Berlinale 2024

Berlinale Special: Merle Groneweg ist Autorin & Kuratorin

„Es gibt so viele Erfahrungen, die man machen kann!“

Du hast wirklich viele Interessen – bist du das erste Mal bei der Berlinale dabei?

Nein, ich war seit 2018 eigentlich jedes Jahr da, und was ich an der Berlinale so toll finde: Sie ändert sich immer, ist immer neu! Es gab verschiedene Leitungen, die Filmschaffende aus der ganzen Welt zusammenbringen. Und es gibt durch die einzelnen Sektionen, die auch eine wahnsinnige Bandbreite an Filmen bereitstellen, so viele Erfahrungen, die man machen kann.

Die Talente sind für Dich besonders wichtig, weil …

… es eine Möglichkeit ist, mit Filmschaffenden zusammenzukommen, na ja, nicht nur Filmschaffenden, aber auch. Es ist eine Chance, sich mit Leuten aus der ganzen Welt, die sich für Film begeistern, zu verbinden. So ein bisschen in einem Workshop-Format, aber auch darüber hinaus durch die vielen Partys und Empfänge in Kontakt zu kommen, und ganz neue Ideen zu bekommen und von den anderen zu lernen.

Mit welchen Erwartungen gehst du an dieses Festival ran?

Na, ich bin ja Kuratorin, das heißt, meine Hoffnung ist immer, dass ich Filme sehe, die mich begeistern und interessieren und von denen ich dann denke, dass sie auch etwas für unser Festival XPOSED sind. Ich bin immer auf Ausschau nach Geschichten sind, die ich so vielleicht noch nicht gesehen habe. Im Normalfall schaue ich dann so im Schnitt drei bis vier Filme am Tag.

Und dann geht es aber natürlich auch um Netzwerke. Selbst wenn man sich in der queeren Filmwelt bewegt, gibt es eigentlich Partys und Empfänge von morgens bis abends. Also, man könnte sich nur in dieser Subgruppe bewegen, um mit Leuten zu sprechen, da schafft die Berlinale aber auch einen besonderen Raum für.

Wenn man sich nur in der eigenen Bubble bewegt, ist das meistens wunderbar, aber manchmal auch nicht wirklich „hilfreich“. Inwieweit schaffst du es, oder schafft ihr es, nach außen zu gehen und Kontakte zu bekommen?

Ich würde sagen, das gelingt schon, da gibt es ja immer Schnittmengen zu anderen Themen und Bereichen. Und klar, man lernt auch jede Menge Leute beim Filme schauen oder auf Partys kennen, bei denen ich als Kuratorin auftrete und ein Stück weit das Festival und die Anliegen repräsentiere.

Inwieweit ist queeres Leben eigentlich tatsächlich im Kinofilm schon angekommen?

Merle Groneweg: Queeres Leben im Kinofilm, tja, das ist die Frage. Spricht man über Deutschland? Spricht man über Europa? Spricht man über die Welt? Ich würde schon sagen, dass es mehr Sichtbarkeit gibt und die Berlinale auch ein besonderer Ort dafür ist. Allein der Teddy Award, der queere Filmpreis, hat dieses Jahr schon seine 38. Verleihung gefeiert. Seit den 1980ern hat sich natürlich vieles verändert.  Damit schafft die Berlinale auch eine besondere Sichtbarkeit für queere Menschen, Filme und Filmschaffende. Und das Schöne daran ist, dass alle Sektionen – also z.B. der Wettbewerb, Panorama und Forum – die queeren Filme nominieren, letztere also in allen Bereichen präsent sind. Trotzdem ist es wichtig zu betonen, dass die Finanzierung für queere Filme häufig schwieriger ist als für andere Filme, weil Produzent*innen und vielleicht auch die Filmförderungsanstalten doch manchmal noch fragen: Wen spricht das denn an? Ist das nur was für das queere Publikum oder auch für die breitere Masse, also in Anführungszeichen „cis-heteronormative Gesellschaft?“ Da gibt es manchmal eine Skepsis, das zu produzieren. In anderen Staaten gibt es teilweise politische Repressionen und noch weniger Finanzmittel, um queere Filme zu schaffen. Aber es ist auch viel im Wandel. In Bezug auf die Filmlandschaft kommen seit Jahren wahnsinnig viele spannende Filme aus Brasilien Argentinien, Chile, Kolumbien – da gibt es auch viele experimentelle und politische Arbeiten. Auch aus Thailand und den Philippinen, aus Japan, Südkorea und Taiwan haben wir glücklicherweise immer mehr im Programm.

Kannst Du ein Beispiel nennen?

Ich kann vielleicht einen Film nennen, ANHELL69 von Theo Montaya. Damit haben wir letztes Jahr das Festival eröffnet. Der ist ganz fantastisch. Dieser hybride Film bringt verschiedene Formen zusammen, er ist experimentell, poetisch, politisch, vereint dokumantarische und szenische Elemente.

Es ist auf eine Art ein wahnsinnig düsterer Film, aber gibt am Ende auch Hoffnung und Kraft.

Wir schauen uns hier in Berlin diese Filme an und entwickeln vielleicht sogar ein Bewusstsein für diese Situation.

Das kann ich im Einzelfall natürlich nicht beurteilen. Aber ich kann vielleicht mal ein Beispiel bringen von einem Film, den ich hier gerade auf der Berlinale gesehen habe: REAS von der Regisseurin Lola Arias. Sie ist Theaterregisseurin und hat viel Erfahrung mit dokumentarischem Theater. Sie kommt aus Argentinien und hat dort mit Frauen im Gefängnis Workshops gemacht. Und aus diesen Workshops ist die Idee entstanden, einen Film daraus zu machen. Es war in dem Fall nicht so, dass sie zu Hause Sachen dachte wie: „Ach, ich würde gern mal irgendwie gucken, wie geht es den Gefangenen in diesem Land“, sondern sie hat aktive soziale Arbeit vor Ort gemacht, künstlerisch mit den Protagonist*innen gearbeitet, und erst daraus ist die Idee für diesen sehr bewegenden Film entstanden. Sie wurde beim Screening auch danach gefragt: Das ist toll, diesen Film beim Forum auf der Berlinale zu zeigen. Aber was ist das für den Raum, in dem der hier gezeigt wird, und was passiert dann danach? Und sie antwortet, dass die Berlinale eine große öffentliche Plattform ist, aber mit diesem Film reise sie in Argentinien mit den Protagonist*innen weiter herum. Sie habe weiter Theaterstücke entwickelt und sei damit im ganzen Land, teilweise auch außerhalb Argentiniens, auch in Frankreich, gemeinsam mit den Protagonist*innen unterwegs. Sie steht mit ihnen weiterhin und langfristig in engem Austausch.

Was würdest du dir von der Filmbranche wünschen? Vor allem, was Frauen betrifft?

Na, insgesamt gibt es ja immer die bekannten Zahlen, dass natürlich viele Frauen beispielsweise studieren, Regie studieren, aber dann am Ende die großen langen Filme schwer zu machen sind. Wenn man jetzt von dem ersten absieht, dann ist es schon schwierig, an die Gelder für den zweiten und für den dritten und den vierten zu kommen. Da gibt es viele Machtstrukturen, die noch aufgebrochen werden müssen. Da ist natürlich schon viel passiert in den letzten Jahren und trotzdem, wie bei allem ist auch hier ein bisschen Luft nach oben. Ich glaube, dass es wichtig ist, über auch über finanzielle Förderung zu sprechen und die Frage, wie kann man hier beispielsweise auch Quoten einführen kann. Und wie bei allen Themen im Leben ist wichtig, dass wir für eine intersektionale Perspektive kämpfen, das ist ein noch längerer Weg: Am schwierigsten ist es immer für diejenigen, die mehrfach diskriminiert sind, als Frauen of Color, als Schwarze Frauen, als behinderte Frauen, als arme Frauen, als trans Frauen, als lesbische Frauen … Jede Geschichte, jede Person, jede Positionierung ist anders.

Vielen Dank für das Gespräch!

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