Ungleichgewicht in der Tech-Branche: Was tun, wenn der Frauenanteil im Unternehmen sinkt?
Ist Female Empowerment schon wieder am Ende? Und Diversität ein Thema von gestern? Warum sinkt der Frauenanteil im Unternehmen?
Die Ergebnisse des globalen „Women in Tech“-Reports der digitalen Lernplattform Skillsoft, der im Frühjahr veröffentlicht wurde, lassen dies befürchten. 1.321 Frauen aus den Regionen Nordamerika, Asien-Pazifik, Europa, Mittlerer Osten und Afrika, die in der Technologiebranche, in -unternehmen und -organisationen sowie in technischen Positionen tätig sind, wurden für die Studie von Dezember 2022 bis Februar 2023 befragt.
Heraus kam, dass sich das Ungleichgewicht zwischen Männern und Frauen im Tech-Sektor verstärkt. 45 Prozent der befragten Frauen gaben an, dass sie am Arbeitsplatz zahlenmäßig bei einem Verhältnis von mindestens 1:4 stark unterlegen seien. (Zum Vergleich: 2021 waren es noch 25 Prozent.) Und nur 16 Prozent sagten, dass bei ihnen Frauen gegenüber Männern in der Überzahl seien.
Frauenanteil im Unternehmen: Dominanz der Männer?
Richtet sich der „Women in Tech“-Trendpfeil also wieder zurück auf patriarchisch geprägte Zeiten? Fragt man hierzulande in Tech-Unternehmen nach, zeigt sich ein anderes Bild. „Dass sich in den Mitarbeiterzahlen das Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern verstärkt, sehen wir erfreulicherweise nicht“, sagt Angela Mischnik, Vice President HR beim Unternehmen Usercentrics, einem der weltweiten Marktführer im Bereich Consent Management Platforms. „In unserem Unternehmen identifizieren sich zurzeit rund 38 Prozent aller Mitarbeitenden als Frauen und die Tendenz ist steigend.“
Auch beim CRM-Plattform-Anbieter HubSpot gibt es keine Bestätigung für die Zahlen des Skillsoft-Reports. „Wir haben in einigen Bereichen fast eine Geschlechterparität erreicht. Beispielsweise sind 47 Prozent der weltweiten Belegschaft Frauen“, sagt Ben Harmanus, Principal Editorial Lead, New Media, bei HubSpot.
Bei Semrush, einer SaaS-Plattform für Online-Sichtbarkeit und Content-Marketing, haben die Verantwortlichen im vergangenen Jahr proaktiv Schritte unternommen, um die Geschlechterquote im Unternehmen, aber auch bei den Bewerbenden auszugleichen. Diese beruhen auf gezielten DEI-Einstellungsstrategien (DEI = Diversity, Equity and Inclusion, auf Deutsch: Vielfalt, Gleichberechtigung und Inklusion) und der Unterstützung des Managements. Das scheint sich auszuzahlen: „Mehr als 40 Prozent der Neueinsteiger im technischen Bereich sind mittlerweile Frauen“, sagt Olga Ignateva, Head of Global Recruitment bei Semrush. „Außerdem streben wir ein Geschlechtergleichgewicht von mindestens 50 Prozent in allen Bereichen des Unternehmens an.“
Geschlechterparität in Führungspositionen? Ein hehres Ziel
In allen Bereichen? Das schließt Führungspositionen ein. Auch beim Werbetechnologie-Unternehmen TripleLift gibt es Frauen in der Führungsetage. „Da wären zum Beispiel Sonja Kristiansen, Chief Business Officer, CFO Joyce Liu oder Kama Ostoya, General Counsel“, zählt Sylwia Iwanejko-Sajewska, Country Manager DACH bei TripleLift, auf. Gleichwohl kann sie ein allgemeines Ungleichgewicht bestätigen: „Der Frauenanteil in Deutschland ist in der Adtech-Branche, die TripleLift vertritt, immer noch sehr niedrig. Gleichberechtigung und Diversität sind in unserem Unternehmen jedoch wichtige Werte.“ Es werde Wert darauf gelegt, Frauen in der Tech-Branche zu helfen, sich weiterzuentwickeln und in ihrer Karriere voranzukommen. TripleLift wurde deswegen im laufenden Jahr in die Liste von Women Impact Tech 100 aufgenommen. Wer auf dieser Liste steht, zeichnet sich durch besonderes Engagement aus, wenn es darum geht, Frauen in der Technologiebranche zu stärken.
Auch HubSpot wird auf dieser Liste aufgeführt, nicht zuletzt aufgrund des hohen Anteils an Frauen in Führungspositionen. „40 Prozent des Vorstands sind Frauen, im Führungsteam der Unternehmensleitung sind es 50 Prozent“, sagt Ben Harmanus. Er räumt aber auch ein, „dass wir uns weiterhin verbessern müssen, beispielsweise beim Frauenanteil in unseren Teams für Softwareentwicklung und Vertrieb.“
Angela Mischnik von Usercentrics erklärt ebenfalls, dass das Unternehmen daran arbeite, „den Frauenanteil weiter zu steigern“. Das gilt sicherlich auch für die Führungspositionen, wobei hier bereits ein Drittel der 36 Führungskräfte weiblich sei. „Und auch im Executive Team haben wir mehrere Frauen – allen voran unsere CEO Donna Dror.“
Eine weibliche CEO hat auch FRAUWENK, eine Hamburger Kommunikationsberatung für Technologie- und Zukunftsunternehmen: Andrea Buzzi, gleichzeitig Gründerin von FRAUWENK. Einen rückwärtsgerichteten Trend hin zu einer stärkeren Männerdominanz bei der Belegschaft kann sie bei ihren Kunden nicht ausmachen. Sie sagt: „Bei uns, wie auch bei unseren Kunden, sehe ich in den letzten Jahren eine starke Fokussierung auf Diversity – und zwar eine echte, gelebte und kommunizierte Haltung. Alle unsere Kunden haben einen ausgewogenen oder sogar hohen Frauenanteil, auch in Führungspositionen.“
Wie ziehen Tech-Unternehmen Frauen an?
Wer verstärkt Frauen einstellen möchte, muss dafür die passenden Strukturen schaffen. Und diese gestaltet jedes Unternehmen anders. „FRAUWENK ist in der DNA ein diverses Unternehmen. Wir unternehmen keine speziellen Maßnahmen, sondern achten im Recruiting vielmehr darauf, dass die Haltung und Werte der Kandidat*innen zu uns als weltoffener Organisation passen“, erklärt Buzzi die Ausrichtung ihrer Agentur.
Größere Unternehmen müssen aber oft andere Wege finden, um Frauen auf sich aufmerksam zu machen und für sich zu gewinnen. Welche sind das? Angela Mischnik von Usercentrics nennt bereits den soliden Frauenanteil im Senior Management Team als Faktor, der es Frauen leichter mache, sich zu bewerben. „Und sicherlich trägt auch die Tatsache, dass wir hybride Arbeitsmodelle anbieten, die den individuellen Lebensumständen entsprechen, zu unserer Attraktivität als Arbeitgeber bei.“
Wer als Unternehmen für Frauen reizvoll bleiben oder werden will, muss dies auch in seiner Strategie deutlich machen. Bei Semrush wurden, wie Olga Ignateva berichtet, „in diesem Jahr offiziell mehrere interne DEI-Gemeinschaften gegründet, darunter Women’s Rights. Wir haben an UNICEF gespendet und Frauen in Ländern mit humanitären Krisen unterstützt, den Monat der Frauenrechte gefördert, acht inspirierende Interviews mit Kolleginnen in Führungspositionen veröffentlicht und ein Mentoring-Programm für Frauen ins Leben gerufen“.
Ben Harmanus von HubSpot sieht die Aufgabe, Frauen in den Tech-Sektor zu bringen, nicht nur bei den jeweiligen Unternehmen selbst. Er gibt zu bedenken: „Diversität müssen wir herbeiführen, im eigenen Interesse. Und mit ,wir’ sind tatsächlich wir alle gemeint. Alle, die ein Netzwerk, Reichweite, Personalverantwortung, Entscheidungsgewalt haben.“ In Beispielen wird er konkret: „Ein Social-Media-Manager kann beeinflussen, welche Gesichter für das Unternehmen stehen. Konferenzveranstalter haben die Verantwortung, ein vielfältiges Programm auf die Beine zu stellen. Es müssen Räume entstehen, in denen Frauen sich sicher fühlen und geschätzt werden. Nicht nur, um dann ausschließlich über Diversität zu sprechen, sondern als Expertinnen, die dazu beitragen, dass Technologien und Narrative sich nicht nur in eine Richtung entwickeln.“
Doch was, wenn all das nicht passiert? Wenn das Thema Diversität im Tagesgeschehen vernachlässigt wird? Wenn es keine Quoten gibt, keine strategischen Pläne und Ideen zur taktischen Umsetzung, keine Quartalsberichte, die den Status quo abbilden? Und wenn in der Folge der Frauenanteil in Unternehmen – und insbesondere in Tech-Unternehmen – sinkt? Harmanus zeichnet für diesen Fall ein düsteres Bild: „Die Alternative ist, dass wir potenziell 50 Prozent der deutschen Bevölkerung als Treiber für Innovation und Wohlstand verlieren. Und das ist etwas, dass wir uns nicht im Ansatz leisten können.“
Auch wenn sich der negative Trend aus der Skillsoft-Studie nicht überall bestätigen lässt, sollten Unternehmen wachsam bleiben. Wenn der Frauenanteil bei ihnen sinkt, sollten sie rechtzeitig gegensteuern. Je höher der Anteil ist, desto reizvoller ist das Unternehmen für weitere Frauen, die sich bewerben möchten. Fehlen solche Anreize, wandern diese Kandidatinnen zur Konkurrenz.
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