Berlinale 2024

Berlinale Special: Natalia Sinelnikova ist Regisseurin

„Ich kann mithilfe einer Bildsprache ausdrücken, was ich den Zuschauern vermitteln will.“

Natalia, Du warst bereits auf der Berlinale. Wie ist es für Dich in diesem Jahr wieder mit dabei zu sein?

Es ist immer sehr aufregend. Man ist ein bisschen in einer anderen Welt unterwegs und lebt für ein paar Tage in einem Ausnahmezustand zwischen Müdigkeit, Inspiration und Menschen kennenlernen. Im besten Fall sieht man auch viele Filme. In diesem Jahr ist das bei mir ein bisschen kürzer gekommen, weil ichfür Berlinale Talents ausgewählt wurde und ein sehr dichtes Programm hatte.

Der Austausch ist also ein wichtiger Punkt für Dich bei der Berlinale?

Auf jeden Fall! Bei den Berlinale Talents sind Menschen aus, ich glaube, 65 Ländern zusammengekommen. Zwischen den Veranstaltungen entstehen viele inspirierende Gespräche. Der Austausch ist unglaublich wertvoll – vor allem auch für die Arbeit als Regisseur*in.

Nimmst Du mit dem konkreten Ziel teil zu netzwerken oder ergibt sich das automatisch?

Jede Berlinale ist anders. Vor allem im Zusammenhang mit den Berlinale Talents. Es geht nicht nur ums Netzwerken, auch wenn ich so viele Filmemacherinnen wie möglich kennenlernen möchte. Es geht um mehr. Nicht nur ums Filme schauen oder Kontakte knüpfen, sondern um eine Mischung aus beidem und im Idealfall sogar Freundschaften zu schließen während der Veranstaltungen. Es geht um den Austausch, wie man künstlerisch an einen Film herangeht, aber auch um die ganze Vorarbeit wie Finanzierung und Planung. Da gibt es immer noch was dazuzulernen und neue Perspektiven einzunehmen.

2022 hat Dein Film „Wir könnten genauso gut tot sein“ die Sektion Perspektive Deutsches Kino eröffnen dürfen. Was war das für ein Gefühl?

Wir haben an dem Film rund fünf Jahre gearbeitet und haben auch während Corona gedreht. Ich bin schon viele Jahre zur Berlinale gegangen und es war immer ein Traum Teil davon zu sein mit einem eigenen Film. Und dann ist dieser Traum Wirklichkeit geworden. Das war ein unglaubliches Gefühl! Der Film ist zum Leben erwacht und ich konnte direkt miterleben, wie die Zuschauer*innen ihn aufgenommen haben. Danach gab es dann auch direkt eine Filmkritik von Screendaily, die haben wir als Team zusammen draußen vor dem Kino International vorgelesen und es war die schönste Kritik, die man bekommen kann. Es war ein überwältigendes Glücksgefühl! Und danach ging die Festivaltour los.

Zehrst Du davon, wenn Du mal einen Tiefpunkt hast oder zweifelst? Erinnerst Du Dich dann an diesen Moment?

Es ist extrem wichtig sich diese Erfolgsmomente zu bewahren, denn man neigt als Mensch viel zu häufig dazu das Negative viel größer zu machen und sich mit Kritik und Misserfolgen zu befassen. Dagegen nehmen wir Lob und Bestätigung viel weniger an. Umso wichtiger ist es, sich über jede Zusage, jedes Lob, jeden Erfolg zu freuen, um nicht komplett zu verzweifeln und sich immer wieder zu motivieren.

Eine Bestätigung von außen ist ja auch immer wichtig, sonst fängt man irgendwann noch an zu zweifeln, ob das überhaupt gut ist, was man macht.

Auf jeden Fall. Für uns waren die  positiven Kritiken und Rückmeldungen wirklich wichtig, um zu sehen, dass der Film funktioniert, dass er Menschen sowohl in Deutschland als auch international erreicht und bewegtDas hat mir ganz klar gezeigt, dass ich auf dem richtigen Weg binEs war alles wie so ein kleiner Rausch. Als der dann vorbei war, konnte ich mich auf mein nächstes Projekt konzentrieren, das wir schon vor der Premiere von “Wir könnten genauso gut tot sein” begonnen hatten.

Wie kam es denn eigentlich dazu, dass Du Regisseurin geworden bist? Eigentlich kommst Du ja von der Fotografie und dem Theater …

Filme waren schon immer wichtig für mich. Filme zu sehen war schon immer eine Mischung aus Inspiration und Flucht. Fotografie und Theater war mein erster Ansatz, um herauszufinden, wie ich erzählen will. Ich hab dann aber ziemlich bald gemerkt, dass mich das nicht genug erfüllt und habe dann Filmregie studiert. Da hatte ich das erste Mal in meinem Leben das Gefühl, hier bin ich richtig. Ich wusste: Das ist es, was ich machen möchte.

Und das ist extrem wichtig, dass man dieses Gefühl hat. Denn einen Film umzusetzen, ist ein langer Prozess: angefangen bei der Idee, über Finanzierung, bis zur Umsetzung. Das verlangt einem viel ab, daher brauche ich diese Gewissheit, denn daraus ziehe ich meine Energie.

Was fasziniert Dich an Deiner Arbeit als Regisseurin so?

Dass man so präzise sein und ich alles aus einem Moment herausholen kann. Ich kann mithilfe von Bildsprache, Schauspiel, Sound etc. so viel vermitteln, ich kann Dinge spürbar machen, erlebbar machen. Ich habe das Gefühl, mich so viel besser mit dem Medium Film ausdrücken zu können, als wenn ich z.B. einen Vortrag halte. Der Film ist ein mächtiges Sprachrohr.

Ein Film ist für mich eine wichtige, emotionale Erfahrung, die auf verschiedenen Ebenen funktioniert. Er kann einen unterhalten, mitreißen, mitnehmen, aber auch verstören. Ich experimentiere gerne mit vorgegebenen Grenzen und Spielregeln, damit ich neue Formen entwickeln kann. Sehgewohnheiten aufzusprengen, mit Konventionen zu spielen, einfach etwas völlig Neues schaffen.

Auch finde ich es spannend, dass es sich verändert, wie wir einen Film wahrnehmen. Stell Dir vor, Du hast einen Film zehn Jahre nicht mehr gesehen. Dann siehst du ganz neue Aspekte, verstehst Kontexte anders oder besser. Er gibt Dir vielleicht mehr, als beim ersten Sehen, aber auf jeden Fall auch wieder neue Perspektiven. Denn wir verändern uns im Laufe unseres Lebens durch all unsere Erfahrungen.

Wie viel von Dir steckt denn in Deinen Filmen? Trennst Du zwischen Regisseurin und Privatperson?

Ich glaube, es ist sehr wichtig, dass man trennt, weil man sonst nicht die nötige Distanz hat, um eine Geschichte zu erzählen. Es fließen Aspekte ein, die auf der Privatperson basieren, wie Humor oder auch Weltansichten, die durch meine Erlebnisse und Erfahrungen entstanden sind. Die gebe ich ja aber nicht 1:1 wieder, sondern abstrahiere sie, binde sie in die Geschichte ein, so wie es Sinn macht.

Was aber ganz entscheidend ist: Wenn ich eine Geschichte universell erzähle und nicht auf mich als Privatperson bezogen, dann kann sie gleichzeitig spezifisch und wahrhaftig sein und so für viel mehr Menschen funktionieren.

Vorhin hast Du davon gesprochen, dass Dir der Austausch besonders wichtig ist hier bei der Berlinale. Auch generell in der Filmbranche, vor allem unter Frauen?

Ja, es ist unglaublich wichtig, dass wir uns sprechen, austauschen und gegenseitig unterstützen. Dadurch wird  klar, dass das Ungleichgewicht in der Filmbranche leider weiterhin besteht und nicht nur einen selbst betrifft,Es lässt sich besser damit umgehen, wenn man weiß, dass es eine Kollektiverfahrung ist, das hat etwas Tröstendes und Bestärkendes.

Und was auch sehr hilfreich ist und mir sehr viel gegeben hat, ist es sich eine Mentorin zu suchen, mit der ich mich beraten und jederzeit etwas fragen kann, wenn ich mir unsicher binDas ist unglaublich wertvoll. Man profitiert von den Erfahrungen anderer, kann sie für sich selbst anwenden, die Filmindustrie besser verstehen und dadurch die Bedingungen für sich zu schaffen, unter denen man arbeiten möchte.

Wie schaffst Du Dir diese Bedingungen?

Ich weiß inzwischen, was ich als Regisseurin brauche, um gut arbeiten zu können und bespreche es von Anfang an. So schaffe ich mir einen Rahmen, in dem ich gemeinsam mit meinem Team einen Film gut umsetzen kann. Wichtig ist sich dabei selbst treu zu bleiben.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

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