Berlinale 2024

Berlinale Special: Sophie Linnebaum ist Regisseurin

„Ich will die Welt verändern!“

Sophie, du gehörst in diesem Jahr zu den Berlinale Talents. Was bedeutet es für dich dabei zu sein?

Es ist eine ganz tolle Möglichkeit, um Kontakte zu knüpfen und ins Gespräch zu kommen. Ich bin ja viel auf Filmfestivals unterwegs gewesen und finde es immer wieder toll sich so zu vernetzen, dass man gegenseitig den weiteren Weg verfolgt und hoffentlich auch im direkten Austausch bleibt. Während der Berlinale Talents habe ich schon viele tolle Leute kennengelernt. Deswegen freut es mich sehr mit dabei zu sein.

Netzwerken und Kontakte knüpfen ist doch sicherlich generell ein wichtiger Baustein in der Branche.

Auf jeden Fall. Nicht nur in der Branche, sondern auch für seine eigene filmische Entwicklung. Die Regiseur*innen meiner Klasse in der Filmuni waren zum Beispiel sehr stark verbunden.  Da ist man nicht nur deinen eigenen Weg gegangen, sondern gleichzeitig auch den von fünf anderen Menschen. Dadurch hat man viel mehr das Potenzial gemeinsam zu lernen, sich zu unterstützen –  und sich einfach   auf Augenhöhe auszutauschen. Das finde ich unglaublich bereichernd.

Das heißt im Austausch mit anderen zu sein, gehört für dich einfach mit dazu?

Ja, es war immer ein Geben und Nehmen. Ich kenne das gar nicht anders. Und das nicht mal speziell auf Frauen untereinander bezogen. Es gibt immer jemanden, der ist besser in etwas oder hat schon etwas ausprobiert, was du selbst noch nicht gemacht hast.

Gibt es etwas, bei dem Frauen tendenziell etwas zögerlicher sind? Ich denke da z.B. an finanzielle Angelegenheiten.

Das ist tatsächlich ein Problem. Das sieht man an den Statistiken und auch bei mir selbst hab ich das immer wieder beobachtet. Ich bin schnell Feuer und Flamme  ein tolles Projekt gemeinsam mit tollen Menschen umzusetzen, die finanziellen Aspekte zu besprechen und zu verhandeln verdränge ich da gerne schnell.

Aber natürlilch gibt es auch andere, die das wiederum sehr gut können. Ich hab beispielsweise mal mit einer Kamerafrau gearbeitet, die war unglaublich gut darin Verträge zu verhandeln. Von ihr konnte ich viel lernen.

Ist denn das gegenseitige Unterstützen von Frauen in der Filmbranche aus deiner Sicht noch so nötig, wie noch vor einigen Jahren?

Das kommt ein bisschen darauf an. Wenn ich mir meine oder jüngere Generationen angucke, dann gehen die bereits mit einem ganz anderen Verständnis durch die (Arbeits-)welt. Die Filmbranche ist ja zum Glück schon einen Schritt weiter. Es gibt aber auch immer noch ältere Kaliber, die noch nicht so richtig dazu gelernt haben, da hilft es sich dann gegenseitig zu unterstützen.

Ich sehe es aber zum Beispiel auch nicht mehr als meine Hauptaufgabe an, für meinen Platz in der Filmbranche zu kämpfen. Das haben andere vor mir getan und dafür bin ich auch sehr dankbar. Ich sehe es als meine Hauptaufgabe an, diese geschaffenen Plätze mit einer Selbstverständlichkeit einzunehmen.

Warum wolltest du denn überhaupt einen dieser Plätze einnehmen und Regisseurin werden?

Ich sags mal cheesy: Ich will die Welt verändern. Mir ist klar, dass das nicht von einem Tag auf den anderen geht. Nur weil man einen Film gesehen hat, verändert man nicht plötzlich sein Leben oder stürzt eine Diktatur. Aber unsere Gesellschaft besteht aus Narrativen, Filme sind Narrative und da mitzumischen, finde ich wichtig. Dadurch als Gesellschaft in Kontakt und Austausch zu sein, ist mein Ziel. Das gelingt zum einen durch den Inhalt, aber auch darüber, welche Gefühle man mit seinem Film provoziert. Was hinterlässt mein Film bei seinem Publikum?  Hoffnung oder empowernde Wut sind die Gefühle, nach denen ich aus bin, die mich antreiben und von denen ich denke, dass sie auch anderen Menschen Energie geben. Wenn ein Film nur Hilflosigkeit vermittelt, kotzt mich das an.

Empowernde Wut“, dieser Ausdruck gefällt mir! Ist das etwas, was dich antreibt?

Definitiv. Ich will nichts beschönigen. Wir brauchen Filme, die sagen „Das System ist scheiße!“ und wir brauchen Filme, die dazu aufrufen das System zu ändern. Hoffnung spielt da auch eine wichtige Rolle.

Ist es dir in dem Zusammenhang wichtiger, dich mit Leuten direkt über deine Filme auszutauschen, zum Beispiel nach einer Premiere, oder zählen für die Auszeichnungen mehr?

Das lässt sich schwer gegeneinander aufwiegen. Jeder freut sich doch darüber, wenn die eigene Arbeit gewürdigt wird. Ich bin schließlich auch nicht frei von Unsicherheiten, Sorgen und Ängsten. Da ist es sehr schön, wenn jemand unabhängiges sagt: „Das ist gut, was du da machst“. Außerdem erhöhen Auszeichnungen die Sichtbarkeit und das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass man weiterarbeiten kann und das machen kann, was man will.

Aber mir bedeuten auch persönliche Gespräche viel. Ich habe zum Beispiel eine Dokumentation über Väter gemacht und danach die Rückmeldung bekommen, dass jemand seinen Vater nach über 20 Jahren wieder angerufen hat. Das ist unbezahlbar, ein richtiges Geschenk!

Kannst du denn während einer Premierenvorstellung ganz entspannt im Publikum sitzen oder beobachtest du die anderen dabei, wie sie deinen Film anschauen?

Ich beobachte! Haben sie gelacht? An welcher Stelle haben sie gelacht? Warum an der Stelle und nicht an der anderen? Weint jemand? Sind sie gelangweilt? Das ist stressig. Guter Stress, aber stressig.

Apropos stressig: So eine Filmproduktion muss doch auch sehr stressig sein.

Eine Produktion ist sehr vielschichtig. Man muss für sich selbst einen Weg finden, wie man damit umgeht, wenn die eigenen Vorstellungen sich so nicht umsetzen lassen. Dieser Realitätsclash kann ziemlich heftig sein. Dazu kommt dann noch der zeitliche Druck bei der Produktion. Du hast prinzipiell nie genügend Zeit für den Dreh oder auch für Vor- und Postproduktion. Man weiß immer, dass man die 100 Prozent nicht erreichen wird und muss dann entscheiden, wo man die Abstriche macht. Bei diesem Prozess zu lernen, mich auf das Positive zu konzentrieren, war nicht leicht, denn es nagt extrem an mir, wenn das, was ich erarbeite, nicht meinen Vorstellungen entspricht. Dennoch positiv auf einen Film zurückzublicken, gelingt mir vor allem durch die Teamarbeit. Was wir als Team geschafft haben, für all die Menschen, die mitgeholfen haben, ihn umzusetzen, bin ich extrem dankbar. Da hole ich meine positiven Gefühle her.

Bist du auch bei anderen Filmen so kritisch, wie bei deinen eigenen?

Anders kritisch. Nicht in dem Sinne: Das hätte ich aber anders umgesetzt. Eher auf einer Werteebene. Wenn z.B. in einer Dokumentation jemand seine Protagonist*innen nicht liebt, dann stört mich das extrem. Denn du bist ja als Regisseur verantwortlich für die Menschen vor der Kamera und dafür, sie menschlich, mit all ihren Schichten, darzustellen. Wenn ein Film das nicht schafft, wenn er seine Figuren verrät, dann habe ich direkt schlechte Laune und die hält sich durchaus auch mal mehrere Tage.

Das heißt, du schaust einen Film auch zu Ende, selbst wenn er dir nicht gefällt?

Es kommt darauf an. Früher wäre ich nie aus einem Film rausgegangen, inzwischen mache ich das durchaus oder breche einen Film ab. Aber klar, oft schaue ich trotzdem weiter, nur um anschließend gewissenhaft sagen zu können, dass ich den Film komplett gesehen habe und mir niemand vorhalten kann, dass er mir nur nicht gefallen hat, weil ich das Ende nicht gesehen habe.

Als Regisseur kann man es eben nicht jedem recht machen. Wie ist das bei dir? Versuchst du eine bestimmte Zielgruppe zu erreichen?

Ich habe mich nie gefragt, welche Filme ich machen sollte. Natürlich nehme ich wahr, welche Filme rezipiert werden und natürlich nehme ich wahr, dass meine Filme nicht unbedingt dem Mainstream entsprechen und nicht alle Menschen damit etwas anfangen können. Das beschäftigt mich. Aber eher in dem Sinne, dass ich mich frage, warum welche Arten von Kunst welche Menschen erreicht – und welche eben nicht. Und auch welche Auswirkungen das auf mein Team, die Zusammenarbeit hat. Gar nicht so sehr auf mich bezogen, denn ich finde mich in dem ganzen Konstrukt eher irrelevant.

…dabei hast du als Regisseurin doch eine wichtige und zentrale Rolle.

Das schon, aber wirklich als Regisseurin mit all ihren Aufgaben und nicht ich als Mensch. Es klingt vielleicht im ersten Moment merkwürdig. Also natürlich stecke ich als Privatperson mit meinen Werten und Ansichten in der Regieperson.  Wie ich durch mein bisheriges Leben geworden bin und welche Erfahrungen ich gemacht habe, das kann ich nicht einfach abstellen und will ich auch nicht. Aber auch das verändert sich mit der Zeit. Aus heutiger Sicht würde ich einige meiner älteren Filme jetzt so nicht mehr machen. Aber damals waren sie genau richtig so.

Was würdest du jüngeren Frauen empfehlen, die in Betracht ziehen Regisseurin zu werden?

Einfach machen! Das meine ich ernst. Sich Verbündete suchen, ein Projekt angehen, Erfahrungen sammeln. Wenn etwas nicht gleich klappt, dann geht davon die Welt auch nicht unter. Man muss ja auch erstmal kapieren, dass es den Beruf der Regisseurin überhaupt gibt und dass Menschen wie du und ich das werden können. Die Erkenntnis musste ich damals für mich auch erst gewinnen. Du kannst natürlich jahrelang rumüberlegen, ob du es probieren möchtest, aber im Endeffekt hilft es nur sich hineinzustürzen. Und apropos wissen, dass es den Beruf gibt:  Seinen filmisch kreativen Beitrag kann frau auch in der Montage, Szenographie, Sounddesign oder anderen wundervollen Departments ausleben. Nur weil die Regie so oft im Vordergrund steht, hat man die anderen nicht immer aufm Schirm.

Vielen Dank für das Gespräch!

 

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