AktuellesUnternehmerinnenwissen

Ana-Cristina Grohnert: Frauen haben sich bewährt

Von Ana-Christina Grohnert, Vorstandsvorsitzende Charta der Vielfalt

In diesen Tagen macht auf sozialen Medien ein Bild die Runde: Angela Merkel, Jacinda Ardern, Sanna Marin, Tsai Ing-wen. Staatscheffinnen, die ihre Länder bislang sehr erfolgreich durch die Corona-Krise geführt haben. Die Auswahl ist natürlich willkürlich. Denn nicht nur Deutschland, Neuseeland, Finnland und Taiwan kamen bislang glimpflich davon. Auch Israel oder Südkorea beispielsweise zählen zu den sichersten Ländern, was die neuartige Erkrankung angeht. Es hängt also nicht davon ab, ob eine Frau oder ein Mann an der Spitze des Landes steht. Oder doch? Was ist, wenn wir umgekehrt fragen? Welche Länder haben sich durch eine Verweigerungshaltung, durch Starrsinn, Kraftmeierei oder ein Vabanque-Spiel erst so richtig in die Bredouille gebracht?

Frauen tragen die Hauptlast in der Krise

Verlassen wir die Ebene der großen Weltpolitik, und schauen uns den Alltag hier in Deutschland an. Das öffentliche Leben stand wochenlang still. Kindergärten und Schulen waren geschlossen. Vielen Firmen haben sich zudem auf Homeoffice umgestellt. Das ganze Leben fand hauptsächlich zuhause statt. Zuhause, das war bis vor wenigen Jahren fast ausschließlich die Welt der Frauen. Und auch jetzt liegt ein großer Teil des ganz alltäglichen Krisenmanagements bei den Frauen. Ich kenne einige, die nicht nur die Doppel-, sondern mit Homeschooling gleich die Dreifachbelastung haben. Ein ganz großes Kompliment bleibt aber bislang unausgesprochen: Ihr Frauen, Ihr haltet den Laden am Laufen. Ihr bewältigt auf bewundernswerte Weise eine Situation, die man eigentlich niemand zumuten kann. Ihr seid das Rückgrat der Gesellschaft. Ihr steckt diese Belastung weg und wachst über Euch hinaus. Verstärkt wird dieses Kompliment noch, wenn man bedenkt, dass in den besonders betroffenen – und auch risikoreichen – Gesundheitsberufen der Frauenanteil laut Statistischem Bundesamt bei 75,6 Prozent liegt. Ihr Frauen riskiert etwas!

Woher kommt Resilienz?

Ich überzeichne hier ein Stück weit ganz bewusst, um Aufmerksamkeit und Bewusstsein zu schärfen. Denn wenn wir der Frage nachgehen, was ein System, sei es nun eine Gesellschaft als Ganzes oder eben ein Unternehmen resilient gegenüber Krisen und darüber hinaus zukunftsfähig macht, dann lautet die Antwort: Diversity & Inclusion. Ich muss dabei als Erstes immer mit einem Vorurteil zum Begriff Diversity selbst aufräumen. Diversity ist nichts, was wir bei der Charta der Vielfalt oder irgendeine schlaue Business School erfunden haben. Diversity ist der Naturzustand, das Vorhandensein einer Vielfalt unterschiedlichster Menschen mit ganz individuellen Biografien, Ideen, Gedanken und Lebensentwürfen. An uns Frauen wird es am offensichtlichsten deutlich, wenn Diversity fehlt, zum Beispiel in der Führungsetage. Wenn die halbe Welt aus Frauen, der ganze Vorstand aber aus Männern besteht. Es ist eben schon rein zahlenmäßig nicht natürlich, keine ungefähre Parität zu haben. Wer das verstanden hat, der kann zum nächsten Punkt kommen: Inclusion. Die bewusste, zielgerichtete und systematische Einbeziehung der Vielfalt in Entscheidungsprozesse, in die Zusammensetzung von Teams und ganzen Unternehmen. Es geht darum, eine Organisation von der krisenanfälligen Monokultur zum ausbalancierten System zu machen, das unterschiedlichsten Umweltanforderungen gleichermaßen gewachsen ist und kein Problem hat, sich Veränderungen schnell anzupassen. Es geht um Flexibilität.

Frauen verändern die Arbeitswelt

Aus den traditionellen und historischen Rollenbildern herauskommend, werden die Frauen zur treibenden Kraft bei der Flexibilisierung der Arbeitswelt, und damit auch der Unternehmen. Denn wer will, dass Frauen sich weiterhin dafür entscheiden, Kinder zu bekommen, der darf dies nicht länger zum Nachteil in der Berufswelt werden lassen. Nicht bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, nicht beim Einkommen, nicht bei Karrierechancen und Führungsverantwortung. Der Staat spielt dabei zweifellos eine Rolle. Sei es, wenn er Unternehmen z. B. durch die Frauenquote etwas auf die Sprünge hilft, sei es durch die Schaffung von zusätzlicher Kinderbetreuung. Aber im Kern ist es nicht Aufgabe des Staates, sondern sollte selbstverständliches Instrument der Unternehmensführung sein, die Arbeitswelt so zu verändern, dass alle ihr maximales Potenzial einbringen können. Auf welcher Grundlage haben wir denn unser System aus Arbeitszeit und Arbeitsort gebaut? Es stammt aus einer anderen Zeit. Es diente einmal der Vereinheitlichung und Kontrollmaximierung. Der unternehmerisch notwendigen Leistungsmaximierung steht es mittlerweile im Weg. Zeit und Ort der Arbeit werden relativ werden. Und zwar zu den Konditionen, die es ermöglichen, ein ausgeglichenes Leben zu führen. Zuhause arbeiten, spätabends wenn die Kinder im Bett sind, das haben wir gerade oft genug. Das geht auch anders. Erfreulich dabei ist, dass in der nachkommenden Generation auch immer mehr junge Männer Verständnis zeigen, und auch ein anderes Selbstverständnis entwickeln, das ausgeglichener und partnerschaftlicher ist. Auch sie fordern in den Unternehmen zunehmend Flexibilität ein, damit Sie auch etwas von ihren Kindern haben, wenn sie noch klein sind.

Mehr Flexibilität wagen

Es braucht in den Unternehmen aber auch eine erweiterte Flexibilität in inhaltlicher Hinsicht. Wenn Präsenzzeit im Unternehmen, nach Jahren gemessen, mit Erfahrung und Kompetenz gleichgesetzt wird, dann geht das regelmäßig zu Lasten von Frauen, die als Mutter mal ausgesetzt haben. In den meisten Fällen ist dieses Argument nicht durch irgendeine realistische Leistungskennziffer oder Potenzialprognose zu belegen, sondern an den Haaren herbeigezogen. Es ist schlicht eine Besitzstandswahrung und eine Bevorrechtigung derjenigen, die halt immer da waren. Was im Übrigen ja genau nicht von Flexibilität zeugt, sondern eher starre Systeme kennzeichnet. Allgemein gesprochen darf man unterstellen, dass gerade Frauen, die Familie und Beruf unter einen Hut bringen ein durchaus relevantes Skillset für Unternehmen entwickelt haben. Ich will nicht zum Geschlechterkampf oder zum Frauenstreik aufrufen, weil ich die Konfrontation albern finde. Aber als Gedankenexperiment darf eine Albernheit erlaubt sein: Einfach mal denjenigen Männern, die sich fein raushalten das Homeschooling, das Home-Washing, das Home-Cooking und das Homeoffice überlassen – und zwar in dieser Reihenfolge. Als kleiner Flexibilitätstest, sozusagen.

Es geht auch mit Frauen

Es gilt für die eingangs erwähnten Staatschefinnen, aber genauso für Frauen in Führungspositionen, für die berufstätigen Mütter, die Alleinerziehenden, die vielen Frauen im Gesundheitswesen: Wir haben uns bewährt. Wir sind genauso kompetent, wir sind genauso belastbar, wir sind genauso ambitioniert, wir sind vielleicht sogar ein ganz klein wenig mehr reflektiert. Kurzum: Alles, was getan werden muss, geht auch mit Frauen. Die Gründe, mit denen man zu erklären versucht, warum gerade für die nächste Aufstiegsposition, für das nächste wichtige Projekt, für die nächste Gehaltserhöhung keine Frau aufzutreiben war – sie überzeugen nicht. Wir brauchen deshalb in den Unternehmen eine Art „Beweislastumkehr“: Warum habt ihr es nicht geschafft, für diese Position eine Frau zu finden? Es wird in der Zukunft zum unverzichtbaren Skillset von Top-Führungskräften gehören, diese Frage gar nicht erst aufkommen zu lassen.

Über die Autorin: Ana-Cristina Grohnert …

… ist Vorstandsvorsitzende der Arbeitgeberintitiative Charta der Vielfalt. Von 2017 bis 2019 war sie Vorstand für Personal und Innere Dienste bei der Allianz Deutschland AG. Als Managing Partner bei Ernst & Young hat sie zuvor die Personalstrategie neu ausgerichtet und Kunden des Financial Services bei der Reorganisation und Neuausrichtung begleitet. Auf Basis dieser und ihrer Bank- und Industrieerfahrungen im Finanz- und Risikomanagement bei der DGHYP, ABB und der Preussag begleitet und gestaltet sie Unternehmenstransformationen aus der Perspektive des Business- und Personalmanagers und veröffentlichte seitdem zahlreiche Publikationen und Interviews. Das manager magazin und die Boston Consulting Group zeichneten sie 2019 als eine der einflussreichsten Frauen der deutschen Wirtschaft aus.

Ana-Cristina Grohnert ist Mutter von drei Kindern und lebt in Hamburg.

Vorheriger Beitrag

Befragung zum Deutschen Startup Monitor (DSM) startet

Nächster Beitrag

DIW Berlin: Frauen in Corona-Krise am Arbeitsmarkt stärker betroffen als Männer