Digitalisierung

Frauen prägen die digitale Welt – wir müssen (mehr) darüber sprechen

Von Christiane Noll, Geschäftsführerin der Avanade Österreich GmbH

Inspirieren und ermutigen: Buch- und Herzensprojekt IT-Girls

Einer dieser großen Technologiekongresse in Wien gab den Anstoß: 70 Vortragende, davon – mich eingerechnet – sieben Frauen, und das im 21. Jahrhundert. Die Erklärung des Veranstalters: „Es gibt ja keine Frauen.“ Dabei war das damals schon nicht richtig, es gab und gibt sie, wenn auch nicht genug. Das Buch „IT-Girls“ erzählt einige der beeindruckenden Geschichten von Frauen in der digitalen Welt, und es soll dazu beitragen, dass es noch viel mehr werden.

So viele beeindruckende Leistungen und Karrieren haben viel zu lange, viel zu wenig Würdigung erfahren. Ada Lovelace, die – inzwischen! – weltbekannte Pionierin der Programmierung, ist ein wunderbares Beispiel dafür, wie wenig Bühne eines der größten Technologietalente des letzten Jahrhunderts bekommen hat. Und es gibt viele weitere, wie etwa die NASA-Mathematikerin Margaret Hamilton, die für Leitung der Programmierung sämtlicher Systeme an Bord der Apollo-Raumkapseln zuständig war. 1969 wurde sie neben einem wackeligen Turm bedruckter Seiten fotografiert – ein Stapel, so hoch wie sie selbst, bestehend aus dem Code der Apollo-Software. Mary Kenneth Keller als Mitentwicklerin der Programmiersprache „BASIC“, die Compiler-Spezialistin France Ellen, die Software-Entwicklerin und „Mutter des Internets“ Radia Perlman … die Liste ließe sich recht lange fortsetzen.

Das gilt auch für Europa und den deutschsprachigen Raum. Und es gilt zum Glück bei weitem nicht nur für die Vergangenheit: Gerade jetzt, in diesem Augenblick, engagieren sich mutige, innovative Frauen in und für technologisch komplexe Aufgaben. Das Buch IT-Girls weiß über einige von ihnen zu berichten, über ihre persönlichen Geschichten, Herausforderungen und Ressentiments – wie zum Beispiel die über Dr. Sophie Chung, die vom Medizinstudium samt Sinologie und Philosophie mit dem Ziel „Ärzte ohne Grenzen“ über den „Umweg“ McKinsey zur eigenen Software-Firma gekommen ist; ihre Story ist sicher besonders beeindruckend, denn sie vermittelt klar und entschlossen, ihr Gründerinnen-Mindset. Einblicke wie dieser sollen einerseits zeigen, dass es sich lohnt, gegen Widerstände anzukämpfen. Sie sollen aber vor allem einen Beitrag leisten, dass mehr Frauen den Einstieg in die spannende und innovative Welt der Digitalisierung finden. Es geht um Veränderungen für mehr Gerechtigkeit.

Diversität lohnt sich für alle

Denn eine unzureichende Präsenz von Frauen in technischen Berufen ist ein multidimensionales Problem. Im Übrigen soll hierbei Diversität nicht auf Frauen fokussiert werden – die Vielfalt muss in ihrer Gänze in der Gesellschaft und den Unternehmen ankommen: Ethnie, Sexualität, Religion, Gender, Alter, Handicaps, Erkrankungen: Würden wir die bisher vernachlässigten rund 50 Prozent der Menschheit erfolgreicher berücksichtigen, wäre es ein gesamtgesellschaftlicher Erfolg. Allein die Unternehmen werden ohne mehr Frauen in technischen Berufen den Mangel an Fachkräften nicht umsetzen können, dies hat somit auch einen volkswirtschaftlichen Impact – eine wahre Wachstumsbremse. Diese Bremswirkung kann auch im internationalen Wettbewerb der Hightech-Unternehmen nicht folgenlos bleiben. Wir legen den Hebel um.

Dass diese Diskussion eben keine aus dem Elfenbeinturm geführte ist, belegen zahlreiche Studien: Diverse Teams bringen empirisch belegt bessere Leistungen als homogene. Damit zahlt Diversität direkt positiv auf den Unternehmenserfolg ein, und zwar in harter Währung und nicht an Soft Skills und bei Hygienefaktoren. Studien des Beratungsunternehmens Accenture weisen zum Beispiel eindeutig nach, dass eine Kultur der Gleichstellung die Innovationsfähigkeit und das Wachstum von Unternehmen positiv beeinflussen. Gelebte Gleichstellungskultur ist damit nicht nur ein bloßer sozialer Akt – sie ist eine betriebswirtschaftliche Notwendigkeit.

Für die besagte Accenture-Studien zu den Themen Gleichstellung und Gleichberechtigung wurden jeweils mehrere tausend Beschäftigte in über 20 Ländern befragt, über alle Hierarchieebenen und Ländergrenzen hinweg. Mit ein Grund für den größeren Erfolg ist das höhere Engagement, das aus einem Plus an Zugehörigkeit resultiert, wenn sich die einzelnen Gruppen inkludiert fühlen. Der Mensch ist eben keine Maschine – und je besser das Feeling, desto mehr Kraft für neue Ideen und Innovationen. Für Deutschland haben die Accenture-Experten übrigens einen Faktor Fünf ermittelt: Innovationsbereitschaft und -fähigkeit sind in einem von einer starken Gleichstellungskultur geprägtem Unternehmen demnach fast fünfmal höher als bei weniger bzw. keinem Fokus auf Gleichstellung.

Begeisterung – das A und O für IT-Girls

Die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit, mehr Frauen in technische Berufe zu bringen, sind also – jenseits der grundsätzlichen Gerechtigkeitsfrage – auch ökonomisch auf Makro- und Mikroebene hinreichend belegt. Bleibt die Frage: Wie soll’s gelingen? Vor 9.000 Jahren hätte sich eben jene Frage vermutlich gar nicht gestellt. Gemäß neuesten Forschungsergebnissen waren bei den steinzeitlichen Naturvölkern rund ein Drittel der Großwildjäger weiblich; seien wir uns ehrlich, eine „steinzeitliche Quote“ dieser Art wäre im 21. Jahrhundert in Chefetagen oder Aufsichtsräten schon ein Erfolg. Davon weiß auch Dorothee Ritz zu berichten: Eine Karriere vom Journalismus über die Microsoft-Geschäftsführung, hin zur Verantwortung für den Bereich „Solutions to Retail“ bei E.on, ist heutzutage leider weiterhin eine Ausnahmeerscheinung. Damit hat sie sich fraglos einen Platz im Buch der IT-Girls verdient. Und ihre Geschichte liest sich überaus spannend. Doch ihr, wie vielen anderen Frauen wäre es dennoch lieber, wenn ein solcher Lebenslauf eben nicht so außergewöhnlich wäre.

Der Punkt ist: Damals, im Pleistozän, ging es gar nicht anders. An dieser Stelle sei nochmals auf obige Argumentation verwiesen: Wir werden diese Frauen in Tech-Berufen brauchen, und wir werden es bereuen, wenn sie fehlen. Und ein Stück weit kann uns die Steinzeit auch heute bei der Lösung weiterhelfen. Denn damals sind die Menschen mit der entsprechenden Notwendigkeit von kleinsten Kindesbeinen an aufgewachsen. Das muss uns auch heute wieder gelingen. Es ist unser aller Aufgabe, Frauen und vor allem Mädchen mehr für Technologie zu begeistern, die Affinität an dieser Stelle wach zu kitzeln und zu stärken. Es wird dabei nicht reichen, mit dem Finger auf die Politik, das Bildungssystem etc. zu zeigen. Denn wäre es „so einfach“, gäbe es vermutlich schon längst eine entsprechende Lösung. Natürlich muss die Ausbildung an dieser Stelle zulegen, das gilt aber für alle Geschlechter; Karriere- und Arbeitszeitmodelle sind übrigens auch ein Thema, das sicher – nochmals Stichwort Gender Pay Gap – weiter abmildern kann, ebenso Quoten.

Wenn wir jedoch Frauen, Mädchen insgesamt mehr für Technologie begeistern wollen, müssen wir die Frage beantworten: Warum scheinen entsprechende Karrieren eigentlich so unattraktiv? Liegt es am Bild, das Frauen außerhalb der Tech-Branchen für sich selbst zeichnen? Liegt es am Band, das von der Schule weg nicht gut genug gespannt wird? Liegt es am fehlenden Wissen der Eltern? Es dürfte eine Mischung dieser Faktoren sein. Tatsache ist, dass wir alle sehr plastisch zeigen müssen: Berufe in der Technologie sind vielfältig und machen Spaß. Dabei sind nicht nur codende Mathe-Genies gefragt – im Gegenteil. Im Zeitalter der Digitalisierung und der Gigabit-Gesellschaft gibt es eine unglaublich große Bandbreite in technischen Berufen, und beileibe nicht in allen davon sind „Nerds“ gefragt. Das zeigen auch die in den IT-Girls skizzierten Frauen mit ihren Geschichten. Es sind Macherinnen, die in erster Linie mit Drive, Esprit und Managementfähigkeiten überzeugen.

Eintauchen in die echte Welt der Pionierinnen vor der Haustür

Demnach ist mein Wunsch, dass sich möglichst viele Frauen inspirieren lassen. Dazu soll mein Buch einen Beitrag leisten. Es wäre wunderbar, wenn es möglichst viele Frauen und Männer lesen, egal, welchen Beruf sie ausführen – denn sie alle können andere Frauen begeistern. Wir sind eine Gemeinschaft, und jede und jeder von uns kann einen Beitrag leisten, selbst wenn der „nur“ aus dem Weitererzählen einer dieser beeindruckenden Geschichten und den zugehörigen Rollenvorbildern besteht. Wenn das gelingt, gelingt eine ganze Menge: Begeisterung wecken, inspirieren und ermutigen!

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