Bundestag beschließt Mindestbeteiligung von Frauen in Vorständen
Der Bundestag hat das „zweite Führungspositionen-Gesetz“ beschlossen. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung Berlin (DIW) hat aus diesem Anlass eine Analyse veröffentlicht, wie es um Frauen in Vorständen von großen privaten Unternehmen steht.
64 Unternehmen müssten die neue Regelung dann erfüllen, 42 davon tun dies bereits, wie die vorliegende Analyse zeigt. Das sind acht Unternehmen mehr als zum Zeitpunkt der Einigung einer Arbeitsgruppe der Großen Koalition auf den Gesetzentwurf im Herbst 2020. Somit hat das neue geplante Gesetz offenbar bemerkenswerte Antizipationseffekte ausgelöst und dazu beigetragen, dass der Frauenanteil in den Vorständen der betroffenen DAX-Unternehmen innerhalb eines guten halben Jahres von knapp zwölf auf 16 Prozent gestiegen ist. Zuvor vergingen für einen Anstieg in dieser Größenordnung fünf Jahre. Infolge des neuen Gesetzes könnte es noch weiter bis auf 21 Prozent nach oben gehen. Allerdings haben einige Unternehmen mit der Berufung einer Frau ihren Vorstand gleichzeitig vergrößert, was den Anstieg des Frauenanteils abschwächt.
Seit mehr als sechs Jahren gibt es in Deutschland eine gesetzliche Geschlechterquote für Aufsichtsräte großer börsennotierter Unternehmen. Solche, die börsennotiert und paritätisch mitbestimmt sind, müssen in ihren Aufsichtsräten einen Frauenanteil von mindestens 30 Prozent erfüllen. Ähnliche Vorgaben für Vorstände großer Unternehmen gibt es in Deutschland bislang nicht.
Gesetzliche Mindestbeteiligung in der Kritik
Im Frühjahr 2020 legten die damalige Bundesfrauenministerin Franziska Giffey und die Bundesjustizministerin Christine Lambrecht einen Gesetzentwurf vor, der erstmals in Deutschland eine gesetzliche Vorgabe zur Beteiligung von Frauen in den Vorständen privatwirtschaftlicher Unternehmen vorsieht. Mehr als ein halbes Jahr lang schien es, als gäbe es zwischen den Regierungsparteien CDU/CSU und SPD keine Einigung zu diesem Gesetzesvorschlag. Insbesondere in Unionskreisen wurde eine gesetzliche Mindestbeteiligung als ein zu massiver Eingriff in die unternehmerische Freiheit gewertet. Im November 2020 kam dann die für viele überraschende Nachricht: Eine vom Koalitionsausschuss eingesetzte Arbeitsgruppe einigte sich auf ein Gesetzesvorhaben zu einer Mindestbeteiligung von Frauen in Vorständen. Am 6. Januar 2021 beschloss das Bundeskabinett den Entwurf für ein „Zweites Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienstag (FüPoG II)“, das unter anderem eine gesetzlich verbindliche Mindestbeteiligung von einer Frau in den Vorständen großer börsennotierter Unternehmen beinhalten soll. Nach längeren Diskussionen zwischen den Fraktionen von CDU/CSU und SPD im Bundestag wurde nun am 11. Juni der Gesetzentwurf in etwas abgeänderter Form beschlossen.
Der Gesetzentwurf sieht eine Mindestbeteiligung von Frauen in den Vorständen von börsennotierten Unternehmen, die der paritätischen Mitbestimmung unterliegen und deren Vorstand aus mindestens vier Mitgliedern besteht, vor. Diese Gruppe setzt sich derzeit aus 64 Unternehmen zusammen und ist eine Untergruppe der Unternehmen, für die die Geschlechterquote im Aufsichtsrat gilt. Im Unterschied zur festen Geschlechterquote in Aufsichtsräten von 30 Prozent ist für Vorstände keine feste Quote vorgesehen – auch wenn in der öffentlichen Debatte häufig von einer „Vorstandsquote“ gesprochen wird. Stattdessen gibt es eine Mindestbeteiligung von einer Frau. Da die meisten Vorstände der betroffenen Unternehmen vier, fünf oder sechs Mitglieder haben, ergibt sich daraus implizit eine Frauenquote von 25, 20 beziehungsweise 16,7 Prozent.
Gesetzesvorhaben zeigt bereits erste Wirkungen
Von den 64 Unternehmen, für die diese geplante gesetzliche Vorgabe nach einer Übergangszeit gelten wird, erfüllen derzeit (Stand: 4. Juni 2021) 42 die Mindestanforderung von einer Frau im Vorstand. Das entspricht einem Anteil von rund 67 Prozent. Vor Bekanntwerden der Einigung von Union und SPD auf diese Mindestbeteiligung von Frauen im Vorstand im Herbst 2020 waren es erst 34 Unternehmen, die die Vorgaben erfüllten (Stand: Oktober 2020); das entsprach einem Anteil von 53 Prozent (Abbildung 1). Es sind Anfang Juni 2021 also acht Unternehmen mehr, die die Auflagen erfüllen, als noch im Herbst 2020. Dieser relativ starke Anstieg innerhalb eines kurzen Zeitraums von etwas mehr als einem halben Jahr deutet auf bemerkenswerte Antizipationseffekte des Gesetzesvorhabens hin.
Abbildung 1: Von Mindestbeteiligung betroffene Unternehmen, die diese bereits erfüllen
In absoluten Zahlen
Quelle: Eigene Erhebungen.
© DIW Berlin 2021
Diese Antizipationseffekte zeigen sich besonders deutlich, wenn man die Entwicklung des Frauenanteils in den von der Mindestbeteiligung betroffenen Unternehmen zum einen mit den Veränderungen in den vergangenen Jahren und zum anderen mit der Entwicklung bei den nicht betroffenen Unternehmen vergleicht. Von Oktober 2020 bis Juni 2021 ist unter den DAX-Unternehmen, die nach aktuellem Stand von der Mindestbeteiligung von Frauen im Vorstand betroffen wären (51 Unternehmen), der Anteil mit mindestens einer Frau im Vorstand von knapp 53 auf knapp 71 Prozent (also um gut 17 Prozentpunkte) gestiegen. Unter den DAX-Unternehmen, die nicht von der Mindestbeteiligung betroffen sind (108 Unternehmen), ist der Anteil der Unternehmen mit mindestens einer Frau im Vorstand im gleichen Zeitraum lediglich um drei Prozentpunkte gestiegen, von 34 auf knapp 37 Prozent (Abbildung 2). Somit haben Stand Juni 2021 unter den DAX-Unternehmen, die die gesetzlichen Vorgaben erfüllen müssen, bereits vor Inkrafttreten des Gesetzesvorhabens fast doppelt so viele Unternehmen mindestens eine Frau im Vorstand wie in der Gruppe der DAX-Unternehmen, die die Vorgaben nicht erfüllen müssen.
Der Anteil der Unternehmen mit mindestens einer Frau im Vorstand lag bereits in den Jahren seit 2014 in der vom Gesetz betroffenen Gruppe deutlich über dem in der nicht betroffenen Gruppe. Von 2014 bis 2020 entwickelten sich diese Anteile jedoch mehr oder weniger parallel und stiegen um durchschnittlich jeweils drei bis vier Prozentpunkte pro Jahr. Seit Herbst 2020 ist die Lücke zwischen beiden Unternehmensgruppen aber deutlich größer geworden. In der unter die Mindestbeteiligung von Frauen in Vorständen fallende Gruppe stieg der Anteil der Unternehmen mit mindestens einer Frau im Vorstand innerhalb von sieben Monaten in etwa so stark wie im gesamten Zeitraum von 2014 bis 2020. Auch dies ist ein Indikator für bemerkenswerte Antizipationseffekte des Gesetzesvorhabens.
Abbildung 2: DAX-Unternehmen mit mindestens einer Frau im Vorstand
Anteil in Prozent
Anmerkung: Die Daten beruhen auf dem Managerinnen-Barometer 2021 des DIW Berlin und neu erhobenen Daten. Alle Daten für die Jahre 2014 bis 2020 beziehen sich jeweils auf den Herbst des Jahres. Die Daten für das Jahr 2021 wurden am 4. Juni 2021 erhoben. Quelle: Eigene Erhebungen.
© DIW Berlin 2021
Durch die überdurchschnittlich häufige Berufung von Frauen in den Vorstand der von dem Gesetzesvorhaben betroffenen Unternehmen erhöhte sich in dieser Gruppe auch der Frauenanteil unter allen Vorstandsmitgliedern überdurchschnittlich stark: von knapp zwölf Prozent im Herbst 2020 auf 16 Prozent im Juni 2021 (Abbildung 3). In den DAX-Unternehmen, die von dem Gesetzesvorhaben nicht betroffen sein werden, stieg der Frauenanteil im selben Zeitraum um weniger als einen Prozentpunkt und liegt bei gut elf Prozent. Der Frauenanteil unter allen Vorstandsmitgliedern der von der Mindestbeteiligung betroffenen Unternehmen ist somit in den zurückliegenden sieben Monaten stärker gestiegen als in den Jahren von 2015 bis 2020 zusammengenommen. Demgegenüber ist der Anstieg in den nicht betroffenen Unternehmen in etwa konstant geblieben.
Würden alle DAX-Unternehmen, die von der Mindestbeteiligung betroffen sind und derzeit noch keine Frau im Vorstand haben, in den nächsten zwölf Monaten – bei konstanter Vorstandsgröße – eine Frau in den Vorstand berufen, würde der Frauenanteil in den Vorständen der von der Mindestbeteiligung betroffenen DAX-Unternehmen von derzeit 16 auf 21 Prozent steigen. Bei dieser Simulation ist vorausgesetzt, dass die von der Mindestbeteiligung betroffenen Unternehmen, die diese bereits erfüllen, ihre Vorstandsbesetzung unverändert lassen.
Der künftige Frauenanteil könnte dabei aber überschätzt sein, denn einige Unternehmen haben im Zuge der Rekrutierung einer Frau den Vorstand vergrößert. Von den neun Unternehmen, die zwischen Oktober 2020 und Juni 2021 eine Frau bestellt haben, ging dies bei fünf Unternehmen mit einem zusätzlichen Vorstandsposten einher, häufig im Bereich digitale Transformation. Sollten weitere Unternehmen dies ähnlich handhaben, würde der Frauenanteil in den Vorständen etwas weniger stark steigen als die Simulation erwarten lässt.
Abbildung 3: Frauenanteil in Vorständen der DAX-Unternehmen
Anteil in Prozent
Anmerkung: Die Daten beruhen auf dem Managerinnen-Barometer 2021 des DIW Berlin und neu erhobenen Daten. Alle Daten für die Jahre 2014 bis 2020 beziehen sich jeweils auf den Herbst des Jahres. Die Daten für das Jahr 2021 wurden am 3. Juni 2021 erhoben. Quelle: Eigene Erhebungen.
© DIW Berlin 2021
Fazit: Mehr Frauen in Vorständen können viele positive Effekte mit sich bringen
Es ist anzunehmen, dass das voraussichtlich am 11. Juni 2021 im Bundestag verabschiedete Gesetz zur Mindestbeteiligung von Frauen in Vorständen dazu führen wird, dass der Anteil der Vorständinnen in den betroffenen Unternehmen spürbar steigen wird – und dies vermutlich deutlich schneller, als es ohne die Mindestbeteiligung der Fall wäre. Das lässt sich aus den bereits bislang beobachtbaren Antizipationseffekten des Gesetzesvorhabens schließen. Diese Effekte zeigen, dass der Frauenanteil in den Vorständen der von dem Gesetz betroffenen Unternehmen in den vergangenen sieben Monaten seit Bekanntwerden der Einigung in der Großen Koalition so stark gestiegen ist wie sonst innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren.
Empirische Studien konnten in den vergangenen Jahren zeigen, dass eine stärkere Beteiligung von Frauen im Top-Management die Performance von Unternehmen steigern kann. Von einem höheren Frauenanteil sind darüber hinaus aber auch gleichstellungspolitische Implikationen zu erwarten: Die großen börsennotierten Unternehmen werden durch dieses Gesetz gezwungen, den Pool an geeigneten weiblichen Führungskräften, die für Vorstandspositionen in Frage kommen, zu erweitern. Notwendig hierfür ist eine inklusivere Unternehmenskultur, die es Frauen in größerer Zahl ermöglicht, auch auf den Hierarchieebenen unterhalb des Vorstands Erfahrung zu sammeln. Ein höherer Frauenanteil auf diesen Ebenen könnte wiederum positive Wirkungen auf die Gleichstellung im Unternehmen insgesamt entfalten. Empirische Studien zeigen zudem, dass ein höherer Anteil von Frauen in Führungspositionen in einem Unternehmen zu geringeren Verdienstunterschieden zwischen Frauen und Männern in diesem Unternehmen führt, und dass die Chancen für eine Beförderung von Frauen steigen.
Darüber hinaus birgt die Mindestbeteiligung von Frauen in Vorständen das Potenzial, Benachteiligungen von Frauen auf dem Arbeitsmarkt aufgrund geschlechterstereotyper Zuschreibungen entgegenzuwirken. Mehr Frauen in Führungspositionen können dazu beitragen, diese Zuschreibungen nach und nach zu verringern und somit gleichstellungspolitische Impulse über ihr Unternehmen hinaus zu senden.