaufen. Ich war also an eine Vollzeittätigkeit gebunden. Ich hatte mit dem mir zugehörigen Gesellschafter in der Kanzlei Gespräche geführt und meine kanzleiinterne Weiterentwicklung durchgeplant. Bevor es wirklich losgehen sollte, stellte sich heraus, dass ich schwanger war. Für mich war klar: Ich wollte Mutter und Unternehmerin werden. Ich wollte diese Hürde zu diesem Zeitpunkt auf mich nehmen. Mein zuständiger Gesellschafter war bereits davon ausgegangen, dass ich die Pläne sicherlich schieben wollen würde. Das wäre wahrscheinlich auch der einfachere Weg gewesen, denn als angestellte Anwältin hätte ich eine große Sicherheit gehabt, hätte einfacher in Teilzeit gehen oder mich rausziehen können. All das wäre aber nicht Ich gewesen. Ich habe mich dann viel mit meinem Netzwerk, den Working Moms, ausgetauscht. Die Frauen haben mich ebenso wie mein Ehemann sehr in meinem Vorhaben bestärkt. Es wird immer Aspekte geben, die nicht perfekt sind und die Ausgangssituation würde wahrscheinlich nie optimal sein. Da ich aber für meine Pläne brannte, sagten mir alle, dass ich es auch hinbekommen würde. Zieht man nun einmal den Geschlechtervergleich, würde kein Mann sagen, dass er auf seine Karriere verzichtet, weil er ein Kind bekommt. Im Gegenteil würden es die meisten Männer als Karriere-Pusher sehen, da sie sich noch mehr in der Verantwortung für ihre Familie sehen. Ich habe meinem Gesellschafter klar gesagt, dass ich weiter an dem Plan festhalten möchte. Und so haben sie mich zur Gesellschafterin gemacht.

Kompetenzzentrum: Und als dann die Geburt Ihres Kindes anstand?

Marisa Michels: Ich habe wie von Anfang an geplant ein halbes Jahr Elternzeit genommen. In dieser Zeit habe ich weiterhin viel Kontakt zur Kanzlei gehalten, habe mit Mandant:innen telefoniert und stand im engen Austausch mit meiner Vertretung. Nach einem halben Jahr hat mein Mann übernommen und ist in Elternzeit gegangen, bevor unsere Tochter dann mit einem Jahr in eine Großtagespflege gegangen ist. Kompetenzzentrum: Wo stehen Sie als Anwältin und als Kanzlei heute? Marisa Michels: Ich bin sehr glücklich, meinen Schritt gegangen zu sein. Wir waren damals zwei Gesellschafterinnen, ich war die zweite. Neben uns standen 22 männliche Kollegen, mein Einstieg hat die Quote also gut erhöht. Mittlerweile haben wir ein neues Modell entwickelt, dass es erleichtert, qualifizierte Frauen in verantwortungsvolle Positionen zu bringen. Denn auch wir haben mit dem Fachkräftemangel zu kämpfen und wollen explizit Frauen in unserer Kanzlei beschäftigen. Mandant:innen erwarten schlichtweg, dass wir gemischte Teams bereithalten, Fähigkeiten und Kompetenzen jeglicher Art anbieten und Gedanken zusammenbringen können, um die beste Lösung zu entwickeln. Dafür sind viele vermeintlich weibliche Fähigkeiten gewinnbringend. Wir dürfen nicht zulassen, dass talentierte, gut ausgebildete Frauen uns verlassen, weil wir keine attraktive Lösung für die Zukunft anbieten. Darum haben wir ein Partner-Programm entwickelt, das auch in Teilzeit funktioniert.

Kompetenzzentrum: Welche Rahmenbedingungen sollten Unternehmen schaffen, um Frauen und Männern die gleichen Chancen zu ermöglichen?

Marisa Michels: Zunächst einmal müssen Arbeitgebende auf die jeweiligen Mitarbeitenden eingehen und individuell Lösungen finden, flexibel reagieren und offen für neue Ideen sein. Eine Kollegin in Teilzeit wollte gerne fünf Stunden mehr arbeiten, muss aber mittags ihre Kinder abholen. Es war kein Problem, dass sie ihre weiteren Stunden von zuhause aus flexibel arbeitet. Für andere ist Zeit wertvoller als Geld – auch hier gilt es, individuelle Lösungen zu finden. Als der erste männliche Kollege Elternzeit eingereicht hat, gab es viel positiven Zuspruch. Vor wenigen Tagen ist er ebenso wohlverdient in den Gesellschafterkreis aufgenommen worden wie die erste in Teilzeit arbeitende Partnerin der Kanzlei. Flexibilität, sich Entgegenkommen und gegenseitiges Vertrauen müssen vorhanden sein, dann findet man gute individuelle Lösungen und erhält dafür eine loyale und wertvolle Zusammenarbeit. Jeder Mitarbeitende ist anders, hat andere Bedürfnisse und Vorstellungen, da müssen Arbeitgebende dran bleiben, sich informieren, nachfragen, begleiten und fördern. Wichtig ist es, die persönlichen Entscheidungen der Mitarbeitenden zu akzeptieren. Nicht jedes Modell ist für alle das passende.

Kompetenzzentrum: Wie hat sich Ihr Arbeitsalltag verändert, seitdem Sie Mutter sind?

Marisa Michels: Ich arbeite effektiver, da mir die Wertigkeit der Zeit viel bewusster geworden ist. Ich muss zudem an manchen Tagen sehr pünktlich Feierabend machen, da ich die Kinder übernehmen muss. Auf der anderen Seite habe ich aber auch ein ganz anderes Fundament bekommen. Ich weiß, was ich erreicht habe – privat UND beruflich.

Kompetenzzentrum: Worin sehen Sie die wesentliche Voraussetzung für eine gelingende Vereinbarkeit von Familie und Beruf?

Marisa Michels: Zum einen muss es seitens des Arbeitgebenden genügend Angebote geben, die eben diese Flexibilität ermöglichen. Natürlich muss auch zuhause alles stimmen, sodass zwischen den beiden Partnern die gleichen Vorstellungen herrschen. Zum anderen müssen aber auch die politischen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Elternzeit für Männer muss auch finanziell attraktiver werden. So sind wechselnde Gehälter im System nicht vorgesehen und die Regelungen insgesamt unnötig kompliziert. Auch ist es beispielsweise nach wie vor schwer, in Münster einen Betreuungsplatz für Kinder ab einem Jahr zu finden. Wir mussten bei unserer Kleinen nach dem ersten Geburtstag ein halbes Jahr auf den Betreuungsplatz warten. In dieser Hinsicht und im Hinblick auf flexible Betreuungsangebote muss viel mehr gemacht werden. Genauso ist die politische Unterstützung der Care-Arbeit ein wichtiger Faktor. Hier in Münster gibt es beispielsweise private Dienstleister, die dann in „Notfällen“ eingreifen. Eine Förderung dieser Angebote oder auch der Angebote, die Arbeitgebende schaffen können, wären wichtige Schritte. Nicht zu unterschätzen sind zudem Netzwerke, die positive Beispiele bekannt machen und zeigen, dass Karriere und Kinder sich nicht im Wege stehen.

Kompetenzzentrum: Ein gutes Stichwort: Sind die Working Moms, die Sie bereits angesprochen haben, ein solches Netzwerk?

Marisa Michels: Absolut. Bei den Working Moms sind derzeit ca. 600 Mitglieder bundesweit organisiert. Wir haben Verbandstreffen auf Bundesebene ebenso wie lokale monatliche Treffen an unserem Standort Münster mit engagiert berufstätigen Frauen. Das ist die Grundvoraussetzung für die Aufnahme in den Verein. Wir sind einfach ein großartiges Netzwerk. Wenn jemand ein Störgefühl, eine Idee oder das Bedürfnis nach Unterstützung hat, dann kann sie direkt aus diesem Netzwerk jemanden anrufen. Wir können auf kurzfristige und engagierte Unterstützung zählen. Man bekommt zudem den Rücken gestärkt. Als junge Mutter wird man in den diversen Babykursen oft schief angeschaut, wenn man erzählt, dass man wieder arbeiten geht. Da sind Kommentare wie „Gut, dass wir uns das leisten können, dass ich als Mutter zuhause bleiben kann“ keine Seltenheit. Man zweifelt dann auch mal an sich und hinterfragt, ob man selbst vielleicht doch einen Fehler macht. Tun wir unserem Kind gerade wirklich Gewalt an, wenn wir arbeiten gehen oder ist das okay? Da sind andere Positivbeispiele so wertvoll und aufbauend. Ich habe diese Beispiele in vielfältiger Zahl bei den Working Moms gefunden. Da gibt es viele tolle berufstätige Mütter, die berichten, wie sie Modelle gefunden haben, die beide Elternteile glücklich machen. Es ist ein Topf vieler toller Ideen, die einem den eigenen Weg massiv erleichtern. An dieser Stelle auch ein kleiner Buchtipp von einer Working Mom. „Mut zu Kindern und Karriere“ von Stefanie Bilen. Ich habe das Buch nach der Geburt meiner ersten Tochter verschlungen und empfehle es gerne weiter.

Kompetenzzentrum: Haben Sie einen gesellschaftlichen Wunsch für die zukünftige Arbeitswelt?

Marisa Michels: Dass man niemals sagt: Das geht nicht! Offenbleiben, Dogmen hinterfragen und Lösungen schaffen. Genauso wie wir es geschafft haben, das Dogma zu brechen, Gesellschafter:in zu sein geht immer mit einer Vollzeitstelle einher, sollten sich Modelle, bei denen Eltern- und Arbeitszeit geteilt wird, viel stärker etablieren.

Zum Hintergund

Das Kompetenzzentrum Frau und Beruf Münsterland unterstützt kleine und mittlere Unternehmen der Region für eine frauen- und familienfördernde Personalpolitik. Über unterschiedliche Angeboten werden sie sensibilisiert, die Zielgruppe Frauen bei der Personalgewinnung zu berücksichtigen. Die Arbeit des Kompetenzzentrums soll damit auch einen Beitrag zur Bewältigung des Fachkräftemangels leisten. Getragen wird das Projekt von der Handwerkskammer Münster. Als Kooperationspartner steht das Forschungszentrum Familienbewusste Personalpolitik zur Seite. Das Kompetenzzentrum Frau und Beruf Münsterland wird aus Mitteln des Landesministeriums für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung sowie aus dem EFRE-Fonds der EU gefördert.

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