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Neuer WSI-Bericht: Deutsche Einheit bei der Gleichstellung?

Veröffentlicht von der Hans Böckler Stiftung

Von Bettina Kohlrausch

Der 33. Jahrestag der Deutschen Einheit war wieder einmal Anlass für zahlreiche Analysen, die die sozialen Unterschiede in beiden Landesteilen thematisieren. Meistens wurde dabei aufgezeigt, in welcher Hinsicht die Situation im Osten schlechter ist als im Westen. Schaut man auf den Stand der Gleichstellung in beiden Landesteilen, so ergibt sich ein differenziertes Bild. Sicher ist aber: Bei 15 von 22 wichtigen Indikatoren zu Themen wie Erwerbsbeteiligung, Arbeitszeit, Bezahlung, Führungspositionen oder Absicherung im Alter sind die Abstände zwischen Männern und Frauen im Osten spürbar kleiner als im Westen. Das zeigt der neue von Dr. Yvonne Lott und Expert*innen des Berliner Instituts für sozialwissenschaftlichen Transfer verfasste Bericht zum Stand der Gleichstellung in Ost- und Westdeutschland.

Zwar ist die Gleichstellung von Männern und Frauen auch im Osten nicht erreicht, aber die Unterschiede sind doch deutlich kleiner. So ist beispielsweise der Anteil von Frauen in Führungspositionen im Osten – auch auf den obersten Führungsetagen – deutlich höher: Hier wurden in Ostdeutschland 2020 31 Prozent der Stellen von Frauen ausgefüllt, in Westdeutschland nur 26 Prozent.

Ein Grund für den größeren Anteil von Frauen in Führungspositionen könnte die höhere Erwerbsquote von Frauen im Osten sein: Sie liegt mit 74 Prozent (Männer 78,5 Prozent) deutlich über der im Westen, wo 71,5 Prozent der Frauen erwerbstätig sind (Männer 79,4 Prozent). Auffällig ist vor allem, dass Paare im Osten in anderen Familienkonstellationen leben als Paare im Westen. Im Westen dominiert nach wie vor das sogenannte modernisierte Ernährermodell. Das bedeutet, dass der Mann in Vollzeit arbeitet und mit seinem Einkommen den überwiegenden Teil des Haushaltseinkommens bestreitet, während die Frau lediglich in Teilzeit arbeitet. Damit geht in der Regel auch eine ungleiche Verteilung der Sorgearbeit und der sozialen Risiken, die sich mit diesem Modell verbinden, einher. Während das modernisierte Ernährermodell im Westen absolut dominant ist, 71,7 Prozent der Paare mit Kindern leben dort so, sind es im Osten lediglich 42,9 Prozent der Paare, die Kinder haben. Die häufigste Haushaltskonstellation ist im Osten die, in der beide Partner*innen in Vollzeit erwerbstätig sind.

Hierfür gibt es zwei entscheidende Gründe: Zum einen unterscheidet sich die Lohnstruktur im Osten maßgeblich von der im Westen. Die durchschnittlichen Stundenlöhne in Ostdeutschland sind generell niedriger. Ein Grund für das geringere Gender Pay Gap in Osten ist, dass dieser Rückstand bei Männern größer ausfällt als bei Frauen. Es ist somit im Osten häufig schlicht nicht möglich, das Haushaltskommen hauptsächlich aus dem Gehalt des Mannes zu bestreiten. Zum anderen ist das Betreuungsangebot im Osten deutlich besser als im Westen: Gerade bei der Ganztagsbetreuung ist die Differenz groß: 2022 wurden in Ostdeutschland 40,8 Prozent der Kinder unter drei Jahren und 73,4 Prozent der 3- bis 6-Jährigen ganztags außer Haus betreut. Dagegen sind es im Westen nur 14,8 bzw. 41,4 Prozent – bei spürbar höherer Nachfrage.

Sowohl die Unterschiede zwischen Ost und West als auch die schrittweise Annäherung machen deutlich, dass Fortschritte bei der Gleichstellung sehr oft von Rahmenbedingungen abhängen, die der Staat gestalten kann – etwa Investitionen in eine ausreichende Kinderbetreuung.

Prof. Dr. Bettina Kohlrausch ist die Wissenschaftliche Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung.

Weiterführende Informationen finden Sie hier: www.boeckler.de

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