Aktuelles

Deutscher Frauenrat kritisiert Gesetzentwurf zur Erhöhung der Verdienstgrenze bei Minijobs

Veröffentlicht vom Deutschen Frauenrat

Der vorliegende Referentenentwurf eines Zweiten Gesetzes zu Änderungen im Bereich der geringfügigen Beschäftigung sieht im Zusammenhang mit der Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns auf 12 Euro eine Erhöhung der Geringfügigkeitsgrenze auf 520 Euro monatlich für Minijobs vor. Diese Höhe ist orientiert an einer Wochenarbeitszeit von 10 Stunden und soll zukünftig dynamisch ausgestaltet sein: Steigt der gesetzliche Mindestlohn, steigt automatisch die Einkommensgrenze bei den Minijobs.

Zugleich sollen Maßnahmen getroffen werden, die die Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung fördern und helfen zu verhindern, dass Minijobs als Ersatz für reguläre Arbeitsverhältnisse missbraucht werden. Auch die Verdienstgrenze bei Midijobs soll von 1.300 auf 1.600 Euro im Monat steigen.

Minijobs als Sonderform der Beschäftigung

Der Deutsche Frauenrat (DF) hält an seiner Forderung fest, Minijobs als Sonderform der Beschäftigung aufzugeben und in die Systeme der sozialen Sicherung zu überführen. Er lehnt das Vorhaben der Bundesregierung zur Erhöhung der Geringfügigkeitsgrenze ab. Die geplante Ausweitung und strukturelle Stärkung der Minijobs ist ein gleichstellungspolitischer Rückschritt, der die Bemühungen zur Gleichstellung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt konterkariert. Mit zwei Dritteln machen Frauen den größten Anteil der Minijobber*innen in Deutschland aus, oft mit verheerenden Folgen für ihre Erwerbsbiografie und ihre Altersvorsorge.

Die im Referentenentwurf dokumentierte gleichstellungspolitische Gesetzesfolgenabschätzung erkennt zwar an, dass mehrheitlich Frauen von der geplanten Änderung betroffen sein werden, bleibt aber ansonsten weit hinter den allseits bekannten Erkenntnissen zu den Auswirkungen für Frauen zurück und verschweigt die negativen Gesetzesfolgen.

In aller Deutlichkeit betont der DF, dass eine Erhöhung der Verdienstgrenze bei den Minijobs die Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen sowie die geschlechtsspezifische, ungleiche Verteilung der Erwerbs- und Sorgearbeit manifestiert, statt dieser entgegenzuwirken. Der DF bedankt sich für die Gelegenheit zum vorliegenden Referentenentwurf Stellung zu nehmen und bewertet im Folgenden ausgewählte Inhalte.

Absicherung statt Ausweitung

Nicht nur sind Minijobs als „Zuverdienst“ weder sozial abgesichert noch existenzsichernd und tragen zur finanziellen Abhängigkeit von (Ehe)Partner*innen bei, sie sind darüber hinaus auch steuerfrei und verstärken dadurch den Steuervorteil des Ehegattensplittings. Deswegen stellen Minijobs in Kombination mit dem Ehegattensplitting und der beitragsfreien Mitversicherung in der gesetzlichen Krankenkasse einen starken Fehlanreiz für Ehepaare dar: Zu oft verzichten Ehefrauen auf eine eigene existenzsichernde Erwerbtätigkeit zugunsten der Übernahme der unbezahlten Sorge- und Hausarbeit.

Insbesondere in der Corona-Pandemie hat sich gezeigt, dass die Folgen oft dramatisch sind: Ohne Beiträge zur Arbeitslosenversicherung besteht kein Anspruch auf Kurzarbeitsgeld, Arbeitslosengeld oder Krankengeld. Dies befördert den Weg in Armut oder Abhängigkeit vom Partner und verstärkt die Einkommensunterschiede zwischen Männern und Frauen sowie die geschlechtsspezifische ungleiche Verteilung der Erwerbs- und Sorgearbeit. Bei der Entscheidung der Frauen für einen Minijob – und gleichzeitiger Vollzeittätigkeit des Partners – handelt es sich nur scheinbar um eine „freie“ Wahl. Oftmals stecken dahinter strukturelle Zwänge, wie fehlende Möglichkeiten der Kinderbetreuung und mangelndes Familienbewusstsein bei Arbeitgeber*innen. Darüber hinaus sind geringfügig Beschäftigte beim Zugang zu betrieblich-beruflichen Weiterbildungen deutlich benachteiligt. 1 Die auf Paarebene gewählte Lösung birgt dabei vor allem für Frauen Risiken. Besonders nach einer Trennung, bei Krankheit oder Tod des Partners wirken sich diese Risiken nachhaltig negativ für Frauen aus, vor allem für Alleinerziehende. Der Weg in eine existenzsichernde Berufstätigkeit ist schwer und die Aussichten auf eine auskömmliche Rente sind schlecht.

Wie schon das Sachverständigengutachten für den zweiten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung ausführlich darlegte, sind Minijobs gleichstellungspolitisch kontraproduktiv. Die Sachverständigenkommission empfahl sowohl die Besteuerung von Einkommen aus geringfügiger Beschäftigung als auch die Einführung einer Sozialversicherungspflicht. 2 Die geplante Ausweitung von Minijobs über die Anhebung der Verdienstgrenze und ihre Dynamisierung wäre eine fatale Entscheidung, die das Ziel konterkariert, wirtschaftliche Unabhängigkeit von Partner*innen zu stärken und die ökonomische Gleichstellung von Frauen und Männern zu erreichen.

Armutsfalle für Frauen in der Rente

Die Prüfung der gleichstellungspolitischen Auswirkungen des Gesetzes zu Änderungen im Bereich der geringfügigen Beschäftigung hat laut Referentenentwurf folgendes ergeben: „Die geringfügig entlohnte Beschäftigung wird überwiegend von Frauen ausgeübt. Die Förderung des Übergangs in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung verbessert daher insbesondere die Altersvorsorge von Frauen.“ Warum eine erhöhte Verdienstgrenze für geringfügige Beschäftigung den Übergang in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung erhöhen sollte, erschließt sich dem DF nicht. Vielmehr ist wissenschaftlich erwiesen, dass Minijobs eben keine „Brückenfunktion“ in den regulären Arbeitsmarkt erfüllen, wie bei ihrer Einführung angenommen.3 Wie oben ausgeführt, werden Minijobs – besonders für Frauen – schnell zur Altersarmutsfalle. Seit 2013 sind Minijobs in der gesetzlichen Rentenversicherung zwar pflichtversichert, aber: „Um Abzüge zu vermeiden, lassen sich trotzdem mehr als 80 Prozent aller Minijobber*innen von der Versicherungspflicht befreien. Sie verzichten damit aber nicht nur auf höhere Rentenanwartschaften, sondern auch auf weitere wichtige Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung.“4 Unterhalb der Einkommensgrenze wird es vermutlich dabei bleiben. Daran rüttelt die geplante Entlastung bei den Abzügen im Übergangbereich oberhalb der Einkommensgrenze für Minijobs wenig.

Minijobs in die Systeme der sozialen Sicherung

Der DF fordert die Überführung der Minijobs in die Systeme der sozialen Sicherung, wie es die Wahlprogramme von SPD und Bündnis 90/DIE GRÜNEN zur Bundestagswahl in Aussicht stellen. Die Anhebung und Dynamisierung der Minijobgrenze hat negative gleichstellungspolitische Folgen und verstärkt daher bestehende Fehlanreize, statt sie zu überwinden.

Über den Deutschen Frauenrat
Der Deutsche Frauenrat, Dachverband von rund 60 bundesweit aktiven Frauenorganisationen, ist die größte frauen- und gleichstellungspolitische Interessenvertretung in Deutschland. Wir sind die starke Stimme für Frauen. Wir vertreten Frauen aus Berufs-, sozial-, gesellschafts- und frauenrechtspolitischen Verbänden, aus Parteien, Gewerkschaften, aus den Kirchen, aus Sport, Kultur, Medien und Wirtschaft. Wir engagieren uns für die Rechte von Frauen in Deutschland, in der Europäischen Union und in den Vereinten Nationen. Unser Ziel ist die rechtliche und faktische Gleichstellung von Frauen und Männern in allen Lebensbereichen. Wir setzen uns für einen geschlechterdemokratischen Wandel ein und für eine gerechte und lebenswerte Welt für alle.

Vorheriger Beitrag

Woher nehmen, wenn nicht stehlen? Corona stellt HR-Management vor Herausforderungen

Nächster Beitrag

Weil Mitbestimmung vor Ort anfängt: mehr Frauen in die Kommunalpolitik!