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Deutscher Frauenrat: Stellungnahme zum Vereinbarkeitsrichtlinienumsetzungsgesetz

Veröffentlicht vom Deutschen Frauenrat

Sorgearbeit muss zwischen den Geschlechtern umverteilt werden. Frauen und Männer müssen in allen Lebenslagen Erwerbs- und Sorgearbeit verbinden können. Dafür müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, die ein partnerschaftliches Erwerbs- und Sorge-Arrangement ermöglichen. Dies gilt in der CoronaKrise erst recht. Der Deutsche Frauenrat (DF) begrüßt daher den vorliegenden Referentenentwurf des BMFSFJ zur Umsetzung der EU-Richtlinie 2019/1158 zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige, sieht aber deutlich mehr Gestaltungsbedarf. Kritisch bewertet der DF, dass dieser keine Übernahme der Vaterschaftsfreistellung in nationales Recht vorsieht. Ein wichtiges Instrument zur Förderung der gleichberechtigten Arbeitsteilung in Paarhaushalten. Der DF bekräftigt seine Forderung nach Einführung einer bezahlten Freistellung für Väter und Co-Mütter rund um die Geburt. Eine solche Freistellung soll mindestens zwei Wochen innerhalb der ersten 30 Tage nach der Geburt möglich sein und analog zum Elterngeld aus Steuermitteln finanziert werden.

Partnerschaftlichkeit ist das Ziel

Im Rahmen der EU-Ratsschlussfolgerungen zum Thema „Bekämpfung des geschlechtsspezifischen Verdienstgefälles: Bewertung und Aufteilung von bezahlter Arbeit und unbezahlter Betreuungs-, Pflege- und Hausarbeit“ vom Dezember 2020 als auch in ihrer Stellungnahme zum Neunten Familienbericht in 20212 sowie im aktuellen Koalitionsvertrag hat sich die Bundesregierung verpflichtet, partnerschaftliche Arbeitsteilung von Eltern und pflegenden Angehörigen zu stärken.

Denn noch sind es insbesondere Frauen, die zu Lasten ihres Berufes Kinder und pflegebedürftige Angehörige betreuen. Mit den bekannten Folgen. Der Gender Care Gap liegt bei 52 Prozent, in Paarhaushalten mit Kindern liegt er sogar bei 83 Prozent. Diese Sorgelücke steht in direktem Zusammenhang mit dem Gender Pay Gap und dem Gender Lifetime Earning Gap.

Eine Rollenverteilung, die die Corona-Krise weiter zementiert hat. Das muss sich ändern. Der DF geht, auf Grundlage aktueller Zahlen des DIW und WSI, davon aus, dass sich die Sorgelücke im Zuge der Pandemie im Durchschnitt noch vergrößert.6 Die sich im Nachgang der Krise vergrößernden Gender Gaps müssen effektiv durchbrochen werden, damit Frauen und Männern in allen Lebensbereichen gerechte Teilhabechancen offenstehen.

Sorgearbeit umverteilen

Gleichstellung in der Übernahme von Sorgearbeit kann nur mit einer erhöhten Beteiligung von Männern gelingen. Dieses Ziel muss im Fokus einer progressiven und gleichstellungsorientierten Familienpolitik der Bundesregierung in und nach der Corona-Pandemie stehen. Dafür müssen Maßnahmen ergriffen werden, die sich kurzfristig im gelebten Alltag auswirken. Die Umsetzung der EU-Richtlinie 2019/1158 zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige durch die Bundesregierung in nationales Recht kann einen wichtigen Beitrag dazu leisten – wenn diese richtig ausgestaltet wird.

Freistellung für Väter und Co-Mütter rund um die Geburt

Umso bedauerlicher ist es, dass die von der EU-Richtlinie 2019/1158 in Art. 4 vorgesehene Einführung eines Rechts auf Vaterschaftsfreistellung sich nicht im aktuellen Referentenentwurf wieder findet. Damit bleibt die Bundesregierung hinter den Anforderungen der EU-Vereinbarkeits-Richtlinie zurück. Im EU-Vergleich zeigt sich, dass in anderen Ländern bereits Freistellungen für Väter parallel zu Elterngeld- und Elternzeitgesetzen bestehen. Dabei verweisen wir auch auf das vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) beauftragte Rechtsgutachten von Prof. Treichel. Dieses Gutachten kommt zu dem Schluss, dass die in Deutschland bestehenden Regelungen zu Elternzeit und Elterngeld nicht hinreichend sind, um den Anforderungen der EU-Richtlinie 2019/1158 bezüglich der Freistellung des zweiten Elternteils gerecht zu werden.

Ein zweiwöchiger Anspruch auf Freistellung mit Lohnersatz nach der Geburt für Väter und Co-Mütter trägt mittelbar zur unabhängigen Existenzsicherung von Frauen bei. Sie setzt einen deutlichen Anreiz dafür, dass Väter sich langfristig stärker in den Familien engagieren. Dies würde einen Kulturwandel bewirken, durch den die Zuständigkeit von Vätern und Co-Müttern gesellschaftlich und insbesondere in der Wirtschaft nicht mehr hinterfragt würden. Leistungen wie das Elterngeld, die sich an Väter richten, tragen dazu bei, Änderungen in geschlechtsstereotypen Vorstellungen und Normen zu bewirken und einen Rollenwechsel in der Erziehung und Betreuung von Kindern anzuregen, stellte die Sachverständigenkommission für den Neunten Familienbericht der Bundesregierung fest.

Potentiale nutzen

Die EU-Richtlinie 2019/1158 bietet nicht nur mit Blick auf die Frage der Vaterschaftsfreistellung wesentlich mehr gleichstellungs- und familienpolitisches Gestaltungspotenzial für die Bundesregierung. Auch bei den angestrebten Veränderungen im Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG), Pflegezeitgesetz (PflegeZG) und Familienpflegezeitgesetz (FPfZG) setzt sich der DF für größere Schritte zur geschlechtergerechten Verteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit von Eltern und pflegenden Angehörigen ein.

Dazu gehört aus Sicht des DF im Falle von PflegeZG und FPfZG die rechtliche Gleichstellung aller Beschäftigten unabhängig von der Größe des Betriebes, in dem sie arbeiten. Denn Frauen sind besonders häufig in kleinen Unternehmen beschäftigt und sie stemmen zugleich die Hauptlast der Pflege. Der vorliegende Referentenentwurf sieht vor, dass pflegende Beschäftigte im Rahmen des PflegeZG oder FPfZG einen Antrag stellen können, um befristet ihre Arbeitszeit zu reduzieren oder sich freistellen zu lassen. Der Arbeitgeber kann binnen einer Frist von vier Wochen diesen begründet ablehnen. Positiv bewertet der DF, dass die bisherigen Schwellenwerte für Betriebsgrößen wegfallen. Kritisch bleibt, dass keine qualitativen Kriterien festgelegt werden, die der Arbeitgeber bei der Begründung seiner Ablehnung darlegen muss. Darüber hinaus löst eine etwaige Begründung durch den Arbeitgeber für die Betroffenen nicht das Problem, Pflege- und Erwerbsarbeit strukturell nicht miteinander vereinbaren zu können.

Die Realität der Betroffenen macht den politischen Handlungsdruck deutlich. Darum bekräftigt der DF seine Forderung nach einer schnellen Umsetzung der im Koalitionsvertrag vorgesehenen Entgeltersatzleistung für pflegende Beschäftigte. Eine weitere wichtige Stellschraube für progressive Gleichstellungs- und Familienpolitik in und nach der Corona-Krise.

Darüber hinaus und in Ergänzung der häuslichen Pflege durch Angehörige muss der parallele Ausbau der notwendigen Infrastruktur und Finanzierung professioneller Pflege vorangetrieben werden. Denn es sind insbesondere pflegende Frauen, die ihre Arbeitszeit reduzieren oder ihre Erwerbstätigkeit komplett aufgeben, wie oben bereits erläutert. Das geht zu Lasten ihrer unabhängigen wirtschaftlichen Absicherung bis hin zur Rente. Damit Rückschritte in der Gleichstellung jetzt verhindert werden, müssen wirksame staatliche Maßnahmen entgegenwirken.

Deutscher Frauenrat
Der Deutsche Frauenrat, Dachverband von rund 60 bundesweit aktiven Frauenorganisationen, ist die größte frauen- und gleichstellungspolitische Interessenvertretung in Deutschland. Wir sind die starke Stimme für Frauen. Wir vertreten Frauen aus Berufs-, sozial-, gesellschafts- und frauenrechtspolitischen Verbänden, aus Parteien, Gewerkschaften, aus den Kirchen, aus Sport, Kultur, Medien und Wirtschaft. Wir engagieren uns für die Rechte von Frauen in Deutschland, in der Europäischen Union und in den Vereinten Nationen. Unser Ziel ist die rechtliche und faktische Gleichstellung von Frauen und Männern in allen Lebensbereichen. Wir setzen uns für einen geschlechterdemokratischen Wandel ein und für eine gerechte und lebenswerte Welt für alle.

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