Dörthe Schuchardt: Pflege muss ein Herzensprojekt sein
Geschäftsführerin Dörthe Schuchardt vom Pflegedienst Hessen-Süd aus Darmstadt im Interview
Wenn die Unternehmensnachfolge innerhalb der Familie geregelt werden kann, steht häufig viel Herzblut und persönliches Engagement dahinter. So war es auch bei Dörthe Schuchardt, die als Geschäftsführerin des Pflegedienstes Hessen-Süd die Nachfolge ihres Vaters angetreten hat, um das mit viel persönlichem Einsatz gegründete Unternehmen mit Familiensinn und einem Herz für die persönliche Betreuung weiterzuführen.
Der Verband deutscher Unternehmerinnen (VdU) hat im Jahr 2023 den she succeeds award ins Leben gerufen, um erfolgreiche Nachfolgerinnen in bestehenden Unternehmen auszuzeichnen und Alt-Inhaber:innen für ihre unternehmerische Leistung zu würdigen. In 2024 soll der Award zum ersten Mal verliehen werden. Deshalb ist nun genau der richtige Zeitpunkt, um mit erfolgreichen Nachfolgerinnen wie Dörthe Schuchardt ins Gespräch zu kommen. Im Interview gewährt sie Einblicke in ihre tägliche Arbeit und spricht mit uns über ihre persönliche Motivation, mit der sie das Szepter von ihrem Vater übernommen hat.
Frau Schuchardt, seit 2019 sind Sie als Geschäftsführerin des Pflegedienstes Hessen-Süd an die Seite Ihres Vaters getreten. Wie hat sich die Vision Ihres Vaters zu einem Familienunternehmen entwickelt?
Mein Vater hatte sich schon immer mit Leib und Seele der Pflege verschrieben. Seit meiner frühesten Kindheit habe ich ihn als äußerst engagierten und immer persönlich involvierten Betreuer erlebt. Meinen Geschwistern und mir hat er gerne von den vielen schönen Erlebnissen in seinem Beruf erzählt, vor allem von den persönlichen Kontakten mit den Menschen, von ihren Fortschritten und Meilensteinen, auch wenn sie noch so klein waren. Für ihn war immer wichtig, im Blick zu behalten, was möglich ist, und sich nicht nur darauf zu konzentrieren, welche Einschränkungen gerade vorliegen. Diese Einstellung hat er auch auf unser Familienleben übertragen. Das hat mich immer sehr beeindruckt und ich glaube auch in meiner persönlichen Einstellung zum Leben sehr geprägt.
Bis 1996 arbeitete mein Vater auf einer interdisziplinären Intensivstation, einem Ort, an dem einem täglich viele schwere Schicksale begegnen. Wie sehr ihn das persönlich manchmal belastet hat, hat er vor allem mit unserer Mutter geteilt. Für uns waren die hoffnungsvollen Geschichten vorbehalten. Diese Fähigkeit, auch schwierigen Lebenssituationen etwas Positives abzugewinnen und erwartungsfroh in die Zukunft zu blicken, hat auch bei mir den Wunsch ausgelöst, einen Beitrag zu dieser Vision zu leisten.
Irgendwann entschied sich Ihr Vater, beruflich neue Wege zu gehen …
Den Traum, einen eigenen Pflegedienst zu gründen, hegte mein Vater schon länger. Gemeinsam mit einer Kollegin, die zu diesem Zeitpunkt auf der internistisch-onkologischen Station im gleichen Krankenhaus tätig war, machte er aus seinem Traum Wirklichkeit. Am 1. Oktober 1996 wurde der Pflegedienst Hessen-Süd als GbR ins Leben gerufen.
Anfangs war das ziemlich abenteuerlich, denn die ersten Räumlichkeiten für ihren Pflegedienst fanden die beiden in der Garage meines Elternhauses in Gräfenhausen. Das war nichts auf lange Sicht, denn ein Pflegedienst muss für die Menschen auch sichtbar und erreichbar sein, damit der Kundenstamm wachsen kann. In Darmstadt-Bessungen zogen mein Vater und seine Geschäftspartnerin damals in ihre ersten richtigen Büroräume ein und konnten mit ihrem Pflegedienst nun richtig durchstarten.
Wie hat sich das Unternehmen seitdem entwickelt?
Das kann man eigentlich nur als rasant beschreiben. Der Bedarf an guter, persönlicher Pflege ist enorm und so sahen sich mein Vater und seine Partnerin schnell neben einem festen Kundenstamm einer wahren Flut von Anfragen gegenüber, die sie kaum noch bewältigen konnten. Glücklicherweise fanden sie schnell fähige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die ihre Vision von einer besonders menschlichen, persönlichen und nahen Betreuung teilten.
2002 stand dann der Umzug neue Räumlichkeiten in der Walther-Rathenau-Straße in Darmstadt-Eberstadt an. Dort war es besser möglich, den umfangreichen Anforderungen der Kundinnen und Kunden und den Qualitätsansprüchen der Mitarbeitenden gerecht zu werden. Ein Pflegedienst ist immer nur so gut wie seine Angestellten. Wenn die Leitung ihnen alles zur Verfügung stellen kann, was sie für eine optimale Pflegeleistung brauchen, kommt das auch bei den Pflegebedürftigen an.
Da die Resonanz auf die angebotenen Pflegeleistungen so positiv war, entschloss sich mein Vater, das Spektrum zu erweitern und zusätzliche Dienstleistungen mit aufzunehmen. Das erforderte weiteres Fachpersonal, denn eine gleichbleibende Qualität stand für ihn immer an erster Stelle. Im Mai 2007 erfolgte aufgrund der massiven Expansion ein weiterer Umzug, diesmal in das Einkaufszentrum Thüringer Straße in Darmstadt-Eberstadt. Hier konnten Kundinnen und Kunden uns endlich im Erdgeschoss barrierefrei erreichen und die Räumlichkeiten boten zusätzliche Fläche für Büroräume in darüberliegenden Stockwerk.
Diese Bereiche auch räumlich voneinander trennen zu können, brachte viel Ruhe und Organisation in den Alltag. Und schließlich gab uns das Mehr an Platz auch die Möglichkeit, unser Angebot noch stärker zu erweitern und zusätzlich Vorträge und Seminare für die Öffentlichkeit anzubieten. Ein Service, der sehr gut angenommen wurde und unser Dienstleistungspaket komplettierte.
Frau Schuchardt, wie würden Sie Ihren eigenen Werdegang im Unternehmen skizzieren?
Ich bin als älteste Tochter 2013 ins Unternehmen eingestiegen und habe vor allem organisatorisch unterstützt. Es war für mich eine positive Erfahrung, mitzuerleben, wie im Team alle gemeinsam an der Vision meines Vaters arbeiten und wie viel positives Feedback wir für unser persönliches Engagement von den Kundinnen und Kunden, von den Angehörigen und von den öffentlichen Stellen erhalten haben, mit denen wir im Zuge unserer Tätigkeit zusammengearbeitet haben. Es war schön, zu sehen, dass es eben doch einen Unterschied macht, mit Herzblut bei der Sache zu sein und jede Person individuell zu betrachten.
2015 übernahm ich die Prokura und konnte so noch umfangreicher unterstützen. Seit 2019 stehe ich nun als Geschäftsführerin an der Seite meines Vaters. Ich habe mir Zeit genommen, in meine Aufgaben hineinzuwachsen und nach und nach herauszufinden, wie ich mit meinen persönlichen Stärken das Team am besten unterstützen kann. Ich wollte meinen eigenen Weg finden und mit meinem Engagement täglich einen Unterschied machen. Es tat gut, damit auf so viel positives Feedback zu stoßen.
Heute ist es mir besonders wichtig, präsent bei unseren Mitarbeitenden zu sein und eine Kultur zu etablieren, in der wir diese Nähe auch unseren Kundinnen und Kunden vermitteln. Ich bin bewusst direkte Ansprechpartnerin für alle Bereiche und möchte der Betreuung ein Gesicht geben, eine Stimme und eine Person, die sich persönlich verantwortlich fühlt. Auch wenn mein Fokus aufgrund meiner Ausbildung nicht im pflegerischen Bereich liegt, sondern vor allem der Entwicklung der Mitarbeitenden und des Unternehmens dient: wer Nähe und Vertrauen vermitteln möchte, kann das nicht nur von einem Bürostuhl im Backoffice aus tun. In unserer Branche müssen wir nah ran an die Menschen und sie in all ihrer Individualität annehmen. Das ist es auch, was meine Tätigkeit so erfüllend macht.
Worin sehen Sie persönlich die große Stärke Ihres Unternehmens?
Auf diese Frage gibt es meiner Meinung nach zwei Antworten. Da ist zunächst unser unbedingter Anspruch, unseren Kundinnen und Kunden persönliche Nähe zu vermitteln. Unser Motto „Immer in Ihrer Nähe“ nehmen wir sehr wörtlich und richten uns auch in den vielen kleinen Dingen des Arbeitsalltags danach. Wir haben mehrere Anlaufstellen für den persönlichen Kontakt eingerichtet, sodass wir immer schnell und ohne große Wege erreichbar sein können. Darüber hinaus haben wir innerhalb der Organisation klare Aufgabenteilungen vorgenommen, sodass für alle Kundinnen und Kunden sowie ihre Angehörigen immer jemand zuständig sein kann, der sich mit seinem Know-how und seinen persönlichen Fähigkeiten optimal auf die Bedürfnisse einstellen kann. Dass dies organisatorisch auch mal herausfordernd sein kann, dürfte sich von selbst verstehen.
Die zweite Säule unseres Erfolgs ist nach meiner Ansicht das breite Spektrum an Dienstleistungen rund um die Pflege, die wir in einem Haus vereinen. Wir bieten neben der Grundpflege nach SGB XI, der ambulanten Pflege im häuslichen Umfeld und der 24-Stunden-Bereitschaft auch Hauswirtschaftsdienste und eine ambulante Familienpflege für die Zeit zum Beispiel nach einer Operation oder schwerwiegenden Therapie, wenn die alltäglichen Alltagsaufgaben vorübergehend nicht allein bewältigt werden können. Unsere Kundinnen und Kunden profitieren auch von unserem mobilen Friseurdienst. Außerdem versorgen wir sie auf Wunsch mit Pflegehilfsmitteln und Verbrauchsmaterial und bieten Schulungen und Seminare für Angehörige und andere Interessierte in unseren eigenen Räumlichkeiten an.
Ein besonders spannendes Projekt, für das wir viel positive Resonanz bekommen, ist die Betreuung von regionalen Demenz-Wohngemeinschaften, in denen unser geschultes Pflegepersonal die dort lebenden Menschen dabei unterstützt, einen möglichst selbstbestimmen Alltag zu gestalten und ihr Leben mit einem Höchstmaß an Würde und Lebensqualität zu genießen.
Was würden Sie Frauen mit auf den Weg geben, die ihren Weg über eine Unternehmensnachfolge wählen?
Ich möchte den Frauen Mut machen, die Unternehmensnachfolge nicht nur als ein „in die Fußstapfen treten“ zu betrachten, sondern als Möglichkeit, die bestehenden Unternehmensstrukturen durch ihre eigenen, ganz persönlichen Fähigkeiten zu bereichern und aktiv mitzugestalten. Wie in jeder Nachfolgesituation ist das ein Weg mit Höhen und Tiefen. Um so manchen Missverständnissen begegnen zu können, erfordert es viel Geduld und regelmäßige Kommunikation.
Ich selbst hatte das Glück, die Vision meines Vaters immer auf Augenhöhe mittragen zu dürfen, eigene Ideen einzubringen und so einen individuellen Beitrag zu etwas zu leisten, das immer im Wachstum und in der Veränderung begriffen war.
Eine Unternehmensnachfolge muss kein vorgefertigter Weg sein. Es ist immer möglich, mit viel Herzblut und persönlichem Engagement den Weg selbst zu gestalten, ihm eine neue Richtung zu geben und sich selbst zu verwirklichen.
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