Diversität

Bettina Wendl: Der Vertrieb muss „weiblicher“ werden

Bettina Wendl ist Managerin Customer Success bei Showpad. Damit ist Sie eine von knapp 28 Prozent Frauen im technischen Vertrieb, wie verschiedene Studien weltweit zeigen (Australien, US). Wieso es Zeit ist, diese Quote zu erhöhen und wie Unternehmen das erreichen können, erzählt Sie in einem Interview.

Steigen wir doch direkt im Kern des Ganzen ein: Warum haben wir denn so wenige Frauen im Vertrieb? 

Ich denke das liegt an dem veralteten Image, welches das Wort „Vertriebler“ mit sich bringt. Das Bild eines Mannes im Anzug, der von Haustür zu Haustür läuft und versucht seine Staubsauger zu verkaufen. Natürlich ist den Menschen bewusst, dass das wahrscheinlich schon lange nicht mehr der Fall ist, doch unterbewusst beeinflusst es Bewerberinnen wahrscheinlich immer noch. 

Wenn das Bild veraltet ist, wie würden Sie denn den Vertriebsmitarbeiter von heute beschreiben?  

Der Vertrieb ist heute nicht mehr „draußen bei den Kunden“. Von Haustür zu Haustür zu gehen, um Produkte zu verkaufen oder Nummern aus dem Telefonbuch anzurufen und hoffen, dass das Gegenüber Interesse zeigen, ist nicht mehr zeitgemäß. Kunden gewinnen wir heute zum Beispiel durch die Erstellung von relevanten Inhalten auf einschlägigen Plattformen. Durch die Nutzung moderner Technologien und Tools können wir zudem mit geringerem Zeitaufwand passende Angebote erstellen. Neben Außen- und Innendienst zählen heute also auch die Nutzung von Technologien, Marketing, Qualitätsmanagement, Entwicklung, Finanzen und Management zu den Aufgaben im Vertrieb. Auch die Kunden selbst entwickeln sich stets weiter. Mit dem Internet und Informationsüberfluss sind sie teilweise ähnlich gut informiert, wie die Mitarbeitenden im Vertrieb selbst. Das reine Fachwissen, auf das seit Jahren gesetzt wurde, reicht nicht mehr aus.

Wie kommen denn jetzt die Frauen ins Spiel? 

Gemischte Teams funktionieren besser. Dazu gibt es genügend Studien (Diversity Studie 2018; Delivering through Diversity), die das belegen. Auch im Vertrieb wurde das bereits bestätigt. Vertriebsteams, welche von Frauen geführt werden, gelten als generell erfolgreicher. Auch zeigt sich, dass bei der Kundenakquise Vertriebsmitarbeiterinnen deutlich öfter zu Verkaufsterminen eingeladen werden, als ihre männlichen Kollegen. Frauen gelten als empathischer und geduldiger. Oft wird gesagt, dass sie besser zuhören können, kompromissfähiger sind und besser darin Konflikte zu lösen. Auch Einfühlungsvermögen wird häufig als „weibliche“ Eigenschaft genannt. Genau das sind die Eigenschaften, die in rein männlichen Vertriebsteams oft fehlen. Das lässt sich in der Praxis nicht so einfach runterbrechen und es gibt genauso Fakten-Frauen, wie Empathie-Männer. Sicher ist jedoch, dass es nicht mehr ausreicht ein Vertriebsteam nur mit Faktenspezialisten zu besetzen. Es braucht Kunden- und Beziehungsexperten, um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben.

Weibliche Bewerberinnen rennen dem Vertrieb ja nicht gerade die Türen ein. Was würden Sie sagen, sind Ansätze, um mehr Frauen in den Vertrieb zu holen?  

Sprecht sie bereits mit der Stellenausschreibung direkt an. Der Jobtitel muss gesetzlich ohnehin alle Geschlechter ansprechen. Doch auch hier macht es beispielsweise einen Unterschied, ob ich einen „Vertriebsleiter (m/w/d)“ suche oder eine „Vertriebsleitung (m/w/d)“. Natürlich sind bei beiden Bezeichnungen alle männlichen, weiblichen und diversen Interessenten gemeint, aber eine neutrale Jobbezeichnung differenziert sich etwas von dem klassischen Image des Vertriebsmitarbeiters. Auch durch bestimmte Schlüsselbegriffe oder auch „Gender Codes“ kann man Bewerberinnen anziehen. Frauen lassen sich auch häufiger von männlich geprägten Attributen verunsichern, während männliche Bewerber diese Begriffsprägung kaum wahrnehmen. Das heißt es kann bereits helfen statt zum Beispiel „direkt“ „ehrlich“ zu schreiben. Indem also weiblich geprägte Attribute in Stellenanzeigen genutzt werden und stark männliche ersetzen, kann die Anzahl an Bewerberinnen bereits deutlich erhöht werden, ohne männliche Bewerber zu verlieren.

Allein die Begrifflichkeiten können also bereits beeinflussen, ob sich mehr Frauen bewerben. Was könnte ein Unternehmen noch tun, um Ihnen zu zeigen, dass sie aktiv Frauen im Vertrieb wollen? 

Man muss Vorbilder schaffen. Nur knapp ein Viertel der Mitarbeitenden im technischen Vertrieb weltweit sind weiblich und von diesen sind nur 12 Prozent in Führungspositionen. Wenn eine Kandidatin auf die Website geht und sieht, dass ausschließlich Männer oder nur eine Frau die Führungspositionen besetzen, suggeriert das eher schlechte Aufstiegschancen für das weibliche Geschlecht. Auch Sätze wie. „Wir hatten noch nie eine Frau in dieser Position“ helfen nicht gerade dabei, Frauen lange im Job zu halten. Vorbilder zu schaffen ist ein großer Schritt, um Frauen zu zeigen, dass sie willkommen sind und Karrierechancen haben. Natürlich wird nicht von Unternehmen erwartet, dass sie jetzt einfach irgendwen in die Führungsebene holen. Die grundlegenden Anforderungen, Erwartungen und Ziele des Unternehmens müssen erfüllt sein. Doch die Zeiten, in denen das Geschlecht dabei noch eine Rolle gespielt hat, sind vorbei. Es wird Zeit, dass wir das auch im Vertrieb lernen.

Nehmen wir an, es wurde eine Mitarbeiterin gefunden, welche perfekt zu den Anforderungen und Wunschvorstellungen passt. Wie können Unternehmen dafür sorgen, dass sie bleibt?  

Neben Chancengleichheit in Bezug auf Aufstiegsmöglichkeiten und gleicher Bezahlung wie ihre männlichen Kollegen mit der gleichen Jobbezeichnung, oder? Ein Weg, der selbstverständlich sein sollte, ist es ein angenehmes Arbeitsumfeld zu schaffen. Vor allem in männerdominierten Berufen ist dies für Frauen leider nicht automatisch gegeben. Es werden in manchen Unternehmen immer noch Kosenamen, wie „Kleine“ oder „Schätzchen“ verwendet oder Äußerungen in Meetings so lange übergangen, bis ein Mann sie wiederholt. Solche Situationen müssen angesprochen werden. Aus persönlicher Erfahrung weiß ich, dass es anderen oftmals nicht auffällt und erst durch den Hinweis bewusst wird. Wenn es gut läuft, ändert sich die Situation und wenn es schlecht läuft, wird die Problematik heruntergespielt und die Betroffene als sensibel bezeichnet. Es muss ein Umfeld geschaffen werden, in dem sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wohlfühlen und Diskriminierungsvorfälle ernstgenommen wird. Auch die Kollegen könnten ab und zu einmal ihr Umfeld auf Fehlverhalten hinweisen, das würde bereits viel ändern.

Haben Sie zum Schluss noch einen Rat an alle Frauen, oder auch Männer, die überlegen den Weg in den Vertrieb einzuschlagen?  

Verstellt euch nicht und lasst euch nicht einschüchtern. Besonders als Frau hat man schnell das Gefühl sich anpassen zu müssen und Sprüche und Kommentare auszuhalten, um ernstgenommen zu werden. Aber das muss nicht sein. Es wird Zeit, dass der Vertrieb lernt, dass Diversität eine Stärke ist und „weibliche“ Eigenschaften langfristig die Kundenbeziehungen und somit auch das Geschäft verbessern. Es ist Zeit, dass wir den klassischen Vertriebsmitarbeiter hinter uns lassen. Mir persönlich wollte noch nie jemand Staubsauger an der Haustür verkaufen. Doch sollte es jemals passieren, würde ich mich freuen, wenn es eine Frau wäre.

Vielen Dank für das Gespräch!

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