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State of European Tech 2019 – GründerInnen und MitarbeiterInnen in der Startup-Szene: Wir haben ein Problem!

Das Patriarchat ist tot! Oder doch nicht? Wenn es um Diversität und Inklusion geht, liegen Anspruch und Wirklichkeit im europäischen Tech- und Startup-Ökosystem weit auseinander. Das ergab der State of European Tech 2018 des Risikokapitalgebers Atomico. Aktuell läuft die Umfrage zur diesjährigen Edition des Reports. Fokusthema: Wie steht es um Diskriminierung, Gleichberechtigung und geistige Gesundheit in der europäischen Tech-Szene.

Unternehmen mit diversen und vielfältigen Teams performen besser. 90 Prozent stimmten dieser Aussagen im vergangenen State of European Tech zu; kein Statement erhielt mehr Zuspruch. Das europäische Tech-Ökosystem wird erst sein volles Potential entfalten, wenn Diversität und Inklusion fest in ihm verankert sind.

Doch in der Szene tummeln sich viele junge und weltoffene Gründer. Mit der gesellschaftlichen Debatte um Diversität sind sie aufgewachsen; in Startup-Hubs wie Berlin, Hamburg und München setzen sich die Teams aus unzähligen verschiedenen Nationen zusammen; Fortschritt und Forschung – technologisch wie gesellschaftlich – ist bei vielen Unternehmen Teil des Geschäftsmodells.

Dass die Aussage in diesem Umfeld derartigen Zuspruch erhält, verwundert daher nicht  – und dennoch lässt sie tief blicken. Denn zwischen Theorie und Praxis klafft eine Lücke: Während drei Viertel der Studienteilnehmer ihre eigene Unternehmenskultur für inklusiv halten, haben knapp die Hälfte der teilnehmenden Frauen bereits Diskriminierung im europäischen Tech-Sektor erlebt. Die Gründerszene im Zwiespalt zwischen Schein und Sein.

Zwischen Anspruchsdenken und Realität

Noch deutlicher wird dieser Spalt beim Blick auf getätigte Finanzierungsrunden. Schließlich ist Risikokapital entscheidend für die Startup-Szene, die jungen Unternehmen brauchen es wie Menschen die Luft zum atmen. Sie brauchen es, um zu skalieren, zu expandieren, um nach der chaotischen Gründungsphase feste Strukturen aufzubauen. Umso bezeichnender, dass im letzten Jahr 93 Prozent des lebenswichtigen Kapitals an rein männliche Gründerteams flossen.

Die Folge: Frauen sind in Führungsteams eine Seltenheit. Wie sollte es auch anders sein, wenn fast nur männliche Gründerteams vom Risikokapital profitieren? Eine Quote für Führungspositionen – gibt es nicht. Und so ist lediglich eine von 175 Chief Technology Officers (CTO), also den Tech-Chefs wie -Chefinnen, bei Startups eine Frau. Zumindest in den Startups, die während der Erhebung des State of European Tech 2018 eine Series A oder Series B-Finanzierung erhielten.

Die Zahlen zeigen schwarz auf weiß: Die Diskriminierung in der europäischen Tech- und Startup-Szene ist nicht besiegt. Vielmehr versteckt sie sich Diskriminierung in neuen Gewändern; Widerspruch ist die Tarnung. Denn vergleicht man Selbstwahrnehmung und Ist-Zustand, scheint Diskriminierung das Problem der anderen zu sein. Kein Wunder also, dass nur 38 Prozent aller Frauen zustimmen, das europäische Tech-Ökosystem sei inklusiv – während die Mehrheit der Männer eben dies denkt.

Ran an die Strukturen!

Es stellt sich die Frage: Wie schaffen wir Diversität und Inklusion nicht nur im Geiste, sondern auch in der Realität?

Ein Mittel sind strukturelle Veränderungen. In den USA sind auf Diversität und Inklusion ausgelegte Recruiting-Richtlinien oft Standard; auf dem europäischen Kontinent sind sie noch nicht wirklich angekommen. Gleiches gilt für flexible Arbeitszeitmodelle rund ums Homeoffice, Gleitzeiten, dem einfachen Wechsel zwischen Voll- und Teilzeit oder flexible Elternzeitmodelle. Als Reaktion auf die Ergebnisse der Studie setzten Atomico und Diversity VC bereits im vergangenen Jahr das Diversity ToolKit für GründerInnen auf. Dieser dient als Leitfaden zu einer inklusiven und diversen Unternehmenskultur.

Nicht minder wichtig: Es bedarf einer gesellschaftlichen Debatte zum Thema Gleichberechtigung in der Technologiewirtschaft. Die Studie belegt, dass die Mehrheit des Ökosystems sich fälschlicherweise bereits für inklusiv hält. Für so inklusiv, dass Startups das Problem öffentlich gar nicht aufgreifen: So wertete der State of European Tech auch die Medienberichterstattung und Social Media-Aktivitäten zur europäischen Tech-Branche aus. Hier fallen die Themen Diversität und Inklusion unter den Tisch. Diskutiert wird stattdessen über Finanzierungsrunden, Exits, KI oder die Blockchain.

Der State of European Tech 2019

Doch um die Debatte anzustoßen ist es umso wichtiger zu erfahren, was sich im vergangenen Jahr in der Szene getan hat. Vergangenes Jahr wurden die Ergebnisse der Studie zu den Themen Diversität und Inklusion in führenden Medien wie dem Handelsblatt oder der FAZ diskutiert – doch hat die Diskussion etwas bewirkt?

Und Diskriminierung endet nicht beim Geschlecht. Im vergangenen Jahr erklärten zahlreiche Teilnehmer der Studie, sie seien aufgrund ihres Alters oder ihrer ethnischen Zugehörigkeit diskriminiert worden. Der Grad der wahrgenommenen Diskriminierung war besorgniserregend.

Der State of European Tech 2019 vertieft diesen Aspekt und richtet seinen Fokus verstärkt auf die Gleichberechtigung der Religionen, Ethnien oder Altersgruppen in der europäischen Tech-Branche. Ein weiteres Schwerpunktthema: Wie steht es um die seelische Gesundheit in dem Ökosystem? Schließlich werden Startups oft für harsche Arbeitsbedingungen wie schlechte Bezahlung, unbezahlte Überstunden und psychischen Druck kritisiert. Alles nur Vorurteile? Traurige Wirklichkeit? Oder trügt diesmal der Schein und das Sein ist besser als wir denken? Nur Daten helfen uns weiter.

Die Umfrage zum State of European Tech kann unter https://www.surveymonkey.co.uk/r/B9JMMX6  aufgerufen werden. Teilnehmer helfen den Autoren der Studie dabei, die drängenden Probleme des europäischen Tech-Ökosystems aufzudecken und Lösungen in die Wege zu leiten.

Über den State of European Tech

Der State of European Tech ist die tiefgreifendste datenbasierte Studie zur europäischen Tech- und Startup-Szene. Autoren der Studie sind Europas größter Risikokapitalgeber Atomico, das führende Startup-Event Slush sowie Orrick. Neben den grundsätzlichen Trends und Entwicklungen des europäischen Technologiemarktes und der Tech-Branche, widmet sich der Report auch den Themen rund um Gleichberechtigung, Inklusion und Bildung. Den State of European Tech 2018 und weitere Informationen können Sie unter folgendem Link aufrufen: https://2018.stateofeuropeantech.com/

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