Berlinale 2024

Berlinale Special: Mengyao Mia Zhang ist eine Filmeditor

„Film ist nicht nur Unterhaltung, er muss mich berühren.“

Deine Berufsbezeichnung ist (Film-)Editor? Was genau machst Du?

Meine Aufgabe besteht vereinfacht gesagt hauptsächlich darin, das Filmmaterial so zusammenzustellen, dass es die Vision des Regisseurs bestmöglich unterstützt. Es kommt also darauf an, mit welchem Regisseur man arbeitet und welchen Stil man hat. Es ist immer ein bisschen anders, wie man einen Film schneidet und wie man die Geschichte bestmöglich erzählt.

Hast Du eine eigene Bildsprache? Sozusagen eine eigene Signatur?

Ich bin zunächst für den Rohschnitt bzw. Erstschnitt verantwortlich, der größtenteils allein die Arbeit des Schnitts ist, noch bevor der Regisseur mitwirkt. Das basiert größtenteils auf dem Drehbuch. Natürlich spricht man vor Beginn der Arbeit mit dem Regisseur und schaut sich dessen Referenzfilme an. Dieser Teil der Bearbeitung, der Stil, basiert also weitgehend auf dem, was wir besprochen haben, und natürlich auf meinem eigenen Stil, meinen Ideen.

Was gefällt Dir an Deiner Arbeit?

Zusammenarbeit und kreative Problemlösung. Es macht immer Spaß. Ich erhalte das Filmmaterial und kann sehen, wie viele verschiedene Möglichkeiten wir haben. In gewisser Weise ist es wie ein Puzzle. Ich glaube nicht, dass ich immer sofort die beste Vorstellung davon habe, wie der Film funktioniert. Aber das ist eigentlich Teil der Arbeit. Es gibt diese brillante Idee vom Regisseur, aber irgendwie können Sie sie verbessern. Und das erfüllt mich mit großer Zufriedenheit. Und ich glaube, mir gefällt auch die Tatsache, dass wir diese „unbekannte“ mysteriöse Person sind – sowohl für das Publikum als auch für die Schauspieler/Schauspielerinnen, denen man sich vielleicht sehr nahe fühlt, nur dass sie einen nicht kennen. Ich habe das Gefühl, dass es mir irgendwie Spaß macht, mich hinter den Kulissen zu verstecken. Wie wenn man sich einen Gangsterfilm ansieht, ist der wahre Boss immer hinter den Kulissen, aber man weiß nicht, wer er ist. Das ist für mich also auch Teil des Spaßes.

In welchem Alter hast Du beschlossen, Filmeditorin zu werden?

Hm, das fühlt sich fast wie Schicksal an – denn ich wollte schon immer Anwalt werden, bevor ich 17 war, und hatte plötzlich eine andere Meinung, kurz bevor ich mich für das College beworben habe. Und es ist auch interessant, wie meine Eltern dazu stehen. Normalerweise würden sich Eltern sehr freuen, wenn ihr Kind Anwalt werden möchte. Aber meine Eltern meinten eher: Oh, das ist zu viel Arbeit. Man muss sich alles merken, verschiedene Gesetze, bla, bla. Und wir möchten, dass Du etwas tust, das nicht so anstrengend ist. Ich denke, da sie es jahrelang immer wieder gesagt haben, kam mir einfach der Gedanke: Okay, vielleicht mache ich etwas anderes. Und dann habe ich über Psychologie nachgedacht. Aber das gefiel ihnen auch nicht. Ich bin in China aufgewachsen und sie sagten: Okay, wir finden Psychologie toll, aber China hat nicht wirklich das Umfeld dafür. Ich habe auch über Literatur, Geschichte, Philosophie usw. nachgedacht, aber das Seltsame ist, dass meinen Eltern alles, was mir einfiel, nicht gefiel. Dann dachte ich: Okay, was mag ich sonst noch? Ich glaube, ich erzähle immer gerne Geschichten, also frage ich mich: Okay, was wäre, wenn ich Editor würde? Meine Mutter wusste damals noch nicht einmal, was ein Filmeditor macht, sie suchte online und antwortete mir: „Ich habe gerade online gesucht, es ist so ein wichtiger Job, das finde ich großartig!“

Was ist für Dich ein wirklich guter Film?

Film ist nicht nur einfach Unterhaltung, er muss mich berühren, er kann etwas Reales sein. Der Film kann so viel bewirken und ist eine großartige Möglichkeit, für die Gesellschaft zu sprechen. Aber natürlich gehörte Unterhaltung schon immer zu seiner Funktion. Deshalb liebe ich Filme, die beides vereinen können. Zum Beispiel „Jojo Rabbit“. Ich mag diesen Film wirklich. Es erzählt etwas wirklich Wichtiges, aber es ist nicht wie eine zweistündige Geschichtsstunde.

Was wünschst Du Dir von der Filmbranche?

Mehr Möglichkeiten, mehr Veränderungen. Zur Unterstützung von Filmemachern, die als Redakteure tätig sind.

Die Sache ist beispielsweise, dass es zwar viele Stipendien gibt, aber nur sehr wenige, auf die sich Redakteure tatsächlich bewerben können. Viele davon richten sich an Autor*innen, Regisseur*innen oder sogar Produzent*innen. Die Berlinale Talents sind eines der ganz wenigen Programme, an denen wir als Redakteur*innen tatsächlich teilnehmen können, wofür ich sehr, sehr dankbar bin. Aber ich würde mich freuen, wenn es mehr Möglichkeiten für die Menschen hinter den Kulissen gäbe, zum Beispiel für die Postproduktion, für Redakteur*innen, für Sounddesigner*innen, für Komponist*innen, Colorist*innen, Visual-Effects-Künstler*innen usw., denn die brauchen wir alle für einen Film.

Du bist das erste Mal hier. Welche Erwartungen hast Du an das Festival? Als Berlinale Talents haben wir für viele Dinge unseren eigenen Zeitplan. Deshalb versuche ich mein Bestes, mir zwischen den Schnitten einen Film anzusehen. Ich glaube, ich habe bisher zwei Filme gesehen und morgen werde ich den ganzen Tag Filme schauen. So viel ich kann, denn zwischendurch gibt es immer vielleicht zwei Stunden Pause, aber man muss zum Kino fahren und kommt dann nicht rechtzeitig dort an. Aber ja, ich würde gerne mehr Filme sehen, aber die beiden, die ich bisher gesehen habe, haben mir wirklich gefallen. Kommen Sie mit einem eigenen Film zur Berlinale zurück?  Das hoffe ich. Irgendwann in den nächsten Jahren. Vor allem ist es hier anders als bei vielen anderen Filmfestivals, bei der Berlinale dauert das Q&A wirklich eine halbe Stunde nach der Vorführung, was ziemlich selten ist, weil Festivals immer versuchen, so viele Filme wie möglich unterzubringen. Es bleibt nie genug Zeit, mit den Filmemachern zu sprechen. Aber auf der Berlinale gibt es wirklich genug Zeit, um in die Tiefe zu gehen. Erstens sind die Fragen des Moderators gut. Man spürt, dass er sich tatsächlich den Film ansieht und darüber nachdenkt, welche Fragen er stellen soll, und dann bleibt dem Publikum genug Zeit für ein tiefergehendes Gespräch mit den Filmemachern, was ich wirklich liebe.

Wie war es mit Networking?

Ich denke, „Talents“ versucht auch, uns mehr Networking-Möglichkeiten zu bieten. Neulich haben wir ein Abendessen gemacht, eine ziemlich große Sache. Es heißt Dine & Shine. Die Gäste bleiben am Tisch und die Talente gehen umher und vernetzen sich. So lernt man verschiedene Menschen kennen und kann nach drei Kursen frei herumlaufen und sich unterhalten. Es ist einfach sehr interessant, sehr zufällig, wen man trifft.

Die Berlinale ist ein bisschen wie eine Blase. Was nimmst Du mit, wenn Du nach Hause gehst?

Hm, vielleicht hängt alles zusammen. Und viel aus unserem Workshop, wo wir zusammen mit 12 Redakteuren eine sehr nette Gruppe sind. Ich denke, es ist uns auch gelungen, eine sehr enge Beziehung zwischen uns aufzubauen. Das sind also definitiv Kontakte für die Zukunft. Und es ist auch toll, dass wir diese Verbindung aufrechterhalten wollen. Wenn in Zukunft jemand einen Schnitt hat, würden wir gerne unsere Erfahrungen und vielleicht auch Probleme in dieser Gruppe teilen und diskutieren, manchmal ist man im Schnittraum einfach so alleine und manchmal ist das Material noch nicht da bereit, dass Sie es anderen Leuten zeigen, aber Sie brauchen das Feedback von jemandem. Und Redakteure sind die perfekte Gruppe, weil wir alle wissen, wie man einen Rohschnitt betrachtet. Also ja, das ist für mich das Wichtigste oder Kostbarste an dieser Zeit auf der Berlinale.

Vielen Dank für das Interview!

 

 

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